Zurück in die Vergangenheit Die verschiedenen Strömungen der AfD
Bei den Kritikern der AfD regt sich Hoffnung: Vielleicht demontiert sich die Partei selber, so zerstritten wie die verschiedenen Lager sind? Auf europäischer Ebene hingegen schmiedet die AfD Allianzen mit anderen Rechtspopulisten. Wer will was und wie arbeitet die AfD? Wir haben mit dem Soziologen Andreas Kemper gesprochen.
Zündfunk: Die AfD gibt es jetzt seit drei Jahren - eigentlich eine junge Partei, aber seit der nationalkonservative Flügel übernommen hat, kommen einem die Parolen extrem alt vor. In welcher Tradition sehen sich die jetzigen ideologischen Vordenker der AfD, was sind das für Netzwerke?
Andreas Kemper: Es gibt drei Strömungen: Die Björn Höcke-Fraktion, zu der auch Gauland und Poggenburg usw. gehören, die nationalkonservativ bis faschistisch sind und rassistische Positionen vertreten. Dann gibt es eine neoliberale Position, die wollen einen Minimalstaat einführen. Einige von denen fordern, dass das Rentensystem abgewickelt werden soll, dass alles privatisiert werden soll, also noch sehr viel neoliberaler als die FDP. Und die dritte Strömung ist die christlich-fundamentalistische um Beatrix von Storch: Sie sehen sich als „ultra-katholisch“ oder „ultra-evangelikal“. Prinzipiell wollen alle mehr Ungleichheit: Die letzte Fraktion will mehr Ungleichheit zwischen Frauen und Männern, die neoliberale Fraktion mehr Ungleichheit zwischen arm und reich und die rassistische Position will mehr Ungleichheit zwischen Deutschen und nicht Deutschen.
Sie halten auch Vorträge über christlichen Fundamentalismus und die Rolle der AfD. Was sind das für Verbindungen und warum gibt es da sogar Verbindungen bis nach Russland?
Die christlichen Fundamentalisten sind innerhalb der AfD relativ stark. Die haben einen eigenen, den sogenannten Pforzheimer Kreis, „Christen in der AfD“ heißt der. Das sind radikale Abtreibungsgegner. Beatrix von Storch macht zum Beispiel in Berlin immer diesen „Marsch für das Leben“, bei dem Strafrechtsverschärfungen für Abtreibung gefordert werden. Es gibt Unterstützung vom rechten Rand der AfD, von einer Gruppierung, wo eher der orthodoxe Glaube im Mittelpunkt steht. Da gibt es auf jeden Fall gegenseitige Unterstützung: Gemeinsam gegen das „verschwulte Europa“, wie sie das nennen, „Gayropa“ - ein viel zu dekadentes Europa, weil hier die Homoehe zugelassen ist. Und dagegen wird gekämpft.
Solche Bewegungen gab es auch schon bevor es die AfD gegeben hat, warum sammeln sie sich dort?
Die sammeln sich dort, weil denen die CDU/CSU nicht mehr konservativ genug ist. Für diese Leute fehlt eine Partei, die wieder zurück will in die 50er Jahre oder sogar noch weiter zurück.
Dieses „Zurück in die Vergangenheit“-Prinzip findet man nicht nur bei der AfD sondern auch beim Front National. Ein florierendes Frankreich, wie man es vielleicht in den 50er Jahren hatte. Man kann es auch bei UKIP sehen. Zwischen all den Politikern gibt es ja auch Kontakte, man besucht sich auf Wahlfeiern. Wird es da eine Allianz geben oder vertreten diese ganzen Parteien doch eher nationale Interessen?
Die Allianz ist bereits gegründet worden. Es gibt ein enges Bündnis zwischen der AfD und der FPÖ aus Österreich, die nennen sie die „Blaue Allianz“. Gerade hier in Bayern ist sie sehr intensiv. Das läuft schon länger, die tauschen immer wieder Referenten aus. Heinz-Christian Strache, der Chef der FPÖ, und Frauke Petry sind ganz dick miteinander und besteigen zusammen Berge. Inzwischen gibt es auch eine weitergehende, von Marcus Pretzell ausgerufene Allianz. Er und Beatrix von Storch sind jetzt im Europäischen Parlament zu den rechten Fraktionen gegangen, um eine Klammer zu schließen. Sie wollen eine gemeinsame rechte Fraktion aufbauen. Vor zwei, drei Wochen gab es - auf Einladung der FPÖ - ein Treffen unter dem Motto „Der patriotische Frühling“. Dort haben Strache, Pretzell und Le Pen gemeinsam auf dem Podium gesessen.
Eine Gemeinsamkeit der rechtspopulistischen Parteien ist: Man verkauft Angst. Dieses typische „Wir gegen die anderen“. Und gerade beim Brexit hat man gesehen, es fehlen die positiven Gegengeschichten. Was kann man dieser Angstmache entgegensetzen?
Sie arbeiten mit Angst. Und sie arbeiten sehr viel mit Bildern. Der Philosoph Ernst Bloch hat damals herausgearbeitet, dass die Nazis sehr viel mit dem „Wärmestrom“ gearbeitet haben: Familie, Heimat, der deutsche Wald - das waren Bilder, die die angeboten haben. Und das funktioniert heute immer noch.
Was bedeutet denn Wärmestrom?
Wärmestrom und Kältestrom. Kältestrom ist das, was Linke gut können: Analysieren, Logik, und so weiter. Rechte bedienen sich eher an Bildern. Was heute fehlt sind positive Bilder, konkrete Utopien. Was ich sehr gut fand war die Willkommenskultur für die Geflüchteten. Es gibt wohl kein konkreteres Bild für Wärme als ein Willkommen. Ich fände es gut, wenn diese Willkommenskultur weitergeführt würde. Dass beispielsweise auch bei Arbeitslosen gilt, ihr seid willkommen als Menschen, es gibt keinen Generalverdacht gegen euch.
In Baden-Württemberg haben sich jetzt 13 Landtagsabgeordnete abgespalten und die „Alternative für Baden-Württemberg“ gegründet. Grund ist, dass sie nicht weiter mit Wolfgang Gedeon zusammen arbeiten wollten, dem Antisemitismus vorgeworfen wird. Wieso hat eine Partei, die in Teilen so offen xenophob ist, dann doch ein Problem mit Antisemitismus?
Aufgrund der deutschen Vergangenheit, aufgrund der Shoa, werden deutlich antisemitische Positionen gesellschaftlich isoliert. Die AfD kann sich Rassismus leisten, aber keinen offenen Antisemitismus. Das hatte sich schon bei Thilo Sarrazin gezeigt, dessen rassistische Positionen erst zu dem Zeitpunkt international für Aufmerksamkeit sorgten, als er vom „Juden-Gen“ sprach. Es geht der AfD nicht um das Problem, dass sie Antisemiten in ihrer Reihe haben, sondern sie sorgen sich um ihre Außendarstellung. Björn Höcke, der noch im Dezember ein antisemitisches Pamphlet von Gedeon empfahl, und der meiner Ansicht nach deutlich rechts von Gedeon einzuordnen ist, arbeitet eng mit Meuthen und Gauland zusammen. Die AfD kann sich eine Distanzierung vom Hinterbänkler Gedeon leisten, sie kann sich anscheinend aber keine Distanzierung von Björn Höcke und seiner Truppe leisten.
Wie schätzen Sie das ein: Wenn sich eine Landtagsfraktion wie in Baden-Württemberg so selbst zerlegt, hat das dann bundesweit Auswirkungen auf die AfD?
Die Auseinandersetzung in Baden-Württemberg ist ein Machtkampf zwischen Petry und Meuthen und kein landesinterner Streit. Wir befinden uns hier bereits auf der Ebene bundesweiter Kämpfe hinsichtlich der Bundestagswahl 2017. Petry gewann damals den Kampf gegen Lucke. Meuthen hat aber das völkisch-nationale Lager von Höcke und Gauland hinter sich. Es kann also gut sein, dass Petry diese Auseinandersetzung verlieren wird. Gewonnen hat bislang immer das völkische Lager.