25. November 1973 Erster autofreier Sonntag in der Ölkrise
Stau, Umleitung, rote Welle - konnte man sich mal sparen. Damals, an den autofreien Sonntagen, als ganz Deutschland auf den Autobahnen spazieren ging und jeder Weg wenigsten vorübergehend Fußweg wurde. Autorin: Regina Fanderl
25. November
Mittwoch, 25. November 2015
Autor(in): Regina Fanderl
Sprecher(in): Andreas Wimberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Der Tag lässt Allerschlimmstes befürchten! Wirte in Ausflugsgegenden rechnen mit einem baldigen Bankrott. Die Polizei rüstet für einen Großeinsatz. Stadtpolitiker streiten über Sinn und Unsinn von Ampelanlagen. Die Angestellten in den Industrie- und Handelskammern überrollt eine Flut von Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen - und auf den Pferdemärkten (!) schnellen die Preise in die Höhe!
Motorenstillstand!?
Der Tag ist der 25. November 1973. Bundeskanzler Willy Brandt hat die schwere Aufgabe persönlich übernommen und den auto-vernarrten Bürgern der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt, dass an diesem Tag, dem Totensonntag überdies, keiner ein motorbetriebenes Fahrzeug lenken darf. Ausgenommen sind Busfahrer, Rettungskräfte, Ärzte, Diplomaten, Milchlaster-Fahrer und ähnlich wichtige Personen. Wer sich trotzdem ans Steuer setzt, muss sein Fahrzeug stehen lassen und 500 DM Strafe zahlen. An den Werktagen soll via Tempolimit Benzin gespart werden.
Denn sie ist da, die gefürchtete Ölkrise. Die Scheichs haben dem Westen den Hahn zugedreht und das beschert den Deutschen im Ganzen vier fast autofreie Sonntage und ungewöhnliche Freizeiterlebnisse. Für ein paar Stunden vergessen sie die bittere Erkenntnis, dass Öl ein wertvolles und nicht unendliches Gut ist.
Öl-los glücklich
Tatsächlich erinnern sich ältere Mitbürger gerne an das Fahrverbot von damals. Sie erzählen heitere Geschichten: von idyllischen Spaziergängen auf der Autobahn oder von der auffallend guten Luft in den Städten. Schon am frühen Morgen ist in München die erste zweispännige Pferdekutsche unterwegs und in Nürnberg eine Rikscha. In Niederbayern löst ein humorvoller Pfarrer sein Versprechen ein und lässt den Organisten für die tapferen Kirchgeher das Lied "Ja, mir san mi’m Radl da" intonieren.
Skifahrer aus Freilassing, die auf österreichische Pisten wollen, schieben ihre Autos die zwei Kilometer bis über die Grenze. Im Dorf mit der Durchgangsstraße hört man plötzlich fünf Häuser weiter die Nachbarn reden und der Coburger Kulturkongress der CSU muss auf die Hälfte der angemeldeten Teilnehmer verzichten.
Die teils berittene Polizei stellt nur wenige Verstöße gegen das Verbot fest. Bayern 3 sieht sich zwar gezwungen, Autofahrer mit Ausnahme-Genehmigung vor Ski-Langläufern mitten auf der Straße zu warnen und in Nürnberg fällt ein Mann wegen der ungewohnten Anstrengung tot vom Fahrrad. Ansonsten aber verstreicht der Tag ohne größere Zwischenfälle. Ebenso der folgende Sonntag. Und der darauffolgende. Und auch noch der nächste. Ende Dezember ist der Spuk vorbei. Das Öl fließt wieder, die Straßen sind wieder verstopft, der Bayerische Rundfunk meldet wieder Stau - Angesichts dessen ab und zu auch mal wieder so ein autofreier Sonntag… also eigentlich, im Nachhinein betrachtet -