Hörspiel des Monats Oktober 2020 "Ein Berg, viele" von Magdalena Schrefel
Als sich der britische Geograf James Rennell im ausgehenden 18. Jahrhundert von seinem Lehnstuhl aus den Verlauf des Flusses Niger nicht anders erklären konnte, erfand er das Gebirgsmassiv „Kong-Berge“. Mit dieser Geschichte verknüpft Magdalena Schrefel die Begegnung einer Hörspielautorin mit dem „Sandflüchtling“ Ismael.
Ausgangspunkt für das Hörspiel ist die Geschichte des britischen Geografen James Rennell. Kong-Berge nannte er dieses kurzerhand und zeichnete es in die Landkarte ein – und für die nächsten 150 Jahre tauchten die erdachten Berge in beinahe allen Darstellungen des afrikanischen Kontinents auf. Mit seiner Geschichte verknüpft Magdalena Schrefel die Geschichte einer jungen Hörspielautorin, die sich in der Gegenwart aufmacht, um diesen historischen Fall zu erzählen, und dabei nicht davor gefeit ist, sich selber in die Geschichte zu verstricken. Ihre Begegnung mit dem „Sandflüchtling“ Ismael, der sie zu einem Lager namens Mount Kong führt, stellt infrage, ob und wie sich dieser historische Fakt überhaupt erzählen lässt – und wer die Deutungshoheit darüber hat.
"Ein Berg, viele ist vor allem ein Hörspiel darüber, dass es kein unschuldiges Erzählen gibt, dass das Geschichtenerzählen immer auch davon handelt, wer erzählen kann, wer gehört wird und wem man Glauben schenkt." (Magdalena Schrefel)
"Wie klingen Fakten? Und wie Fiktion? Macht das überhaupt einen Unterschied? Ein Berg, viele lädt ein zu einer akustisch-imaginären Entdeckungsreise in verschiedene Länder, Zeiten, Biografien und führt uns bis an die gemeinsamen Wurzeln von Wahrheit und Erfindung." (Teresa Hoerl)
Die erfundenen Berge: Historische Karte von Afrika mit den sogenannten "Kong-Bergen" in der Mitte (von West nach Ost verlaufend).
Magdalena Schrefel, geb. 1984, längere Arbeitsaufenthalte in Vukovar und Göteborg, Studium der Europäischen Ethnologie an der Universität Wien sowie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Autorin von Theaterstücken, Hörspielen und Erzählungen. Auszeichnungen u.a. Kleist-Förderpreis 2020 und 3. Else-Lasker-Schüler-Stückepreis 2020 für die Theaterfassung von Ein Berg, viele. Die Uraufführung fand am 26. September 2020 in der Regie von Pia Richter am Schauspiel Leipzig statt. Weiteres Hörspiel Die Bergung der Landschaft (BR/ORF 2020).
"Das Hörspiel führt vor, wie schnell auch ein Hörspielprojekt über koloniale Deutungshoheit sich selbst ad absurdum führen kann, da es sich wieder in ebenjene Erzähltradition einreiht. Die große Leistung von Autorin und Regie (Teresa Fritzi Hoerl) ist aber, mit diesem unvermeidlichen Risiko bewusst umzugehen. Durch eine genau dosierte Überzeichnung von Genre-Klischees, etwa in Bezug auf historisches Erzählen oder auch auf die Meta-Erzählung mit der Redakteurin, stellt das Hörspiel seine eigene Konstruiertheit und damit auch die potenzielle Fragwürdigkeit seiner Konstruktion bewusst aus. Es lädt damit zum Nachdenken über koloniale Verhaltensmuster und Erzähltraditionen ein und lässt den privilegierten, westlichen Hörer ins Zweifeln über die eigene Wahrnehmung kommen."
(Aus der Jurybegründung zum Hörspiel des Monats Oktober 2020)