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Der Staat und die Ehe

Ungewollt schwanger um 1700 Der Staat und die Ehe

Stand: 09.12.2019

Vom Dienstherrn geschwängerte Hausangestellte. Karikatur. Radierung von James Gillray (1757-1815) | Bild: picture-alliance/dpa

Ein auffälliger Zug frühneuzeitlicher Policey-Ordnungen ist die ambivalente Betrachtung der Sexualität. Sie gilt einerseits als per se sündhaft, ist aber andererseits unverzichtbar für die Erhaltung des Lebens. Kein Sex, keine Nachkommen, an dieser biologischen Tatsache kommt auch der Frömmste nicht vorbei. Den Ausgleich zwischen beiden Polen schafft die christliche Ehe. Sie steht seit dem 11. Jahrhundert unter kirchlicher Aufsicht, hat sakralen Charakter, ist unauflöslich und kann nur mit dem Segen der Kirche gültig geschlossen werden. Ein romantisches Herzensbündnis ist sie vermutlich selten, meist eher eine Zweckgemeinschaft zur Erzeugung legitimer Erben und erfolgreichen Wirtschaftens. Last but not least fungiert sie als kirchlich sanktionierte Triebabfuhr oder, um es mit Luther zu sagen, "als "Arznei gegen Hurerei von Gottes Gnaden".

Im sicheren Hafen der Ehe

Für die überwältigende Mehrzahl aller Frauen ist die Ehe darüber hinaus die einzige wirtschaftliche und soziale Absicherung, ja die einzige legitime Lebensform schlechthin. Frauen sind im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit zwar nicht rechtlos, aber rechtlich weitgehend handlungsunfähig. Solange sie unverheiratet sind, unterstehen sie ungeachtet ihres Alters der Vormundschaft (Munt / Muntgewalt) des Vaters oder eines männlichen Verwandten; mit der Heirat gehen sie aus der Vormundschaft (Munt) ihres Vaters oder seines männlichen Stellvertreters in die Vormundschaft ihres Gatten über.

Hauptpfeiler der guten Ordnung

Warum der Staat ein so starkes Interesse an der Durchsetzung und Aufrechterhaltung der Kontrolle über die Ehe hat, ist offensichtlich: Zum einen ist sie von Gott eingesetzt und zumindest im katholischen Bereich sakramental geheiligt, zum andern spiegelt und festigt ihr hierarchisches Gefüge die Ordnung der Welt. Dem Vater, der die Familie nach außen vertritt und schützt, der sie erhält und ernährt, der das alleinige Hausregiment ausübt und Gehorsam fordert, entspricht im Großen dem Staat mit dem gesetzgebenden, schützenden Fürsten an der Spitze. Um diesen "Hauptpfeiler der guten Ordnung" zu stärken, wird alles zum Verbrechen deklariert, was die Institution der Ehe gefährdet.

Hauszucht statt Unzucht

Gefahr droht dem "heiligen Ehstand" vor allem aus einer Ecke: Der Lust an der Lust und am Seitensprung, am Ehebruch. Damit beginnt eine folgenschwere Kriminalisierung der Sexualität schlechthin. Einschlägig ist auch hier die zeittypische Verflechtung kirchlich-moralischer und rechtlicher Gründe. Denn der Ehebruch beleidigt nicht nur Gott, indem er gegen das sechste Gebot verstößt, er steigert zugleich das Risiko außerehelich gezeugter Nachkommen. Da der Vater für alle in der Ehe geborenen Kinder einstehen und aufkommen muss, schützt ihn das strenge Monogamiegebot davor, "Kuckuckskinder" aufziehen. In einer Zeit ohne Vaterschaftstests hat die Eindämmung des Ehebruchs also durchaus eine erhebliche familien- und erbrechtliche Brisanz.

Abschreckung und Strafe

Ertappte Ehebrecher müssen je nach Stand, Schwere und Häufigkeit mit empfindlichen Strafen rechnen. Die Palette der auferlegten Vergeltung reicht von Geld- und Ehrenstrafen über Haft- und Leibstrafen bis hin zum zeitweiligen oder ewigen Landesverweis. Selbst der Adel kann seines Vorbildcharakters wegen weder auf Sonderrechte noch Milde hoffen. Der Strafkatalog sieht ausgesprochen hohe Geldbußen vor, Wiederholungstäter setzen ihre Privilegien, ihre Titel und sogar ihr Leben aufs Spiel. Adlige Damen werden auf Zeit von gesellschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen und dürfen weder ihren Schmuck noch standesgemäße Kleidung tragen. Im Wiederholungsfall kann ihr Heiratsgut eingezogen oder die Todesstrafe ausgesprochen werden.

Keine Ehe, kein Sex!

Vollends fatal wird die Ächtung und Kriminalisierung außerehelicher Sexualität jedoch erst durch die Beschneidung der Ehefreiheit. Denn heiraten kann längst nicht jeder wann und wen er will. Die Eheschließung setzt eine Heiratserlaubnis der Obrigkeit voraus. Zuständig ist je nach Stand und Wohnort beispielsweise entweder die Gemeinde, die Stadtverwaltung oder der Grundherr. Die Bewilligung ist an den Besitzstand gebunden: Hochzeit halten darf nur, wer sich, seine Frau und seine Kinder selbstständig ernähren kann.

Dass man unvermögliche Leut nit sollte heiraten lassen

Moralische Bedenken oder schlichte Willkür sind nicht der ausschlaggebende Grund für die rigide Haltung der Obrigkeit. Der Staat, vertreten durch fürstliche, grundherrschaftliche, städtische und kommunale Instanzen, hat ein höchst vitales Eigeninteresse an der Beschränkung der Eheerlaubnis und der Eindämmung außerehelicher sexueller Aktivitäten. Wie immer geht es ums Geld. Genauer gesagt um die Kosten der Armenfürsorge. Dafür waren im Mittelalter vorwiegend private und kirchliche Institutionen wie Klöster, Bruderschaften, Innungen und Stiftungen für die Armenfürsorge zuständig. In der frühen Neuzeit wird die Armenfürsorge jedoch zur öffentlichen Aufgabe. Da jede Stadt oder Gemeinde ihre Armen selbst ernähren und erhalten muss, wird der Ruf nach einer staatlichen Eindämmung der Armutsproblematik laut.

Ehehindernisse erleichtern die Sozialkontrolle.

Das Ziel der Ehebeschränkung ist eindeutig: Sie soll durch erzieherische und abschreckende Maßnahmen verhindern, dass die Armen immer mehr Kinder in die Welt setzen, das Heer der Mittellosen vergrößern und die städtischen oder kommunalen Kassen belasten. Obendrein kosten die Armen nicht nur Geld, aus staatlicher Sicht stören sie den bürgerlichen Frieden, neigen zur Zusammenrottung, zu Aufruhr und Gewalt. Kurz gesagt: Da Arme wieder nur Arme, Bettler, Landstörzer, Diebe und Aufrührer zeugen, bleibt ihnen die Ehe verwehrt. Die bayerische Land- und Polizeiordnung von 1616 bringt die Sache ungeniert auf den Punkt: "Deßgleichen sollen auch die Burgerliche Obrigkeiten in Stätten und Märckten / die leichtfertige Heurat nicht gestatten / auch solche unvermögliche Leut / die ihr Nahrung one beschwerde der andern Burger nit haben künden / zu Burgern nit auffnemen / noch sie in Stätten und Märckten underkommen lassen."

Das Heer der Ledigen

Da die Heimatgemeinde für in Not geratene Menschen aufkommen muss, trachtet man danach, möglichst wenig "unvermögliche Leut" durchfüttern zu müssen. Dienstboten sind daher seit 1553 mit einem generellen Heiratsverbot belegt, aber auch Tagelöhner haben kaum eine Chance zur Familiengründung. Schätzungen zufolge sind im 17. und 18. Jahrhundert bis zu 50 Prozent der Bevölkerung aufgrund mangelnden Vermögens von einer Ehe ausgeschlossen. Das Übel setzt sich lange fort: Noch im 18. und 19. Jahrhundert gilt Fabrikarbeit als Grund, eine Eheerlaubnis zu verweigern, die grundsätzliche Ehefreiheit wird erst 1876 eingeführt.

Sexualität als Ziel staatlicher Reglementierung

Zweifelhaft ist allerdings, ob die rigide Form der Geburten- und Sozialkontrolle die gewünschte Wirkung tatsächlich entfaltete. Sie kann zwar dafür sorgen, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung armutsbedingt keine Heiratserlaubnis bekommt und ledig bleiben muss, aber nicht dafür, dass die Zahl unehelich geborener Kinder sinkt. Geschätzt zehn Prozent aller im 17. und 18. Jahrhundert in Bayern geborenen Kinder sind "Bankerte" und in den Münchner Vorstädten kommt sogar fast jedes zweite Kind außerehelich zur Welt. Wo diese Kinder entstehen, sagt ihr Name: Bankert heißen sie nach der Bank, auf der die Dienstboten und Mägde schlafen.

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Das Liebespaar, Holzschnitt, 16. Jahrhundert | Bild: picture-alliance/dpa zum Thema Ungewollt schwanger um 1700 Katharina Hochstrasser

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