19. November 1835 Volk der Moriori aus dem Paradies vertrieben
Pazifismus funktioniert immer dann am besten, wenn gerade keine Feinde da sind. Sonst wird es ernst. Als das Volk der Moriori am 19. November 1835 im Südpazifik angegriffen wurde, gab es keine Gegenwehr.
19. November
Mittwoch, 19. November 2014
Autor(in): Klaus Uhrig
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Julia Zöller
Es war schon eine merkwürdige Geschichte, die ein namenloser englischer Händler irgendwann im Jahr 1835 seinen maorischen Gastgebern erzählte. Irgendwo da draußen, in den Weiten des Ozeans, hunderte Meilen östlich von Neuseeland, dem Land der Maori, hätte er auf den sogenannten Chatham-Inseln eine Art Paradies gefunden. Ein Insel-Archipel, auf dem ewiger Frieden herrsche.
Diese Paradies-Geschichte war erstaunlich, aber wahr. Denn der Händler erzählte von uralten Verwandten der Maori, den Moriori, Kindeskindern von Ahnen,
die irgendwann von Neuseeland aus nach Osten gesegelt waren. Doch während die Maori eine äußerst kriegerische Kultur pflegten, hatten sich die Moriori für einen ganz anderen Weg entschieden.
Neues Land, neues Leben
Dabei waren die Lebensbedingungen für die Moriori zunächst alles andere als paradiesisch: Ihre neuen Heimatinseln waren viel kälter und windiger als Neuseeland. Ackerbau war fast unmöglich. Die Neuankömmlinge mussten sich umstellen, jagen und fischen gehen. Schnell brachen Verteilungskämpfe unter den Moriori aus, blutige Kleinkriege, bis ... ja bis ein Mann namens Nunuku-Whenua auf den Plan trat. Einer der größten ihrer Häuptlinge. Nunuku erkannte:
Würden die Moriori so weiter machen, wie bisher, wären sie binnen einer Generation verschwunden.
Er erließ ein einziges Gesetz. Es lautete: "Du sollst nicht töten". Und im Gegensatz zu den Christen, die ja ein ähnliches Gesetz haben, hielten sich die Moriori tatsächlich daran. Jahrhundertelang.
Um Streit zu schlichten wurden Versammlungen und Schiedsgerichte eingeführt. Und ein ritualisierter Zweikampf: Darin durften die Kontrahenten jedoch nur einen Stock von Armeslänge benutzen. Und beim ersten Kratzer war der Kampf vorbei.
Mit den Jahrhunderten war den Moriori Nunukus Gesetz in Fleisch und Blut übergegangen. Längst war es mehr als eine praktische Überlebensregel,
es war der ethische Grundsatz ihrer gesamten Gesellschaft geworden. Mittlerweile, so erzählte es der englische Händler seinen Maori- Gastgebern,
würden sich die Moriori nicht einmal mehr wehren, wenn sie angegriffen würden.
Was für eine Geschichte, sagte der Händler. Was für eine Möglichkeit,
sagten sich die Maori. Sie besorgten sich ein britisches Handelsschiff,
rüsteten 500 Krieger aus, und segelten los nach Südosten.
Du sollst nicht töten. Niemals.
Am 19.November 1835 erreichten die Maori die Chatham-Inseln und gingen am Strand der Hauptinsel an Land. Die völlig überrumpelten Moriori hielten eine Versammlung ab. Man müsse doch etwas tun, forderten einige junge Heißsporne. Man müsse selbst zu den Waffen greifen. Nein, riefen die älteren Moriori, Nunukus Gesetz sei heilig. Man dürfe es unter keinen Umständen brechen. Am Ende beschloss die Versammlung:
Man werde sich nicht wehren. Kein Moriori werde jemals wieder einen anderen Menschen töten.
Wir wissen nicht, was genau die Maori-Krieger mit ihren pazifistischen Verwandten anstellten. Wie viel von den Geschichten stimmt, die von gepfählten Moriori am Strand erzählen, von Folter, Kannibalismus und Versklavung. Wir wissen nur: Einige Jahre später waren von 2000 Moriori nur noch hundert am Leben.