Rein mit dem Anderen Über die hohe Kunst des Samplens
Was ist ein Sample? Was ist ein Zitat? Was eine Hommage? Antworten von Kraftwerk, Art of Noise, Public Enemy, De la Soul und Gilles Deleuze im Essay von Jens Balzer, Rolling Stone- und Zeit-Kolumnist.
Über Samples in der Musik denken wir meistens nur nach, wenn Gerichte darüber Urteile fällen. Neulich entschied eins, dass ein deutscher Rapper ein Sample der Elektronikavantgardisten von Kraftwerk benutzen darf, um daraus einen Beat für seine Musik zu basteln. Kraftwerk sahen ihre Urheberrechte verletzt und hatten deswegen dagegen geklagt. Das Gericht entschied, dass jedes Sample zulässig ist, das eine Auseinandersetzung mit seiner Herkunft, mit der Musikgeschichte erkennen lässt. Was das heißt, das ist strittig, führt aber - über alle Urheberrechtsfragen hinaus - zum Kern der ästhetischen Bedeutung des Samples.
"Zehntausend Dollar, so schätzte das Fachmagazin „Spin“, kostete Mitte der Neunzigerjahre eine durchschnittliche Lizenz für ein Sample. Manche Künstler nahmen, je nach Bedeutung und Beliebtheit, aber auch erheblich mehr. Und für manche Künstler wurden die Einnahmen aus Sample-Lizenzen zu einer wesentlichen Einnahmequelle. Wie zum Beispiel für Kraftwerk oder für Sting, den Sänger der Gruppe Police und Inhaber an ihren Songrechten. Einer der erfolgreichsten HipHop-Tracks aus den frühen Nullerjahren, „I’ll Be Missing You“ von Puff Daddy, gründet auf einem Sample aus dem Police-Stück „Every Breath You Take“.
Die hohe Kunst des Sampeln wird in Hitparadenproduktionen wie diesen durch das banale Montieren von irgendwie bekannten Klängen ersetzt; vielleicht aus Kalkül, um zusätzlich zu den Puff-Daddy-Fans auch noch ein paar Police-Anhänger zum Kauf der Single zu bringen; vielleicht aber auch, weil die Sänger, Komponisten und Produzenten schlicht zu faul sind, um sich einen eigenen Beat, eine eigene Melodie auszudenken.
Anderthalb Jahrzehnte nach den ersten Höhenflügen des Sample-basierten HipHop ist mit Figuren wie Puff Daddy auch schon der absolute Tiefpunkt erreicht. Wenn man früher bei Public Enemy und A Tribe Called Quest die hohe Kunst des Sampling hören konnte, dann bei ihm, wie Sampling auch zu ästhetisch und intellektuell primitiver Konfektionsware führt.
In der Sampling-Kunst der Gegenwart spiegelt sich also weder eine historische Krisenerfahrung noch die Aneignung einer Tradition; wenn diese Musik einen Realismus enthält, dann ist es ein kapitalistischer Realismus. Mit dem politischen Erbe der afroamerikanischen Musik hat dieser kapitalistische Realismus nichts mehr zu tun: Kanye West hat es sogar fertiggebracht, das vielleicht berühmteste Lied über die Schrecken der Sklaverei, „Strange Fruit“ für einen Song zu sampeln, in dem er bloß persönlichen Liebeskummer beklagt und den Umstand, dass er gerade nicht genug Geld hat, um sich alles das zu kaufen, was er gern hätte."
Jens Balzer
Seit Paul McCartney erstmals 1969 mit dem Mellotron, einer Urform der Sampling-Geräte, ein abwesendes Streichorchester in ein Beatles-Stück pflanzte, ist das Sampling zu einem prägenden Verfahren im Pop geworden. Vielleicht könnte man sagen: Mit ihm ist die Heterogeneität in den Pop eingezogen, das Andere, das Außen, das Material. Was mit dem Anderen passiert: das ist die Frage. Es kann angeeignet werden, um die eigene Musik in eine Tradition einzuordnen - so war es bei den HipHoppern der Neunzigerjahre, die sich mit ihren Jazz- und Funk-Samples als Erben der afroamerikanischen Musikgeschichte darstellten. Es kann aber auch als das Fremde, Nicht-Identische kenntlich bleiben - so ist es bei den elektronisch produzierenden Songwritern der Gegenwart, die ihre eigenen Stimmen, ihren Gesang sampeln und sich selbst gegenüberstellen, um damit Echoräume einer zersplitterten Subjektivität zu erschaffen. Vom historischen Zitat, das der Identifikation dient, ist das Sample im Pop der Gegenwart zum Spiegel unversöhnter Identitäten geworden: Diese Bewegung und ihren historischen Rahmen zeichnet der Essay nach.
Rein mit dem Anderen
Über die hohe Kunst des Samplens
Von Jens Balzer
Mit Katja Bürkle, Aurel Manthei, Franz Pätzold
Regie: Martin Zeyn
BR 2017, 55'58