NSU-Prozess


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405. Verhandlungstag, 23.1.2018 Alles ganz anders?

"Alles war ganz anders": Unter dieser Überschrift könnte der Beweisantrag stehen, den die Wohlleben-Verteidigung heute verlas. Danach erhielten die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Ceska-Mordwaffe nicht über den Angeklagten Ralf Wohlleben, sondern von dritter, bisher unbekannter Seite. Der wichtigste Unterstützer des NSU wäre entlastet.

Von: Eckhart Querner

Stand: 23.01.2018 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: Julia Meuller

23 Januar

Dienstag, 23. Januar 2018

Die Zwickauer Schüler oben auf der Besucherempore sind im Rahmen eines Geschichtsprojekts zum NSU-Prozess nach München gefahren. Sie tauschen Beobachtungen aus, stellen den Gerichtsreportern Fragen: Wo hat die Staatsanwaltschaft ihre Plätze? Wer ist der Mann auf der Anklagebank dritte Reihe links?

Reden und Raunen sind plötzlich zu Ende

Als die Hauptangeklagte Zschäpe in den Gerichtssaal geführt wird, sind Reden und Raunen plötzlich zu Ende. Wortlos beobachten die Schüler die mutmaßliche NSU-Terroristin, die die Jugendlichen höchstens aus dem Internet kennen. Zschäpe gilt für die Anklageseite als Mittäterin an allen Morden. In der Zwickauer Frühlingsstraße hat sie den letzten Unterschlupf des so genannten NSU-Trios in Schutt und Asche gelegt, bevor sie sich der Polizei stellte.

‚Alles war ganz anders‘

Der Verhandlungstag beginnt mit der Verlesung eines Beweisantrags der Verteidigung Wohlleben. Die Anwälte Klemke, Nahrath und Schneiders wollen unter anderem erreichen, dass noch - kurz vor Ende des Mammutverfahrens - zwei Zeugen aussagen, die angeblich die Unschuld des Angeklagten Ralf Wohlleben beweisen sollen.

Für die jungen Zwickauer Prozessbeobachter sind die juristischen Formulierungen, die Verweise auf Paragrafen und Beweismittel harter Tobak. Einer der wenigen halbwegs verständlichen Sätze  lautet: "Die Beweiserhebung wird ergeben, dass der vom Generalbundesanwalt behauptete Weg der Tatwaffe Ceska 83 […] der falsche ist. Der hierauf beruhende Haftbefehl und der gegen Herrn Wohlleben erhobene Anklagevorwurf werden nach der beantragten Beweiserhebung keinen Bestand mehr haben."

Der Beweisantrag kommt viel zu spät

Wird Wohlleben also entlastet, weil nicht er die Tatwaffe besorgt haben soll? Wohl kaum. Zunächst überrascht, dass der Antrag erst heute, nach über 400 Verhandlungstagen gestellt wird und nicht schon am ersten Prozesstag vor inzwischen fast fünf Jahren.

Bundesanwaltschaft: Wohlleben-Verteidigung will den Prozess verschleppen

Oberstaatsanwältin Greger von der Bundesanwaltschaft haut den Wohlleben-Verteidigern den Antrag regelrecht um die Ohren: der sei voller aufs Geradewohl aufgestellter Behauptungen und ohne Erkenntnisgewinn. Die näheren Umstände der behaupteten Waffenübergabe hätten die Anwälte gar nicht beschrieben, so die Vertreterin des Generalbundesanwalts. Gesamttenor Gregers: der Antrag habe kein anderes Ziel als die weitere Verschleppung des Prozesses.

Wie soll das Gericht weitermachen?

Für den Vorsitzenden Richter Götzl dürfte das weitere Vorgehen nicht ganz leicht sein. Entscheiden er und seine Kollegen, den Antrag anzunehmen, müsste das Gericht erneut in die Beweisaufnahme eintreten und die beiden Zeugen laden. Ob die beiden Männer durch ihre Aussagen den Angeklagten Wohlleben wirklich entlasten würden, wäre keineswegs sicher. Darüber hinaus zöge sich der NSU-Prozess noch mehr in die Länge, möglicherweise müssten sogar die Plädoyers erneut gehalten werden.

Lehnt das Gericht den Antrag aber ab, stellen die Wohlleben-Verteidiger höchstwahrscheinlich einen Befangenheitsantrag gegen einen Richter oder gleich den ganzen Senat. Über diesen gerne kurz "Befa" genannten Antrag muss dann ein anderer Senat des Oberlandesgerichts München befinden, bevor Götzl und Kollegen weiterverhandeln dürften.

Enttäuschung über frühes Ende

Nach kaum zwei Stunden ist dieser 405. Verhandlungstag zu Ende. Eine Sternstunde war das nicht. Die Zwickauer Schüler reisen wieder ab, enttäuscht, dass nichts Spektakuläres passiert ist an diesem Tag.


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