311. Verhandlungstag im NSU-Prozess, 21.9.16 Schoss Böhnhardt auf Chemnitzer Bauarbeiter?
Kann dem NSU eine weitere Straftat zugeordnet werden? Ein Opferanwalt machte nun auf einen 16 Jahre alten Fall aufmerksam, der möglicherweise mit der Terrorzelle zusammenhängt.
Der ursprüngliche Hinweis kam vom Angeklagten Carsten S. Schon kurz nach Prozessbeginn, im Sommer 2013, berichtete der Szeneaussteiger und Kronzeuge im Verfahren von einem Gespräch mit dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Dieser habe ihm gesagt, die Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt hätten "jemanden angeschossen", erklärte Carsten S. im Gerichtssaal. Das Bundeskriminalamt suchte daraufhin nach einer ungelösten Straftat, die zu den Angaben passen könnte. Ohne Ergebnis. Nun ist dem Nebenklage-Anwalt Hardy Langer möglicherweise gelungen, was das Bundeskriminalamt nicht schaffte.
Vorfall passt zu Wohnort des Trios
Langer fand im Archiv zwei Artikel der Tageszeitung "Freie Presse" vom 15. Juni 2000. Darin wird von einem Luftgewehr-Schuss auf einen Bauarbeiter am Vortag, dem 14.Juni 2000, berichtet. Der Mann erlitt eine Schusswunde im Unterarm. Die Tat ereignete sich in der Wolgograder Allee in Chemnitz und genau dort, in Hausnummer 76, wohnte damals das untergetauchte Neonazi-Trio aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Und es gibt noch eine weitere mögliche Übereinstimmung: Der Bauarbeiter wurde mit einer Luftdruckwaffe angeschossen. Gestern berichtete ein Zeuge aus Jena im Prozess, Uwe Böhnhardt habe Ende der 90er Jahre mit einer Luftpistole auf ihn geschossen. Nebenklage-Anwalt Langer hat nun beantragt den Bauarbeiter, der damals verletzt wurde, ausfindig zu machen und als Zeugen zu laden. Das Gericht muss über den Antrag entscheiden.
Funkzellentreffer belastet Angeklagten André E.
Zuvor hatte ein Kriminalbeamter als Zeuge im Prozess ausgesagt, dass das Handy des Angeklagten André E. am Vormittag des 4. November 2011 in zwei Funkzellen nahe der Zwickauer Wohnung des Trios eingeloggt war. Am gleichen Tag erschossen sich Mundlos und Böhnhardt in Eisenach und zündete Zschäpe die Wohnung in Zwickau an. War André E. wenige Stunden zuvor bei Zschäpe zu Besuch? Der Funkzellentreffer war bisher nicht bekannt. Er fiel dem Bundeskriminalamt erst jetzt auf. Dabei hatten die Ermittler eigentlich schon 2012 überprüft ob einer der Verdächtigen im NSU-Komplex in den Funkzellen nahe der Frühlingsstraße in Zwickau eingeloggt war. Wie konnte ihnen André E. damals entgehen?
Wird Zschäpe-Brief Teil des Prozesses?
Erneut Thema im Verfahren: Die mögliche Verlesung und Verwertung eines Briefes den Beate Zschäpe 2013 aus dem Gefängnis an einen zu der Zeit ebenfalls inhaftierten Neonazi in Nordrhein-Westfalen schrieb. Der Brief wurde damals geöffnet und abgelichtet. Sein Inhalt lässt möglicherweise Rückschlüsse auf die Persönlichkeit Zschäpes zu. Die Hauptangeklagte will unbedingt verhindern, dass das Schreiben in das Verfahren eingeführt wird. Ihre Verteidiger argumentieren, dass das Ablichten des Briefes unrechtmäßig war. Die Bundesanwaltschaft dagegen hält eine Verlesung und Verwertung des Schreibens für zulässig. Zu dieser Auffassung scheint auch das Gericht zu tendieren. Der Vorsitzende Richter teilte mit, man erwäge den Brief zu beschlagnahmen.