Wolfgang Müller: Séance 2 Ein Gebärdenspiel
Hörspiel als Gebärdenpoesie
2009 erhielt Wolfgang Müller – Bildender Künstler, Autor, Musiker, Island-Experte – für Séance Vocibus Avium den Karl-Sczuka-Preis für Radiokunst. Die Jury würdigte damit ein Stück, das den Möglichkeitssinn des Hörspiels genial für sich zu nutzen weiß: Müller machte Vögel, die lange vor der Erfindung von Tonband und Mikrofon ausgestorben sind, zum ersten Mal hörbar. Er ließ die Laute von 11 ausgestorbenen Vogelarten von Musikern und Sängern auf Grundlage ornithologischer Texte wiedergeben, mit der Regieanweisung, sich als Künstlerpersönlichkeiten auszublenden und ganz hinter dem darzustellenden Vogel zu verschwinden: "Ihre Aufgabe besteht darin, eine möglichst naturalistische Aufnahme nach dem Studium über Lebensgewohnheiten und Stimme des Vogels zu erzeugen. Das Resultat ähnelt den Feldaufnahmen von Vogelgesängen zur Artbestimmung". Nun führt Müller das Experiment mit der Rekonstruktion ausgestorbener Vögel weiter: Ausgehend von wissenschaftlichen Beschreibungen einer 12. Vogelart, entwickelt er mit Séance 2 erstmalig ein Hörspiel als Gebärdenspiel und erweitert damit das Spektrum medienkünstlerischer Genres.
Wem gehört der Klang
Bereits 1994 produzierte Müller gemeinsam mit Holger Hiller für den BR das Hörspiel unerhört, in dem es um die Bedeutung von Klängen, Geräuschen und Musik für gehörlose Menschen geht. Unter anderem ist die Stimme Gunter Trubes zu hören. Der international bekannte Gebärdenkünstler und Kämpfer für die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache arbeitete mit Wolfgang Müller bereits für dessen Musik-und Performanceprojekt Die Tödliche Doris zusammen. Gunter Trube hat weltweit Gebärdenkünstler und –poeten inspiriert, unter anderem Simone Lönne. Trube betonte in unerhört, dass auch Gehörlose musikalische Vorlieben haben und erzählte in einem Interview, wie sich für ihn bei einem Kinobesuch die Bilder eines Films verändert haben, als ihm eine Freundin die Filmmusik in Gebärdensprache übersetzte. Der Kritiker Hans-Ulrich Wagner fand damals das Vorhaben mit Gehörlosen ein Hörspiel zu machen, bemerkenswert, bemängelte aber, dass die künstlerische Beschäftigung mit der im Hörspiel erwähnten Musikgebärdensprache noch ausstehe. (FUNK-Korrespondenz, 7. Oktober 1994).
Nun denkt Wolfgang Müller diesen Ansatz weiter und kuratiert gemeinsam mit An Paenhuysen die Ausstellung Gebärde, Zeichen, Kunst. Diese präsentiert erstmalig Künstler und Kunstformen, die sich im Spannungsfeld zwischen gehörloser Minderheits- und hörender Mehrheitskultur bewegen. Vertreten sind sowohl Arbeiten gehörloser und hörender Künstler, die sich mit Klang, Musik, Lautsprache, Schrift auseinandersetzen, als auch Arbeiten hörender und gehörloser Künstler, die sich mit Gebärdensprachen und ihren künstlerischen Potenzialen beschäftigen.
Im Kontext dieser Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin (9.11.2012-13.1.2013), entstand auch die Idee zu dem Video Séance 2. Die wissenschaftlichen Beschreibungen einer ausgestorbenen Vogelart werden von Simone Lönne in Deutsche Gebärdensprache - unter Berücksichtigung ihrer inhärenten Möglichkeiten und spezifischen Eigenheiten - umgesetzt.
Wolfgang Müller: Séance 2 - Ein Gebärdenspiel
Mit Simone Lönne
Realisation: Wolfgang Müller
BR 2012