Bayern 2 - Zündfunk

Gilda Sahebi über den Iran “Ich glaube, dass dieses Regime irgendwann stürzen muss”

Ein Jahr ist es her, dass Jina Mahsa Amini im Iran gestorben ist und auch sich die Proteste verändert haben, bricht der Widerstand gegen das Regime im Land nicht ab. Wir haben mit der Autorin und Journalistin Gilda Sahebi über die neue Form des Protestes im Iran, die Berichterstattung darüber und die Zukunft des Landes gesprochen.

Von: Florian Schairer

Stand: 18.09.2023

Während einer Demo ist ein Bild der 22-jährigen Mahsa Amini zu sehen, die im Iran nach ihrer Verhaftung durch die Sittenpolizei gestorben ist. | Bild: pa/dpa/Bodo Marks

Am Samstag, den 16. September 2023 ist es ein Jahr her, dass die Kurdin Jina Mahsa Amini ums Leben kam, nachdem sie von der iranischen Sittenpolizei festgenommen wurde. Die Autorin und Journalistin Gilda Sahebi musste selbst aus dem Iran fliehen und ihr Vater ist damals dem Regime nur knapp entkommen. Als Autorin für ARD, Spiegel, Taz und in ihrem Buch “Unser Schwert ist Liebe” berichtet sie über die derzeitigen Proteste.

Zündfunk: Haben Sie mit der Protestwelle nach dem Tod Jina Mahsa Amini gerechnet? 

Gilda Sahebi: Ich habe damit nicht gerechnet, das war ja ein Fall von Vielen. Erst zwei Monate bevor Jina Mahsa Amini ermordet wurde gab es auch eine junge Frau, die ihr Kopftuch bewusst abgenommen hat in der Öffentlichkeit. Dafür wurde sie festgenommen, gefoltert, misshandelt und musste dann im Fernsehen mit offensichtlichen Foltermerkmalen im Gesicht ein Zwangsgeständnis abgeben. Der Moment, wo ich gemerkt habe, das etwas grundsätzlich anderes ist, war der Tag ihrer Beerdigung am 17. September. Sie war ja Kurdin. Sie ist in ihrer Heimat in Saris, das ist eine kurdische Stadt, beerdigt worden. Da kam es dann zum ersten Mal zu diesen Bildern, wo ganz viele Frauen auf einmal ihre Kopftücher abgenommen haben, in der Luft geschwenkt haben und “Jin, Jiyan, Azadi” gerufen haben, also auf kurdisch “Frau, Leben, Freiheit”.

Sie haben seitdem für verschiedene Medien über die Proteste berichtet und auch ein Buch veröffentlicht mit dem Titel “Unser Schwert ist Liebe”. Da bekommt man einen ziemlich tiefen Einblick in das Innere der Bewegung. Sie beschreiben die Rolle von Musik und Popkultur auf der einen Seite und die unglaubliche Gewalt der Machthaber auf der anderen, aber natürlich auch diesen Todesmut, den viele Protestierende ja an den Tag legen. Was macht diese Bewegung aus, dass die Menschen sich das trauen? Woher kommt dieser Mut? 

Ich spreche tatsächlich immer ungern von Mut, weil ich das Gefühl habe, dass man dabei etwas auf die Menschen drauf projiziert, was sie selber vielleicht gar nicht so empfinden. Viele von ihnen haben natürlich Angst und gleichzeitig ist eben diese Gewalt so groß und der Ausweg daraus nicht da, dass es für viele, viele, viele Menschen der einzige Weg ist, zu protestieren. Es gibt zwei Alternativen: entweder in dieser unglaublichen innerlichen und äußerlichen Gefangenschaft weiterleben oder sich wehren. Ich habe in meinem Buch am Ende eine Liste von Ermordeten von September bis Januar und wir haben da in Klammern das Alter der Ermordeten geschrieben. Wenn man sich das anguckt, da ist ganz viel zwischen 15 und 20. 

Jetzt haben wir in letzter Zeit nicht mehr so viel aus dem Iran gehört. Liegt es daran, dass wir da nicht mehr so richtig hinschauen oder sind die Proteste zum Erliegen gekommen? 

Gilda Sahebi, Journalistin und Autorin

Also der Widerstand ist auf keinen Fall zum Erliegen gekommen. Die täglichen Proteste, die wir im Herbst und Winter hatten, gibt es aber seit Anfang des Jahres nicht mehr - nach den ersten Hinrichtungen von Protestierenden. Das hat viele Menschen im Land in so etwas wie eine Schockstarre geführt, weil das ein Trauma ist und die Menschen an die Massenhinrichtungen in den 80er Jahren erinnert. Der Protest hat eine andere Form angenommen. Es gibt unglaublich viel Widerstand, der absolute Großteil der Bevölkerung ist gegen dieses Regime und es zeigt sich auf verschiedenste Arten und Weisen, nur eben nicht mehr im täglichen Protest.  
Warum wir hier weniger hören, hat glaube ich eher mit der allgemeinen Problematik der Berichterstattung zu tun. Dass wir meistens erst hinschauen, wenn es ein großes Ereignis gibt oder irgendwas, an dem wir was aufhängen können. Natürlich ist der Iran nicht das einzige Land der Welt, über das man ständig berichten müsste. Über viele Regionen der Welt wird noch weniger berichtet, als über den Iran. Gleichzeitig glaube ich, es wäre wichtig, dass man Auslandsberichterstattung etwas kontinuierlicher macht und die Zusammenhänge erklärt. Also nicht nur reinschaut, wenn die große Schlagzeile wiederkommt, sondern zum Beispiel, wenn es die Meldung gibt, dass Iran in den Staatenbund BRICS plus eintreten will. Warum ist das denn so? Dieser Versuch, sich außenpolitisch zu stabilisieren, hat mit der innenpolitischen Instabilität zu tun. 

Wenn Sie sagen, der Widerstand ist nicht geringer geworden, er funktioniert jetzt nur anders, wie funktioniert er denn? 

Das sichtbarste Zeichen ist natürlich die vielen Frauen, die ihre Kopftücher weiter nicht tragen, trotz aller Repressionen und trotz aller Gewalt, die dieses Regime in extremer Art und Weise ausübt. Seit Monaten schon, weil sie seit Monaten alles probieren, um die Kopftuchpflicht wieder durchzusetzen, was ihnen aber absolut nicht gelingt. Auch Männer, die kurze Hosen anziehen. Das klingt immer so banal, aber es ist halt verboten im Iran für Männer kurze Hosen anzuziehen. Ich hatte diese Woche mit einem Freund gesprochen, der von der Sittenpolizei festgenommen wurde, weil er eben eine kurze Hose getragen hat. Das sind sozusagen die sichtbarsten Zeichen.  

Karin Senz, die ARD-Korrespondentin im Iran, war im Juni zum ersten Mal seit einem Jahr da und hat gesagt, dass draußen Musik gemacht und getanzt wird. Das ist fast so eine Stimmung in den Städten wie bei einem Festival im Sommer, was unvorstellbar gewesen wäre für mich vor einem Jahr. 

Also gibt es aus Ihrer Sicht da noch eine Chance, dieses iranische Regime zu beseitigen? Und was müsste Deutschland oder Europa tun, um da zu helfen ihrer Meinung nach?

Ich würde gar nicht von Chance sprechen. Ich glaube, dass dieses Regime irgendwann stürzen muss. Ich glaube, dass es gar nicht anders geht. Weil das Regime nur Gewalt hat, mit der es herrscht. Nehmen wir als Vergleich Saudi-Arabien. Auch das ist eine autoritäre Diktatur, die Gewalt ausübt, und gleichzeitig bietet sie ihren Menschen so viel. Ob es jetzt Wohlstand ist oder auch Freiheiten, die sich in den letzten Monaten vergrößert haben. Es erzählen mir auch Menschen aus Saudi-Arabien, dass der Widerstand einfach kleiner ist, obwohl das ein unglaublich gewalttätiges Regime ist. Da haben wir gerade den Bericht von Human Rights Watch gesehen, dass sie Migranten an den Grenzen erschießen. Das iranische Regime hat nichts dergleichen, die haben nur Gewalt. Es gibt überhaupt nichts mehr, was dieses Regime seiner eigenen Bevölkerung bieten kann. 50.000 von 70.000 Moscheen mussten schließen in den letzten Jahren, weil die Menschen einfach nicht mehr in die Moscheen gehen. Es gibt im Prinzip nichts mehr, was die Menschen mit diesem Regime verbindet.  

Ich glaube, dass es da keinen anderen Weg mehr gibt, als dass dieses Regime fällt. Irgendwann, weil das ist tatsächlich unmöglich zu sagen, wann. Das kann noch viele Jahre dauern, aber es wird stürzen. Das hat man, glaube ich, hier bei uns nicht verstanden. Man orientiert sich immer noch weiterhin am Regime und nicht an den Menschen. Das sieht man daran, dass sich in der Iran-Politik nichts geändert hat im letzten Jahr. Dass nicht konsequent sanktioniert wurde, dass nicht die Revolutionsgarden auf die Terrorliste gesetzt wurden, dass nichts dafür getan wurde, dass diese Straffreiheit, die im Iran für diese Verbrecher herrscht, endet. Das müsste sich eigentlich alles ändern, aber ich glaube nicht, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird.