Bumeders Buchtipps Die Bayerische Sommerbücherschau 2016
Ferienzeit ist Badezeit, Wanderzeit und für viele auch Lesezeit. Die Zahl der Neuerscheinungen ist groß an bayerischen Büchern. Um die Auswahl zu erleichtern, stellt Franz Bumeder seine Lieblingstitel aus und über Bayern vor.
Die besprochenen Titel im Einzelnen:
Sebald Katja: Unbekanntes Fünfseenland. Volk Verlag
Schley Fridolin: Die Ungesichter. Allitera Verlag
Reiss Jochen: 111 Orte im Fünfseenland die man gesehen haben muss. Emons Verlag
Maier Eva / Vogt Katrin: Genuss mit Geschichte. Volk Verlag
Tautz Gregor / Alvarez Olaneta Pedro: Plzen – Regensburg. Fränkische St. Jakobus-Gesellschaft
Haering Stephan OSB (Hg.): Ein Ort für Gott und Menschen. Pustet Verlag
Hausler Manfred: Trommler und Pfeifer. Volk Verlag
Appl Tobias / Wax Johann: Tracht im Blick. Pustet Verlag
Schweiggert Alfons: Herzog Max in Bayern. Volk Verlag
Kozlowiecki Adam: Not und Bedrängnis. Pustet Verlag Regensburg
Stauner Gerda: Grasmond. SüdOst Verlag
Sommerzeit ist – natürlich – Reisezeit. Oder Ausflugszeit. Für Ausflüge bietet sich immer wieder die nähere Umgebung an, von der man oft zu Unrecht glaubt, alles schon hundertmal besucht zu haben, alles zu kennen. Dass das oft nicht der Fall ist, zeigt Katja Sebald in ihrem neuesten Buch. Der Titel „Unbekanntes Fünfseenland“ befremdet, denn „unbekannt“ scheint rund um Starnberger, Ammer- oder Wörthsee kaum etwas zu sein. Die Autorin widerspricht:
"Manchnmal hab ich einfach nur versucht, die Sehenswürdigkeiten von hinten anzuschauen oder da einen Aspekt zu finden, der einfach nicht so bekannt ist."
Katja Sebald
Ein Beispiel: Berg am Starnberger See. Die Votivkapelle am Ufer kennt nahezu jeder, auch dass dort 1886 König Ludwig ertrunken ist, dürfte Allgemeinwissen sein. Deshalb erzählt Katja Sebald Geschichten hinter der bekannten Geschichte – und greift dabei in Berg auf einen der bekanntesten bayerischen Literaten zurück:
"Ich hab versucht, das eben über das Werk von Oskar Maria Graf anzuschauen und lasse eine Figur auftreten, die Graf erwähnt und die berichtet eben über den König, wie er im Dorf aufgetreten ist."
Katja Sebald
Oder die wunderschöne Episode, wie Kaiser Heinrich II. 1021 auf seinem Feldzug nach Italien durch Inning zog. Oder die Geschichte der unbekannten Heiligen, einer Figur von Ignaz Günther im Museum Starnberger See, der sich die studierte Kunsthistorikerin fachkundig und trotzdem unterhaltsam nähert.
Sebald ist ein wunderschön bebildertes spannendes Buch gelungen, leicht und flott zu lesen, mehr als 60 spannende Kapitel über Orte, die man zu kennen glaubt und plötzlich mit ganz anderen Augen sieht und neu entdeckt.
Ganz Bayern im Blick hat ein Band aus der Reihe „Genuss mit Geschichte“ von Eva Maier und Katrin Vogt, unter anderem herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege und dem Landesverein für Heimatpflege.
Es geht – passend zu den bevorstehenden großen Ferien – ums Baden. Angesprochen sind aber nicht nur aktive Wasserfreunde. Zwar sind auch historische Freibäder wie etwa das an der Wiesent in Streitberg im Landkreis Ansbach aufgelistet. Genauso wendet sich dieser aufwändig gestaltete Band aber auch an Geschichts- oder Architekturfans. Wenn etwa Ruinen römischer Thermen in Bad Gögging oder des Neuen Schlosses in Bayreuth beschrieben werden, würde man am liebsten sofort im Routenplaner nachfragen, wie lange man dorthin unterwegs ist.
Unterwegs ganz anderer Art sind Menschen auf einem der mittlerweile inflationär zunehmenden Jakobswege. Einer dieser Wege führt vom tschechischen Plzen bis Regensburg. Als Wander- oder Reiseführer ist das kleine handliche Bändchen nicht zu gebrauchen. Detaillierte Wegbeschreibungen sucht man vergebens. Darauf weist Autor Gregor Tautz im Vorwort auch hin. Etwas Besonderes ist es trotzdem, es erzählt Geschichten entlang dieses Weges, auf deutsch, tschechisch und spanisch.
"Das ist ein Weg, den unser spanischer Jakobswegbegleiter selbst gesucht hat, wo Jakobskirchen am Weg liegen, die für die Beziehungen zwischen Pilsen und Regensburg, zwischen Bayern und Böhmen bedeutend sind."
Gregor Tautz
Eine Reiseerzählung ist auch ein kleiner Band aus dem Allitera Verlag. Allerdings handelt es sich um eine unfreiwillige, eine erschreckende Reise. „Die Ungesichter“, so der Titel, schildert äußerst eindrucksvoll die Flucht des 15-jährigen somalischen Mädchens Amal aus ihrer Heimat nach Deutschland. Es beginnt mit spürbaren Veränderungen in der Heimat:
"Die Veränderungen kommen nicht über Nacht wie ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gibt, sondern allmählich über einen längeren Zeitraum. All die Vorschriften und Verbote, die Patronenmänner, die Gewalt und die Toten, was manches noch schwerer zu verstehen macht, dass es eine Zeit gibt, ganze Wochen und Monate, in der das alte und das neue Leben gleichzeitig da sind."
Fridolin Schley
Der Name Amal ist frei erfunden, die Geschichte nicht. Sie ist literarisch aufgearbeitet, beruht aber auf zahlreichen Gesprächen, die der Autor Fridolin Schley mit dem Mädchen geführt hat. Ein Einzelschicksal, aber exemplarisch für Menschen, denen durch in Europa kaum vorstellbares Leid ihre Kindheit geraubt wurde. Amal lebt heute in München und lässt sich zur Krankenschwester ausbilden.
Wahrlich kein Reiseführer ist eine Neuerscheinung, die dennoch zu einem Ausflug nach Niederbayern einladen könnte. „Ein Ort für Gott und Mensch“ heißt der Hochglanz-Bildband, den der Pustet-Verlag anlässlich des 1250jährigen Jubiläums der Benediktiner-Abtei Metten herausgebracht hat. Ein Buch auch für Daheimgebliebene, die sich einfach in Ruhe in die Geschichte dieses bedeutsamen Ortes vertiefen möchten. Herausgeber Pater Stephan Haering:
"Es ist ein Buch zum Lesen und Schauen. Es sind etwa 220 Abbildungen, zum großen Teil jetzt speziell für den Band angefertigt, zum Teil natürlich auch historische Abbildungen."
Stephan Haering
Auch das moderne Leben in einem Kloster kommt nicht zu kurz:
"Die geistigen Grundlagen benediktinischen Lebens, dann die Bildungsarbeit, die Seelsorgsarbeit, die künstlerische Seite, die sowohl in der Architektur zu finden ist wie auch in der Pflege von Musik und Theater."
Stephan Haering
„Trommler und Pfeifer“ heißt ein neues Buch aus dem Münchner Volk-Verlag, das sich mit Wattn, Schafkopf oder Tarock beschäftigt. Wer sich nun eine Anleitung oder Tipps verspricht, um künftig besser zu spielen, der wird enttäuscht werden. Es geht, so der auf den ersten Blick etwas vollmundige Untertitel, um „die Geschichte der bayerischen Spielkarten“. Doch genau diesen Anspruch erfüllt Manfred Hausler mit seinem detaillierten Werk. Und das zum Teil sehr lebendig, ja durchaus unterhaltsam. Etwa wenn es um die etymologische Herkunft von Fachbegriffen geht. Beispiel: das weit verbreitete Kartenspiel „Wattn“ oder der „Belle“, der zweithöchste Kritische beim Wattn:
So ganz einfach lässt sich die Herkunft allerdings nicht immer feststellen, etwa beim „Max“ der höchsten Karte beim Wattn:
"Das kann vom König, also vom König Maximilian kommen, das kann aber auch heißen, dass das der oberste ist, der Max, von maximus."
Manfred Hausler
Übrigens: selbst spielen kann der passionierte Sammler und Experte Manfred Hausler auch noch, ohne dass er ständig seine wissenschaftlichen Ansätze im Kopf hätte:
"Ja freilich, das hat damit nix zu tun. Ich beschreib ja keine Spielabläufe in dem Buch, sondern das Herkommen der bayerischen Karten und ihre Ableger in den einzelnen europäischen Ländern, also da hab ich keine Probleme."
Manfred Hausler
Nicht nur an Experten wendet sich ein mit zahlreichen historischen Aufnahmen bebildertes Buch, in dem, so der Untertitel, „die Oberpfalz auspackt“. Im Blick haben die Autoren Tobias Appl und Johann Wax die Trachten dieses Regierungsbezirks. Mit diesem ersten Band einer hoffentlich weiter geführten Reihe zur Geschichte und Kultur der Oberpfalz hat die Kultur- und Heimatpflege des Bezirks ein erstaunliches Werk vorgelegt. Autor Johann Wax:
"Was mir selber an dem Band so sympathisch ist, ist, dass einfach eine ganz große Breite behandelt wird, wie man an so eine Tracht herangehen kann, das geht, wenn ich es plakativ sagen kann, wirklich von der Geistesgeschichte bis zur Unterhose."
Tobias Appl
Mit dieser Neuerscheinung machen die Autoren deutlich, dass die Bandbreite von Trachten im Freistaat weit mehr umfasst als die allseits bekannte Miesbacher Tracht. Und genauso dass echte Trachten mit billigem Wiesn-Outfit zum Einmalgebrauch überhaupt nichts zu tun haben.
"Ich vergleiche die Trachten auf der Wiesn immer ganz gern mit einem deutschen Schlager und das was im Buch beschrieben wird, ist eher der Oberpfälzer Zwiefache."
Tobias App
Als „wuidn Hund“ bezeichnet der Historiker Alfons Schweiggert in seiner Biographie Herzog Max in Bayern, den Vater der weltberühmten Sisi. Eine ehrliche Biographie, die auch die negativen Seiten dieses sperrigen Wittelsbachers nicht ausspart. Dieser scheint etwa außerehelichen Abenteuern alles andere als abgeneigt gewesen zu sein. Mit dem „Herzog Max“, den Gustav Knuth in den Sissi-Filmen so wunderschön darstellt, hat der echte Max jedenfalls sehr wenig zu tun. Im vielleicht spannendsten Kapitel beschreibt Schweiggert den Herzog als für das 19. Jahrhundert erstaunlichen Globetrotter aber auch als typischen Europäer dieses Zeitalters:
"Obwohl Herzog Max sich über die Sklaverei empörte, so kaufte er doch auch selbst mehrere dieser Schwarzen, um sie mit nach Europa zu nehmen und empfand dies ganz und gar nicht als verwerflich."
Alfons Schweiggert
Kann ein Tagebuch spannend sein? Ein Tagebuch aus der finstersten Periode deutscher Geschichte? Ja, durchaus! Der polnische Jesuit Adam Koslowiecki, der vom Juni 1940 erst in Auschwitz und dann bis zur Befreiung im KZ Dachau inhaftiert war, beschreibt seine schrecklichen Erlebnisse Tag für Tag:
"Ich versuche alles zu erzählen. Ich will objektiv sein und deshalb berühre ich auch Fakten, die für mich persönlich sehr unangenehm sind. Ich bekenne aber ganz offen, dass trotz meiner ganzen Offenheit, mit der ich meine ganzen Erlebnisse erzählen möchte, ich einige ganz auslasse. Das waren Erinnerungen, die zu abscheulich waren und die Erinnerungen an sie sind wie Wunden, die ich nicht berühren möchte."
Adam Kozlowiecki
Das was der spätere Erzbischof von Lusaka in Sambia und Kardinal zu Papier brachte, vermittelt eine oft wahrlich banale und dadurch umso realistischere Einsicht in den KZ-Alltag, in einen Alltag, der auch für inhaftierte Priester durch Schläge, Misshandlungen und unglaubliche Brutalität gekennzeichnet ist. Diese Erinnerungen halten fest, zwingen trotz aller Beklemmung, trotz oft Tränen in den Augen zum Weiterlesen – bis zur Befreiung Dachaus am 29. April 1945. Das Tagebuch liegt jetzt in deutscher Übersetzung vor.
Ebenfalls mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt sich der Roman „Grasmond“. Man könnte sagen, ein Heimatroman. Spielt er doch in der Oberpfalz, um und in Regensburg. Knapp 30 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur verweben sich später totgeschwiegene Ereignisse während der Nazi-Zeit mit familiären Brüchen und politischem Filz in den frühen Siebzigerjahren. Ein leicht zu lesendes Buch aber durchaus mit Anspruch. Ideal für die Urlaubszeit!