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Ratzinger zu Domspatzen-Skandal "Ohrfeigen ja - Missbrauch nein"

Georg Ratzinger leitete die Regensburger Domspatzen von 1964 bis 1994. In jene Zeitspanne fielen die weitaus meisten Fälle von Misshandlung im Chor. Der Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI. sagte nun, er habe von "sexuellen Missbräuchen überhaupt nichts gehört". Prügel seien damals dagegen üblich gewesen.

Stand: 12.04.2016 | Archiv |Bildnachweis

Georg Ratzinger | Bild: picture-alliance/dpa/Armin Weigel

"Von sexuellen Missbräuchen habe ich überhaupt nichts gehört in meiner Zeit. Mir ist nicht bekannt geworden, dass sich damals ein sexueller Missbrauch ereignet hätte."

Georg Ratzinger

Der 91-Jährige bestritt gegenüber der "Passauer Neuen Presse", von den Missbrauchsfällen in dem weltberühmten Regensburger Ensemble etwas gewusst zu haben. Mit Blick auf die Prügelvorwürfe verwies der Prälat aber darauf, Schläge und Ohrfeigen seien damals "in allen Erziehungsbereichen wie auch in den Familien üblich" gewesen. "Bei den Domspatzen hatten sie keine andere Bedeutung als in den genannten Bereichen auch", so Ratzinger.

Er räumte gegenüber der "Passauer Neuen Presse" auch ein, von regelmäßigen und "sehr heftigen" Ohrfeigen durch den langjährigen Vorschuldirektor Johann Meier gewusst zu haben. Er habe aber niemals beobachtet, wie Meier einen Jungen "unter den Tisch geprügelt" habe und auch nie Spuren von Verletzungen an einem der Schüler gesehen. Meier war 1992 nach Kritik an seinen laut Ratzinger "rauen pädagogischen Methoden" in den vorzeitigen Ruhestand getreten.

Hohe Dunkelziffer möglich

Von 1953 bis 1992 seien mindestens 231 Kinder von Priestern und Lehrern misshandelt worden, hatte Rechtsanwalt Ulrich Weber am Freitag (08.01.16) bei der Vorstellung seines Zwischenberichts gesagt. Zudem seien mindestens 50 Kinder auch Opfer sexueller Gewalt geworden. Die meisten Misshandlungen seien in der früheren Vorschule der Domspatzen in Etterzhausen und dann in Pielenhofen bei Regensburg begangen worden. Weber geht davon aus, dass die Dunkelziffer der misshandelten Kinder noch deutlich höher liegt. Er rechnet damit, dass etwa jeder Dritte der rund 2.100 Vorschüler zwischen 1953 bis 1992 unter körperlicher Gewalt litt - das wären bis zu 700 Opfer.

Anwalt: Georg Ratzinger wusste von Vorgängen

Sonderermittler Ulrich Weber

Seit fast einem Jahr untersucht Ulrich Weber Misshandlungs- und Missbrauchsvorwürfe beim weltberühmten Knabenchor. Das Bistum hatte den langjährigen Anwalt der Opferschutzorganisation Weißer Ring im April als unabhängigen Sonderermittler eingesetzt. Er hatte mit Betroffenen und dem Missbrauchsbeauftragten des Bistums gesprochen sowie Geheimarchive, Personalakten des Bistums und persönliche Notizen des Generalvikars eingesehen.

Weber war von Bistum und Chor mit der Klärung des Skandals beauftragt worden. "Die sexuellen Übergriffe reichten von Streicheln bis zu Vergewaltigungen", so der Anwalt. Weber geht davon aus, dass Ratzinger von den Vorgängen gewusst hatte. Er habe zumindest im Jahr 1987 von Gewalt in der Vorschule erfahren. Der Anwalt betonte zudem, selbst wenn man die Prügel im zeitlichen Kontext der damaligen Erziehung sehe, zeige sich eine "grobe Unverhältnismäßigkeit".

Stiftungsvorstand entsetzt

Auf Webers Zwischenbericht hatte der Vorstand der Domspatzen bestürzt reagiert. Jeder einzelne Fall berühre die Mitglieder des Gremiums "im Innersten" und mache sprachlos, sagte Roland Büchner, Chorleiter und Vorstand der Regensburger Domspatzen. Der Vorstand wiederholte deshalb auch "in tiefer Erschütterung und Scham" seine Entschuldigung "gegenüber allen Opfern von Missbräuchen und Misshandlungen in Einrichtungen der Domspatzen".

Lob für den Opferanwalt

Zugleich gab es seitens des Stiftungsvorstands Lob für Rechtsanwalt Weber. Man sei "froh und dankbar", dass er mit seiner Arbeit offenbar gut vorankomme und auch von den Opfern als Gesprächspartner akzeptiert werde. Seitens der Stiftung wolle man ihn auch künftig in allen Belangen vorbehaltlos unterstützen. Es sei wichtig, "dass er den eingeschlagenen Weg weiterhin unabhängig und transparent gehen" könne.

Stimmen der Opfer

Josl

Ich war selbst in den Schuljahren 1983/84 und 1984/85 in Pielenhofen. Und ja, ich durfte selbst sowohl körperlichen (weit über das damalige übliche Maß hinaus) wie auch sexuellen Missbrauch "genießen", dieser hat in der Tat stattgefunden.

Leugnen oder verharmlosen wird an dieser Stelle nichts nutzen. Die Namen der beteiligten Protagonisten sind hinlänglich bekannt, es spielte sie immer nach den gleichen Schemata ab. Relativ beliebt für derartige Zwecken waren auch die wöchentlichen "Duschtage", die ja zumeist abends stattfanden. Erstaunlicherweise war dann auch der damalige Direktor dieses "Instituts" zugegen. Dort erhielt der ein oder andere Bub auch einmal eine "Sonderbehandlung".

Die meisten schwiegen, denn geglaubt hätte damals einem achtjährigen Buben ohnehin niemand. So auch meine persönliche Erfahrung mit meinen eigenen Eltern. Ein Herr Monsignore wäre doch zu so etwas niemals in der Lage!

Bistum Regensburg setzt auf Gespräche

Nach Bekanntwerden der Vorfälle setzt der Sprecher des Bistums Regensburg, Clemens Neck, auf die anstehenden Gespräche mit Betroffenen und deren Vertretern. "Diese Gespräche sind sehr entscheidend", sagte Neck im Gespräch mit dem BR. Weiter wollte Neck den vorgelegten Bericht nicht kommentieren. Auch dass Georg Ratzinger von den Misshandlungen gewusst haben soll, wollte Neck zunächst nicht kommentieren. Der Bistumssprecher betonte, Anwalt Weber werde seine Arbeit als unabhängiger Sonderermittler jetzt fortsetzen. "Entscheidend ist dann der Abschlussbericht."

Die Regensburger Domspatzen

Hinter dem traditionsreichen Namen verbirgt sich eine Institution aus drei Säulen: Chor, Musikgymnasium und Internat. Zu den Aufgaben des Chors gehört vor allem die Gestaltung der Gottesdienste im Dom. Die "Spatzen" unternehmen aber auch Konzertreisen in alle Welt und sind durch zahlreiche Einspielungen bekannt. Ihr Repertoire reicht von sakralen Werken bis zu modernen Liedern. Das renommierte Internat am Ostrand der Altstadt von Regensburg besuchen etwa 170 Jungen, viele werden in der Tagesschule vom Unterrichtsende bis zum Abendessen betreut. 15 Erzieher und Erzieherinnen (Präfekten) leben und arbeiten mit den Jungen.

Missbrauch in der katholischen Kirche







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Birner reinhol, Mittwoch, 20.Januar 2016, 06:38 Uhr

171. Domspatzen

Herrn Ratzinger sollte man das achte Gebot der Bibel in Erinnerung bringen. Du solltest nicht lügen.
Wenn er wie er sagt von den Missbräuchen nichts gewusst hat, so kann man gleich an grimms Märchen Glauben.
Prügelstrafe zu dieser Zeit, sicherlich vorhanden gewesen, wo aber bleibt hier das. C für christlich. Hat Jesus seine jünger geschlagen?
Hier also die späte Rache des geknechteten.

Reinhold birner aus hirschau

  • Antwort von Günter Wildermann, Mittwoch, 20.Januar, 07:18 Uhr anzeigen

Angelika Oetken , Freitag, 15.Januar 2016, 19:46 Uhr

170. Ich hätte da noch ein paar Fragen...


Bei der Gelegenheit: wo befinden sich eigentlich die mehr als 100 000 Kinder"porno"-dateien, die der ehemalige päpstliche Gesandte Jozef Wesolowski gefertigt und gehortet hatte und die bei einer Hausdurchsuchung 2014 bei ihm gefunden wurden? Wesolowski verstarb ja im vergangenen Jahr am plötzlichen Herztod, just als das Strafverfahren im Vatikan gegen ihn eröffnet worden war. Papst Franziskus hatte ihn nicht an die Dominikanische Republik ausliefern lassen, wo Wesolowski vor ein unabhängiges Gericht gestellt worden wäre.
Im Übrigen: ist ermittelt worden, wer sich auf Weslowoskis Kundenliste befand? Es werden wohl nicht nur Oligarchen gewesen sein, sondern hier und da auch ein Mitbruder des reisefreudigen Jozef.

Hoffmann H.J., Freitag, 15.Januar 2016, 08:39 Uhr

169. Regensburg

Es zeigt wieder einmal wie schwer sich die Kirche tut, Lügen und Verschleierung sind an der Tagesordnung, alle die hohen Geistlichen sind dazu verpflichtet ihr Schweigen nicht zu sprechen. Ich bin selbst ein Opfer und kann nur aus Erfahrung sprechen, jede weitere Verschleierung fügt der Kirche großen Schaden zu, sondern ist erneut ein Schlag der Opfer ins Gesicht.
Ich werde mich erneut an Kardinal Marx mit einen offenen Brief wenden, endlich, wie er es versprochen hat sich für die Opfer ein zu setzen.

Charles X., Donnerstag, 14.Januar 2016, 14:27 Uhr

168. Was man in Regensburg wirklich denkt...

Georg Ratzinger ist Mitglied im Stiftskapitel St. Johann. Der dortige "Chef", also der Stiftsdekan ist sein Freund Heinrich Wachter. Und der äußert sich gerade in schonungsloser Offenheit.

- über den jetzigen Papst:
"Franziskus macht alles anders. Das ist zwar sicher nicht seine Absicht, das muss man Franziskus nicht unterstellen, aber in vielem, wie er handelt, blamiert er seinen Vorgänger."

- über Aufklärung der Domspatzenmissbrauchsaffaire:
"Unnötig. Ich finde, das ist überflüssig. Dass ewig über das selbe geredet wird, da hätte man doch 1.000 andere Fälle wie in Sportvereinen, über die man auch reden müsste. Die Aufarbeitung ist doch längst hinter uns, das brauche ich nicht dauernd wiederholen "(http://www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/Regensburger-Geistlicher-Papst-Franziskus-blamiert-doch-unseren-Papst-Benedikt-dauernd-;art1172,346292).

Man kann davon ausgehen, dass das letztlich auch die Meinung von Bischof Voderholzer und Georg Ratzinger ist.

  • Antwort von Angelika Oetken, Donnerstag, 14.Januar, 15:05 Uhr anzeigen

  • Antwort von Günter Wildermann, Donnerstag, 14.Januar, 15:11 Uhr anzeigen

  • Antwort von aucheinehemaliger, Donnerstag, 14.Januar, 18:59 Uhr anzeigen

  • Antwort von MA, Freitag, 15.Januar, 11:31 Uhr anzeigen

Suarez, Mittwoch, 13.Januar 2016, 13:05 Uhr

167. Hesemannrelativierung

Der selbsternannte Historiker Michael Hesemann relativiert derweil auf kath.net im Forum munter die Opferzahlen und das schreckliche Leid der missbrauchten Domspatzen:http://kath.net/news/53541 Widerlich nenne ich das. Er macht so Opfer noch einmal zum Opfer und stellt sich auf die Täterseite!