NSU-Prozess


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4. November 2011 Eine Neonazi-Terrorzelle fliegt auf

Zwischen 2000 und 2006 wurden in Deutschland neun Migranten getötet, fünf von ihnen in Bayern. Nachdem die Behörden jahrelang erfolglos herumgestochert hatten, ist seit 2011 klar: Hinter der Mordserie steckte eine Neonazi-Gruppe.

Von: Ernst Eisenbichler

Stand: 04.11.2013 | Archiv

Fahndungsfotos von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos | Bild: picture-alliance/dpa; Foto: Frank Doebert/Ostthüringer Zeitung

Am 4. November 2011 begingen in Eisenach zwei Männer in einem Wohnmobil Selbstmord, nachdem die Polizei das verdächtige Fahrzeug entdeckt hatte. Am selben Tag explodierte ein Wohnhaus in der Zwickauer Frühlingsstraße 26. Die beiden Männer waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Zwickau: explodiertes Haus, in dem Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe wohnten

Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft hatte Beate Zschäpe das Gebäude in die Luft gejagt, in dem das Trio wohnte. Die drei bildeten den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), eine rechtsextreme Neonazi-Gruppe aus Thüringen.

Zehn Morde, fünf davon in Bayern

Zeitstrahl

Namen der NSU-Opfer auf Gedenktafel am Halitplatz in Kassel | Bild: picture-alliance/dpa zur interaktiven Anwendung Chronik Die zehn dem NSU zugeschriebenen Morde

Der Zwickauer Terrorzelle werden zehn Morde angelastet. Acht der Opfer waren türkisch-, eines griechischstämmig. Außerdem wurde eine Polizistin getötet. Eine Chronik. [mehr]

Ermittler fanden in den Zwickauer Trümmern neun Feuerwaffen, ein Repetiergewehr und eine Maschinenpistole. Am 11. November 2011 erklärte die Bundesanwaltschaft, dass eine dieser Waffen die seit Jahren gesuchte Pistole Česká 83 im Fall der Serienmorde an Migranten war. Zwischen September 2000 und April 2006 waren acht Menschen mit türkischem Hintergrund und ein Grieche kaltblütig erschossen worden - fünf von ihnen in Bayern: drei in Nürnberg, zwei in München. Im April 2007 wurde zudem in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet, auch diese Tat wird der sogenannten Zwickauer Terrorzelle angelastet.

Mordserie mit eindeutig rechtsextremem Hintergrund

Die Presseerklärung der Bundesanwaltschaft war ein Paukenschlag. Zum ersten Mal wurde die Mordserie eindeutig mit rechtsextremen Tätern in Verbindung gebracht. Zuvor war meist lediglich von "Dönermorden" die Rede gewesen. Der Begriff war nicht nur verharmlosend - er wurde zum Unwort des Jahres 2011 gekürt -, sondern verriet auch unterschwellig, dass die Ermittler ihre Täter- und Motivsuche auf Migrantenkreise begrenzten: Organisierte Kriminalität wie Wett- oder türkische Mafia, Drogendelikte, Racheakte, nicht bezahlte Schulden. Wie simplifizierend der Begriff "Dönermorde" war, zeigt auch, dass nur zwei der Getöteten in einer Dönerbude arbeiteten. Die anderen waren Blumenverkäufer, Obsthändler, Kiosk-Besitzer oder Betreiber eines Internet-Cafés.

"Die NSU-Morde sind unser 11. September."

Generalbundesanwalt Harald Range

Beispielloses Versagen der Behörden

Mit der Presseerklärung wurde aber auch einer der größten Skandale in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte offenbar. Neonazis konnten jahrelang unbehelligt quer durch die Republik morden. Das Versagen von Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft war beispiellos. Obwohl fast alle Opfer Türken oder türkischstämmig waren, kam kaum ein Ermittler auf die Idee, dass fremdenfeindliche Neonazis hinter den Taten stecken könnten. Als einzige Übereinstimmung neben der Česká 83, eine 7.65-Kaliber-Pistole tschechischer Herkunft, fand man heraus, dass alle Opfer männliche Kleingewerbetreibende waren, die an ihrem Arbeitsplatz erschossen wurden. Dabei beteiligten sich in den intensivsten Fahndungszeiten 160 Polizisten. Sieben Sonderkommissionen in fünf Bundesländern und das Bundeskriminalamt (BKA) waren eingeschaltet. In Nürnberg richtete man die Soko "Bosporus" ein.

Untersuchungsausschüsse

Um das Versagen der Behörden aufzuarbeiten, wurde am 26. Januar 2012 ein Untersuchungsausschuss des Bundestages eingerichtet. Entsprechende Aufklärungsgremien gibt es auch in den Landtagen in Bayern (seit 4. Juli 2012), Thüringen (16. Januar 2012) und Sachsen (17. April 2012). Am 8. November 2012 hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des NSU erhoben. Der Prozess wird im Frühjahr 2013 vor dem Oberlandesgericht (OLG) München beginnen.


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