NSU-Prozess, 372. Verhandlungstag Schwere Schlappe für die Verteidigung
Das Münchner Oberlandesgericht hat den Gutachter Prof. Joachim Bauer für befangen erklärt. Der Psychiater hatte die Hauptangeklagte Beate Zschäpe vor allem als Opfer von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bezeichnet.
Es das erste Mal in dem seit über vier Jahren laufenden Prozess, dass einem Befangenheitsantrag stattgegeben wurde. Der Senat folgte dem Antrag mehrerer Nebenkläger. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sagte, Bauer habe den Eindruck der Parteilichkeit nicht beseitigen können.
Bauer: "Zschäpe nicht voll schuldfähig"
Im Auftrag ihrer beiden Wahlverteidiger Mathias Grasel und Hermann Borchert hatte Joachim Bauer als Sachverständiger befunden, Zschäpe sei wegen einer krankhaften Persönlichkeitsstörung nur eingeschränkt schuldfähig. Bauer sieht in der Hauptangeklagten im NSU-Prozess ein mehr ein Opfer als eine Täterin. Zschäpe sei von Uwe Böhnhardt psychisch abhängig gewesen, dieser habe sie regelmäßig geschlagen und eventuell sogar sexuell missbraucht.
NSU-Verfahren als "Hexenverbrennung" bezeichnet
Zum Verhängnis wurde dem Freiburger Psychiater Bauer eine E-Mail an eine Mediengruppe. Darin bot er eine Exklusivgeschichte über Zschäpe und den NSU-Prozess an und bezeichnete das Verfahren und die Berichterstattung darüber als "Hexenverbrennung". Sein Gutachten würde einigen nicht passen, schrieb Bauer, der zuvor bereits durch den erfolglosen Versuch, Pralinen für Beate Zschäpe in das Untersuchungsgefängnis zu schmuggeln, unangenehm aufgefallen war.
Nebenkläger: "Gutachter nimmt Angeklagte in Schutz"
Für einige Nebenkläger stand damit fest, dass Bauer nicht unparteilich ist, wie es das Gesetz von Sachverständigen fordert, sondern sich im Gegenteil auf die Seite der Angeklagten geschlagen hat und versucht sie in Schutz zu nehmen. So sah es heute auch das Gericht. Dadurch, dass Bauer das Verfahren als Hexenverbrennung bezeichnete, habe er deutlich gemacht, dass nach seiner Ansicht ein massiver Schuldspruch bereits feststehe, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Der Sachverständige Joachim Bauer wurde am Mittag für befangen erklärt.
Bauer wehrt sich
Nach der Entscheidung des Gerichts wies Bauer den Vorwurf der Befangenheit umgehend per Mail an mehrere Medien zurück. Er halte sein Gutachten nach wie vor für einen Beitrag mit erheblicher Verfahrensrelevanz, schrieb der Psychiater. Beate Zschäpe bringt diese Behauptung vermutlich nichts mehr.
In ihren Erklärungen vor dem Strafsenat ist Beate Zschäpe auch auf die Wohnsituation in einem Mehrfamilienhaus an der Heisenbergstraße in Zwickau eingegangen. Dort hatte das NSU-Kerntrio in den Jahren 2000 und 2001 gelebt. Zschäpe schilderte, dass dort sowohl die beiden Uwes als auch sie selbst jeweils ein Zimmer bewohnten. Doch der umtriebige Nebenklage-Anwalt Eberhard Reinicke forschte nach und stellte fest, dass es in der Wohnung gar nicht so viele Zimmer gab – ein Detail zwar, aber doch eines, das - sollte es sich als falsch herausstellen - auch Zschäpes sonstige Aussagen in Zweifel ziehen würde.
Tatsächlich hat das Oberlandesgericht daraufhin eine Mitarbeiterin der zuständigen Immobilienverwaltung und einen alten Kameraden des Trios aus der Neonazi-Szene in den Zeugenstand geladen, allerdings mit mäßigem Erfolg, denn beide konnten sich im NSU-Prozess an nichts mehr erinnern, was die Wohnung betraf.
Halbes Zimmer ohne Fenster
Trotzdem ist die Hauptangeklagte damit nicht aus dem Schneider. Sie hat sich über ihren Rechtsanwalt Mathias Grasel zwar damit gerechtfertigt, dass damals eine Trennwand in einem der Zimmer eingezogen war, so dass dann eben doch jeder der drei Untergetauchten ein eigenes Zimmer für sich gehabt habe. In einem davon soll Uwe Böhnhardt die Bombe für den NSU-Anschlag an der Probsteigasse in Köln gebaut haben.
Allerdings ist das besagte Zimmer insgesamt gerade einmal 9,5 Quadratmeter groß. Bei einer Teilung wären dabei also zwei äußerst kleine Zimmer in einer Größe von gerademal 4,75 Quadratmeter entstanden, davon eines komplett fensterlos. Das sei wenig glaubhaft konstatierten die Nebenkläger.
Erneuter Beweisantrag zum Mordfall Yozgat
Die Anwälte der Angehörigen des Kasseler NSU-Mordopfers Halit Yozgar stellten heute mehrere Beweisanträge, mit denen sie mögliche Verbindungen zwischen dem NSU und hessischen Neonazis belegen wollen. Zum einen geht es um eine angebliche Aussage eines Verfassungsschutz-Informanten aus der Neonazi-Szene, der schon um die Jahrtausendwende seinem V-Mann-Führer von einer Vereinigung berichtet haben soll, die den Namen "Nationalsozialistische Untergrundkämpfer Deutschland" trug. Zum anderen ging es um Informationen und Fotos rund um ein Skinhead-Konzert in Chemnitz Mitte der 1990er-Jahre, an dem sowohl Beate Zschäpe und ihr damaliger Freund, der "Blood&Honour"-Aktivist Thomas Starke, teilgenommen haben soll als auch hessische Neonazis.
Hinter beiden Beweisanträgen steht die Hoffnung der Opferfamilie, mehr Klarheit darüber zu gewinnen, warum ausgerechnet der 21-jährige Halit Yozgat vom NSU als Mordopfer ausgesucht wurde. Die Bundesanwaltschaft sprach sich jedoch dafür aus, beide Anträge "wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen abzulehnen".
Neuer psychiatrischer Sachverständiger für Zschäpe?
Fraglich ist auch, ob Zschäpes Altverteidiger mit ihrem Antrag durchkommen wird, einen zweiten psychiatrischen Sachverständigen mit der Begutachtung der Hauptangeklagten zu beauftragen. Zwar versuchten die Anwälte ihren Antrag heute mit neuen Argumenten zu unterfüttern. Doch dass das Oberlandesgericht darauf eingehen wird, ist eher unwahrscheinlich.