Bayern 2 - radioWissen


3

Fragile Lebensräume Hintergrund

Stand: 30.06.2011

Blutstropfen

Schon im antiken Griechenland waren Korallen für die Menschen etwas Besonderes. Entstanden aus den Blutstropfen der Gottestochter Medusa, die durch ihren Blick jeden Menschen zu Stein erstarren ließ. Und die deshalb vom Helden Perseus geköpft worden war. Heute sehen wir das vielleicht ein bisschen bodenständiger. Doch von den Korallen sind wir immer noch fasziniert. Besonders ihre Riffe haben es uns angetan.

Tropische Artenvielfalt

Korallenriffe werden auch die Regenwälder der Meere genannt. Zwar machen sie nur etwa 0,1 Prozent der Erdoberfläche aus – doch sie werden weltweit von mehr als einer Million Tier- und Pflanzenarten bewohnt. Größtes Korallenriff der Erde ist dabei das Great Barrier Reef. Man kann es sogar vom Mond aus sehen. Es liegt vor der Ostküste Australiens und ist mit rund 345.000 Quadratkilometern fast so groß wie die Bundesrepublik Deutschland.

Pflanze oder Tier?

Ein Tauchgang und man ist in einer anderen Welt. Einer bunten Welt – von Korallen gebaut. Hier leben Rochen, Haie, Clownfische, Seegurken und Anemonen. Viele von ihnen leuchten in den schönsten Farben. Die Korallen selbst haben manchmal die Form eines Fächers. Oder sie sehen wie Pilze, Geweihe oder kleine Unterwasser-Blumensträuße aus. Oft werden sie deshalb mit den Pflanzen verwechselt. Doch Korallen sind Tiere.

Wehrhafte Polypen

Genau genommen bestehen Korallen aus einer ganzen Kolonie von Tieren – den so genannten Polypen. Das sind längliche Hohltiere, die mit bloßem Auge kaum zu erkennen sind. Sie haben zwar keine Beine, dafür aber eine Fußscheibe. Mit der halten sich die Winzlinge am Untergrund fest. Am Kopfende sitzen die Tentakel und so genannte Nesselzellen. Deswegen gehören Korallen auch zum Stamm der Nesseltiere. Ebenso wie Seeanemonen, Quallen und die portugiesische Galeere. Für Taucher können deren Nesselzellen gefährlich sein. Denn sie enthalten ein Giftgemisch, das bei manchen Arten zum Tode führen kann.

Auch Korallen setzen ihre Nesselzellen zur Abwehr oder zum Beutefang ein. Taucher oder Schwimmer gehören freilich nicht in ihr Beuteschema. Die Winzlinge fangen aus der Wassersäule lieber Planktonteilchen, Algen-Partikel oder kleine Ruderfußkrebse heraus.

Unterwasser-WG

Viele Korallen sind außerdem auf so genannte Zooxanthellen angewiesen. Das sind einzellige Algen, die im Gewebe der Korallen zur Untermiete wohnen (Endosymbiose). Ihre Miete zahlen sie in Naturalien – u.a. mit Zucker, den sie durch Photosynthese gewinnen. Dafür brauchen sie Kohlendioxid und Wasser, dass sie im Gegenzug von den Korallen erhalten. Eine Wohngemeinschaft, von der beide profitieren. Und die sich vor allem in tropischen Gewässern findet. Denn dort ist das Wasser gleichmäßig warm und es gibt genügend Sonnenlicht. Das ist für die Photosynthese der Algen ebenfalls wichtig.

Algen spielen aber nicht nur bei der Ernährung vieler Korallen eine Rolle, sondern auch bei deren Wachstum. Und manchmal auch bei deren Farbe – vor allem wenn es sich um grüne oder braune Exemplare handelt. Außerdem helfen sie den Korallen beim Aufbau ihres Kalkskeletts.

Dunkel und kalt

Korallenriffe gibt es aber nicht nur in tropischen Gewässern. Sondern auch in Nord- und Ostsee – oder im kühlen Nordatlantik. In jüngster Zeit wurden dort mehrere Arten von Kaltwasserkorallen entdeckt, die offensichtlich in großen Tiefen überleben können. Sie haben keine endosymbiontischen Untermieter und sind damit auch nicht abhängig vom Sonnenlicht. Meist sind sie deshalb farblos oder eher grau. Außerdem wachsen die lichtscheuen Gesellen langsamer als ihre tropischen Verwandten.

Schicht für Schicht

Korallenriffe entstehen, weil sich junge Polypen auf den grauen Kalk-Skeletten toter Korallen ansiedeln. Verkalkte Korallenreste sind also der Grundstock für neue Polypen-Kolonien. Die Kalkablagerungen erweitern das Riff und wachsen Schicht für Schicht. Meist stammen sie von toten Steinkorallen. Diese bilden ein festes Kalkskelett aus und werden deshalb auch Hartkorallen genannt.

Weichkorallen wie das Kenia-Bäumchen sind da anders. Sie können zwar ähnlich hoch werden wie Steinkorallen. Ihre Steifigkeit erhalten sie aber u.a. durch den Wasserdruck – und durch kleine Kalknadeln, die sie in ihr weiches Gewebe einlagern.

Sonnendurchflutet

Tropische Korallenriffe entstehen vor allem in Gewässern, die bis zu 50 Meter tief sind. Grund: Ihre Untermieter, die Zooxanthellen, brauchen das Sonnenlicht. Es gibt aber auch Riffe, die bis zur Wasseroberfläche ragen. Das Great Barrier Reef ist, wie der Name schon sagt, ein großes Barriere-Riff. Eine Lagune trennt es auf einer Seite von der Küste. Und auf der anderen Seite fällt es bis zu 2.000 Meter tief ab. Im Gegensatz zu einem Plattenriff verläuft es also nicht nur auf dem Meeresboden. Es ist auch nicht in direkter Küstennähe entstanden – wie ein Saumriff. Oder in der Nähe von vulkanischen Inseln, wie ein Atoll.

Kurze Paarungszeit

Korallen haben auch Sex. Zumindest vermehren sie sich auf geschlechtlichem Wege. Die so genannte Korallenblüte ist unter Tauchern ein Geheimtipp. Einmal unter Wasser sein, wenn die Steinkorallen ihre Eizellen und Spermien ins Wasser abgeben. Im besten Fall entwickelt sich daraus eine schlauchartige Planula-Larve. Der Winzling schwimmt so lange herum, bis er sich auf passendem Untergrund festgesetzt hat. Dort wächst er dann zu einem Polypen heran. Das einzigartige Naturschauspiel findet nur einmal im Jahr statt. Allerdings lockt es auch die ganze Nahrungskette an. Groß frisst klein. Und klein frisst, was übrig bleibt.

Der kleine Polyp teilt sich immer weiter, bis schließlich eine riesige Kolonie entsteht. Er vermehrt sich also ungeschlechtlich – durch Knospung. Dabei ist jedes der Tierchen eng mit dem anderen verwandt; eine Ansammlung genetisch gleicher Klone.

Jobsharing am Riff

Auch Korallenfische haben einiges gemeinsam. Sie sind meist sehr flach gebaut, um sich wendig zwischen den Korallen zu bewegen. Selbst ihre Farben haben sie an die bunte Umgebung angepasst – als Kontaktbörse, Tarnfarbe oder Drohsignal. Viele von ihnen leben in Nischen. Jungfernfische pflegen wie Rasenmäher die Algenbestände auf den Korallen. Papageienfische zernagen abgestorbenes Kalkmaterial; nehmen es dabei wie Staubsauger auf. Und es gibt wahre Wellness-Salons. Dort arbeiten Putzer, die anderen Fischen die Zähne säubern oder sie mit einer Massage verwöhnen.

Schäden am Riff

Das Great Barrier Reef ist derweil über 18 Millionen Jahre alt. Es überlebte Eiszeiten, Meeresanhebungen und auch Larry. Der Wirbelsturm hinterließ im Jahr 2006 eine breite Schneise im Riff. Besonders fies sind auch die Dornenkronen. Die gefräßigen Seesterne setzen sich auf die Korallen und saugen sie aus ihrem Kalkgehäuse. Darüber hinaus machen dem Riff Ölreste aus Booten, Anker, tauchende Touristen, Düngemittel und Schleppnetze zu schaffen.

Was den Forschern wohl aber wirklich Sorgen bereitet, ist der Klimawandel. Knapp ein Fünftel der Riffvorkommen scheint bereits zerstört. Übeltäter ist der Treibhauseffekt. Das Meer wird dadurch teilweise wärmer – für die endosymbiontischen Algen zu warm. Das bringt auch die Korallen in Hitzestress. Sie bleichen aus und sterben im schlimmsten Fall ab.

Bunt und schützenswert

Australische Forscher entwickeln zur Zeit eine Art Sonnenschirm – Stoffbahnen, die an Holzstegen befestigt sind. Sie sollen den Korallen Schatten bieten und das Ausbleichen verhindern. Doch das Ganze ist sehr kompliziert. Weitere Gedankenspiele: Sprühanlagen, die feinen Wassernebel über dem Ozean verteilen. Dazu künstliche Riffbälle oder Schiffswracks als Kletterhilfen. Taucher können dagegen etwas Konkretes tun: Nicht mit den Flossen hängen bleiben, nichts berühren oder als Souvenir mitnehmen. Das Korallenriff – faszinierende Tierwelt und kein verkalkter Pflanzenfriedhof. Wohnraum, Schlafzimmer, Jagdrevier und Geburtsstätte unzähliger exotischer Lebewesen. Eine bunte und schützenswerte Metropole im Meer.

Steckbrief des Great Barrier Reefs

  • Lage: vor der Ostküste Australiens
  • Länge: ca. 2.500 Kilometer, erstreckt sich vom südlichen Wendekreis bis nach Papua Neuguinea.
  • Größe: ca. 345.000 Quadratkilometer – fast so groß wie die Bundesrepublik Deutschland.
  • Besteht aus ca. 3.000 Einzelriffen, 600 Korallen-Inseln. Herzförmiges Heart-Reef liegt vor Queensland.
  • Alter: rund 18 Millionen Jahre
  • Im Jahr 1981 zum UNESCO Weltnaturerbe erklärt. Grund: die Artenvielfalt.
  • Lebensraum für: etwa 1.500 Fisch-, 4.000 Weichtier-, 400 Schwamm-, 300 Korallenarten
  • Beispiele: Clownfische, Papageienfische, Seegurken, See-Anemonen, Stachel- und Mantarochen, Langusten, Haie und viele mehr.

3