Zentrum für Politische Schönheit Aktionskunst zur Rettung von syrischen Kindern
Fast so gut wie die große Wohltäterin Lady Di macht sich Familienministerin Manuela Schwesig inmitten syrischer Kinder. Die Fotos werben für ein Soforthilfeprogramm des Bundes für 55.000 syrische Flüchtlingskinder und die Aktion erinnert explizit an das britische Vorbild: die Kindertransporte, die 1938/9 10.000 jüdische Kinder vor dem Holocaust retteten. Leider aber stehen nur Künstler, keine Politiker hinter der aktuellen Rettungsaktion!
5,5 Millionen syrische Kinder sind laut aktuellen Meldungen von UNICEF hilfsbedürftig. Grund genug für ein "Soforthilfeprogramm" des Bundes, der am 8. Mai beschlossen hat, vorübergehend 55.000 besonders vom Bürgerkrieg gefährdete Kinder aus Syrien aufzunehmen - gesetzt es finden sich hier genügend Pflegeeltern. Für diese Hilfsaktion wirbt unter der Internetadresse "kindertransporthilfe-des-bundes.de" das Bundesfamilienministerium - scheinbar. Wer sich per Download-Formular als Pflegeeltern bewirbt - das geht auf der Seite ganz fix - oder wer per Hotline weitere Informationen zum Prozedere braucht, landet in Wirklichkeit bei den AktivistInnen der Menschenrechts- und Künstlergruppe Zentrum für Politische Schönheit , im Folgenden kurz ZPS. Denn die beispiellose Rettungsaktion ist leider allein auf ihren Mist gewachsen, das Familienministerium hat sich kurz nach Erscheinen der Webseite von allen Aktivitäten rund um die Kindertransporte distanziert. Schade drum, eine tolle Aktion, oder?
"Eine Art Denk-, Gefühls- und Handlungsfabrik für Menschen, die sich nach mehr sehnen, als nach einem Auto, Haus oder bezahlten Urlaub. Für die, die sich sehnen nach Schönheit, Größe und Vollkommenheit."
So präsentiert sich das ZPS auf seiner Webseite
Die jüngste Aktion zeigt am trefflichsten, was das ZPS ist und wofür es steht. Eben für politische Schönheit. Schönheit in einem betont moralischen Sinne, der zeigt, wie es sein soll, nicht ist! Mit der angekündigten Rettungsaktion für die syrischen Kinder hat das ZPS eine Nachricht geschaffen, die es gern in Wirklichkeit gehört hätte. Da die MenschenrechtlerInnen zuweilen hart angreifen, nennt man ihren Stil auch "aggressiven Humanismus".
"Errichtung moralischer Schönheit" - Stationen des ZPS
- 2008 Gründung: Rund um Philipp Ruch, den studierten Philosophen und Aktionskünstler, Jahrgang 1981, tut sich 2008 eine Gruppe von Künstlern und Menschenrechtlern zusammen, deren Credo salopp gesprochen ist: Wenn unsere Welt so wäre, wie sie sein sollte, wäre sie schön. Und diese Schönheit ist keine Utopie, sondern unsere Aufgabe.
- 2009 Thesen-Anschlag: Zur Schönheit gehört nun einmal Aufmerksamkeit, dass man drüber spricht. Augenzwinkernd, mit Anspielung auf Luthers Reformation und mit sichtlichem Spaß an der Selbstinszenierung treten ZPS- Künstler am 8. Mai 2009 mit ihren Thesen hoch zu Ross ins Licht der Öffentlichkeit. Die erste lautet: In jedem Menschen steckt eine tiefreichende Sehnsucht nach dem Schönen.
- 2009 Auktion: Zur Schönheit gehört das (sich) Verkaufen und Kaufen. Das ZPS bietet eBay Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zum Kauf an. Zustand: "gebraucht, visions- und antriebslos". Schon am folgenden Tag ist dieses Angebot aus dem Netz verschwunden.
- 2010 Mahnung: Den Satz 'Nie wieder Auschwitz' haben sich Ruch und seine Mitstreiter auf die Fahnen geschrieben und sie schlagen mit spektakulären Aktionen Alarm, wenn ein Zivilisationsbruch droht oder in Vergessenheit gerät. 2010, 15 Jahre nachdem 8372 Bosnier unter den Augen der UNO umgebracht worden sind, sammelt das ZPS öffentlich einen ganzen Berg von Schuhen (16744 Stück, also für jedes Opfer ein Paar), um sie in ein Mahnmal für die Opfer von Srebrenica zu integrieren: Eine acht Meter hohe und 16 Meter breite „Säule der Schande“ aus Beton in Form der UN .
- 2012 Denunziation: Deutsche Panzerlieferungen in Krisengebiete? Das beunruhigt zur Zeit des Arabischen Frühlings nicht nur das ZPS. Da solche Lieferungen aber legal sind, sinnt die Künstlergruppe 2012 nach anderen Möglichkeiten, den geplanten Deal zwischen dem Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann und Saudi Arabien zu stoppen – und schießt wohl übers Ziel hinaus. Sie platziert am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin ein gigantisches Fahndungsplakat, auf dem sie 25.000 Euro Belohnung bietet, für Hinweise aller Art, die die Eigentümer des Rüstungskonzerns hinter Gitter bringen. Auch im Internet veröffentlicht das ZPS Steckbriefe der Eigentümer der Rüstungsfirma mit deren privaten Daten und fordert offen zur Denunziation auf. Das bringt der Künstlergruppe um Philipp Ruch nicht nur eine schlechte Presse ein, sondern auch bald eine Klage: Das Kopfgeldplakat und die Steckbriefe werden schnell aus Stadt und Netz entfernt.
Das große Echo - Kunst macht Politik
Mit seiner jüngsten Gemeinschaftsaktion feiert das ZPS wieder große Erfolge: Schon in den ersten Tagen der Aktion melden sich Hunderte potenzielle Pflegeeltern, um syrische Kinder aufzunehmen - lebendige Beweise dafür, wie viel mehr viele Menschen hierzulande bereit sind zu tun, um der gegenwärtigen Flüchtlingskatastrophe zu begegnen! Die einen oder anderen mögen die Anspielung auf den britischen Kindertransport von 1938/9 als zynische Instrumentalisierung kritisieren, aber auch sie erfüllt ihren Zweck: Zwei Holocaust-Überlebende, die vor 72 Jahren durch die Rettungsaktion der Briten der Vernichtung entkommen waren, schließen sich der ZPS an, um für die Aufnahme von mehr syrischen Flüchtlingen im reichen Deutschland zu kämpfen. Das Kunstprojekt findet bald nicht nur virtuell auf der Webseite, sondern auch vor dem Bundesministerium für Familie in Berlin mit Werbe- und Infoständen und Containern statt. Das Medienecho auf die Webseite und die Berliner Aktionen ist so grandios, dass schließlich das Kanzleramt reagiert und Mitglieder der ZPS und die beiden Holocaustüberlebenden zu einem Gespräch einlädt.
Für letztere wird das Gespräch mit den Fachreferenten - die Kanzlerin ist nicht anwesend – ernüchternd. Andere von der ZPS schreiben es auf das Konto der Kunstaktion, dass die Bundesregierung nun weitere 5.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen will. Aber die Kunst-Aktion geht weiter, ganz in dem Bewusstsein, alles bestens vorbereitet zu haben für die Aufnahme von 55.000 Flüchtlingen, wenn denn die Bundesrepublik nur wolte. Der Haken ist nur: Selbst wenn die Bundesregierung zu diesem vorbildlichen Schritt bereit wär, würde damit nur ein Prozent der Kinder gerettet. Und diese bittere Tatsache gibt den neuesten Aktionen der ZPS ihren Namen: "1 aus 100".
"1 aus 100" - Selektion
"Mahnmal gegen die Lebensgefahr und Todesängste syrischer Kinder am Bahnhof Friedrichstraße" , täglich um 20 Uhr ist hier die "1 aus 100" Show
Neben dem Denkmal für die Kindertransporte an der Friedrichstraße hat das ZPS ein Mahnmal aufgebaut: Schiffscontainer auf abends die nacheinander Fotos von Flüchtlingskindern projiziert werden: 100 Bilder von 100 Kindern - aber nur eins von ihnen kann gewinnen, nur eins von ihnen darf nach Deutschland kommen und wird gerettet. Welches Kind das ist, darüber können die Passanten öffentlich abstimmen. Eine Bildershow als Lehrstunde in Selektion? Zynisch? Nicht zynischer wohl als die Realität, in der es vermutlich nicht so transparent zugeht mit der Auswahl der sehr wenigen syrischen Flüchtlingen, die die Bundesrepublik aufnimmt.
Kunst muss politisch sein
Martina Boette-Sonner spricht mit Cesy Leonard vom Zentrum für Politische Schönheit über die Aktionen der Gruppe. Sonntag, 1. Juni 2014, 18.05 Uhr im Kulturjournal auf Bayern 2