NSU-Prozess


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377. Verhandlungstag, 27.7.2017 Die schrecklichen Verbrechen des NSU

Am dritten Tag ihres Schlussvortrages beschäftigt sich die Bundesanwaltschaft mit den Verbrechen des NSU. Dabei liefert sie zahllose Indizien für die Mittäterschaft von Beate Zschäpe. Und provoziert mit einigen Aussagen die Anwälte der Nebenklage.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 27.07.2017 | Archiv

NSU-Prozess mit Ch. Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

27 Juli

Donnerstag, 27. Juli 2017

"Die Mordanschläge waren nur möglich, wenn sie unter allen drei abgesprochen waren". Oberstaatsanwältin Anette Greger lässt auch am dritten Tag ihres Schlussvortrages keinen Zweifel aufkommen: Im strafrechtlichen Sinne ist  Hauptangeklagte im NSU Prozess  bei allen Verbrechen der rechtsextremen Terrorgruppe als Mittäterin zu betrachten. Beteiligt hat sie sich zudem aus freiem Willen und voller Überzeugung. Die Einlassung der Angeklagten, sie habe erst immer hinterher von den Verbrechen erfahren, hält sie nicht für glaubwürdig. "Wie sehr es ihr darauf ankam, auch nach dem Tod ihrer Mitstreiter die Opfer der Verbrechen zu treffen und zu verhöhnen“, zeige auch ihr Bemühen beim Versenden der Bekenner-DVD’s des NSU.

Zschäpe war am Bekennervideo beteiligt

Auf diesem Selbstbezichtigungsvideo, von dem im Brandschutt der letzten Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße insgesamt drei Versionen gefunden wurden, hat der NSU seine zehn Morde und die zwei Bombenanschläge in Köln dokumentiert. Mit Fotos der Opfer, die Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zum Teil selbst am Tatort machten. Und mit Presseartikeln, die nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft Beate Zschäpe archivierte. Als Beleg führt die Oberstaatsanwältin einen Fingerabdruck der Angeklagten auf einem der Artikel an. Nach Überzeugung der Anklagebehörde hat Zschäpe entgegen ihrer eigenen Einlassung genau gewusst, was Inhalt des  Videos war. Denn, Zschäpe, so interpretiert die Oberstaatsanwältin zahlreiche Zeugenaussagen und im Brandschutt gefundene Asservate, sei an der Erstellung des Film beteiligt gewesen.

"Die Überschrift lautet Verblendung“

Dann kommt die Oberstaatsanwältin auf die brutalen Verbrechen des NSU zu sprechen.  Zehn Menschen haben Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ermordet, acht davon waren türkischer Herkunft, einer stammte ursprünglich aus Griechenland. "Die Überschrift lautet Verblendung" leitet die Oberstaatsanwältin diesen Teil ihres Plädoyers ein. Und meint damit die menschenverachtende Ideologie des NSU, die zum Ziel gehabt habe, Migranten aus Deutschland zu vertreiben. "Sie sollten hingerichtet werden“, sagt Greger. Und: "Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos töteten im bewussten Zusammenwirken.“ Also alle drei sieht die Bundesanwaltschaft als Mörder, obwohl sie später auch sagt, dass es keinen Beweis dafür gebe, dass Zschäpe an einem der Tatorte gewesen sei. Dann schildert die Anklägerin noch einmal minutiös jede einzelne Mordtat, die akribischen Vorbereitungen. Die Anmietung von Fahrzeugen, bei denen Zschäpe eine wichtige Rolle gespielt habe. Weil etwa von ihr beschaffte gefälschte Ausweise zum Einsatz kamen. Dann die Taten selbst, die Greger  mehrfach als Hinrichtungen bezeichnet. Die Opfer seien allesamt arg- und wehrlos gewesen. Keiner  habe mit einem Mordanschlag rechnen können. Dass jeweils Böhnhardt und Mundlos geschossen haben, steht für die Bundesanwaltschaft zweifelsfrei fest. Zum einen durch das Selbstbezichtigungsvideo. Zum anderen wurden die beiden dabei eingesetzten Waffen der Mordserie in der ausgebrannten letzten Wohnung des NSU gefunden.

Bundesanwaltschaft verärgert Nebenkläger

Bei der Schilderung der einzelnen Morde betont Greger, wie gut die Opfer integriert waren. Jeder von ihnen hatte sich eine kleine Existenz aufgebaut, die meisten waren verheiratet. Viele hatten Kinder. In der Folge der schrecklichen Verbrechen, so schildert es die Oberstaatsanwältin, gaben die getroffenen Familien das Geschäft des Ehemannes oder Sohnes auf. Was sie dabei nicht erwähnt. Dass die Familien teilweise selbst ins Visier der Vermittler gerieten,  jahrelang unter Verdacht standen, den Behörden etwas zu verschweigen und selbst mit den Verbrechen in Zusammenhang zu stehen. Das ärgert einige Nebenkläger . Noch mehr erbost die Opferanwälte, dass die Vertreterin der Bundesanwaltschaft erklärt, dass es bei den Morden „keine rechten Hintermänner“ gegeben habe, die manche Anwälte ihren Mandanten in Aussicht gestellt hätten. Sebastian Scharmer, der Hinterbliebene des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik vertritt, kritisiert das in einer sofort versandten Pressemitteilung scharf. Die Bundesanwaltschaft ignoriere zahlreiche Hinweise auf Unterstützer an den Tatorten: „Auch alle Untersuchungsausschüsse gehen im Ergebnis davon aus. Es ist gerade der Verantwortung des Generalbundesanwaltes und der Verfassungsschutzbehörden zuzurechnen, dass diese Hinweise auch in den letzten fast 6 Jahren nach Selbstenttarnung des NSU nicht angemessen verfolgt wurden, Informationen nicht herausgegeben werden, vertuscht und geschreddert wird.“

Der Mordfall Kiesewetter und die Bombenanschläge

Die Oberstaatsanwältin ist unterdessen bei den drei Bombenanschlägen des NSU angekommen.  Der erste im Juni 1999 in Nürnberg, der sogenannte "Anschlag mit der Taschenlampe“ stehe nicht in der Anklageschrift, weil er erst durch das Geständnis des Mitangeklagten Carsten S. in der Hauptverhandlung bekannt geworden sei. Die anderen beiden in Köln, der in der Probsteigasse und der in der Keupstraße, sind ebenfalls ein Beleg für die menschenverachtende Ideologie des NSU. In beiden Fällen sind die Opfer wieder völlig arg-und wehrlos, wie durch ein Wunder kommt bei bei den Anschlägen niemand zu Tode. Aber viele werden zum Teil schwerstverletzt. In der Probsteigasse die damals 19 jährige Tochter des Ladenbesitzers, in der Keupstraße mindestens 23 Menschen, die zum Teil noch heute, wie Greger betont, unter den Folgen des Anschlages leiden. Die Täterschaft des NSU steht für die Bundesanwaltschaft zweifelsfrei fest. Und weil Beate Zschäpe am Bekennervideo mitgearbeitet habe, sieht sie deren Einlassung  als widerlegt an, dass sie die Taten nicht gewollt habe.

Der Mordanschlag auf zwei Polizeibeamte

Ähnlich argumentiert die Bundesanwaltschaft beim  Mordanschlag auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn, dem letzten Mord des NSU im April 2007.  Beide sind von schräg hinten  während einer Pause in ihrem Dienstwagen in den Kopf geschossen worden. Die Polizistin Michele Kiesewetter wird dabei getötet, ihr Kollege Martin Arnold überlebt schwerverletzt, ist heute nur mehr eingeschränkt dienstfähig und wird sein Leben lang unter den Folgen leiden. Auch diese Tat haben nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft  Böhnhardt und Mundlos verübt. Das belegten das Selbstbezichtigungsvideo, in dem der NSU die erbeutete Dienstwaffe Arnolds "prahlerisch“ präsentiert: Und die beiden erbeuteten Dienstwaffen, die im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach lagen. Zschäpe hatte behauptet, ihre Freunde hätten den Überfall verübt, um sich Waffen zu besorgen. Oberstaatsanwältin Greger dagegen sieht das als widerlegt an. Die Gruppe habe ausreichend Waffen gehabt, die beiden erbeuteten Pistolen nie eingesetzt und als Trophäen mit sich geführt. Auch dieser Mord sei also ideologisch motiviert. Und  in noch einem  Punkt legt sich die Bundesanwaltschaft  eindeutig  fest. Entgegen vieler Spekulationen gebe es keinen "tragfähigen Hinweis für einen Bezug zwischen den Tätern und einem der Opfer“. Die seien zufällig ausgewählt worden. Den Entschluss, einen Polizeibeamten zu töten, habe die Gruppe bereits ein Jahr zuvor gefasst. Das belege eine  Sequenz im Selbstbezichtigungsvideo, in der eine Waffe auf einen Polizisten gerichtet ist.

Die Brandstifterin Beate Zschäpe

Bei den Morden und Bombenanschlägen sieht die Bundesanwaltschaft die Hauptangeklagte als Mittäterin. Beim Inbrandsetzen  der Wohnung in der Frühlingstraße ist Zschäpe dagegen alleinige Täterin. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem nach dem Selbstmord ihrer Mitstreiter Böhnhardt und Mundlos juristisch gesehen die Terrorvereinigung gar nicht mehr existierte. Zschäpe hätte da einen "Schlußstrich ziehen“ können, hat die Oberstaatsanwältin schon zuvor  gesagt. Doch stattdessen verteile die Angeklagte  im letzten Unterschlupf der Gruppe, nachdem sie vom Selbstmord der anderen erfahren hat, zehn Liter Benzin und zündet es an. Die gleiche Vorgehensweise wie bei Böhnhardt und Mundlos, die sich kurz zuvor im Wohnmobil in Eisenach erschossen haben, als ihnen die Flucht nach ihrem letzten Banküberfall misslingt. Das Entflammen der Wohnung  hat eine gewaltige Explosion zur Folge. Das müsse Zschäpe gewusst haben, sie habe, so Greger,  die Tötung von unbeteiligten Personen im Haus in Kauf genommen. Dass zwei Handwerker das Gebäude kurz zuvor für eine Pause verlassen hatten, habe Zschäpe nicht wissen können. Und auch Zschäpes Darstellung, sie habe zuvor  bei ihrer Nachbarin, einer 89 Jahre alten  Frau geklingelt, hält die Anklagevertreterin nicht für glaubhaft. Tatsächlich befand sich die gebrechliche Person während der Explosion in der Wohnung; dass auch sie später unverletzt gerettet werden konnte, ist wohl nur glücklichen Umständen zu verdanken. Auch in diesem Fall wiegt der Vorwurf der Bundesanwaltschaft schwer: "Wer auf einer 125 Quadratmetern  Fläche zehn Liter Treibstoff ausbringt, will eine verheerende und tödliche Wirkung erzielen.“

Bundesanwaltschaft wird nicht vor Sommerpause fertig

Insgesamt hat die Oberstaatsanwältin heute den Vortrag ihres Plädoyers auf fünf Blöcke verteilt, die jeweils etwa 45 Minuten lang  und von etwa zwanzigminütigen Pausen gefolgt sind. Doch obwohl Richter Götzel länger verhandelt als den beiden Tagen zuvor,  schafft es die Anklagevertreterin nicht, alle vom NSU begangenen Verbrechen und die Rolle der Hauptangeklagten abzuhandeln. Am kommenden Montag,  wird sie mit den 15 Raubüberfällen weitermachen. Vermutlich wird das  den ganzen Tag in Anspruch nehmen. Damit steht bereits jetzt fest. Vor der Sommerpause wird die Bundesanwaltschaft mit ihrem Schlussvortrag nicht fertig, denn am letzten verbleibenden Tag, dem Dienstag wird sie es nicht schaffen, die Rolle der weiteren vier Angeklagten zu beleuchten und dann auch die geforderten Strafmaße zu verkünden.


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