Der "Fliegende Robert" der Literaten

"Eskapismus, ruft ihr mir zu, / vorwurfsvoll, / Was denn sonst, antworte ich, / bei diesem Sauwetter!"
Anfang des Gedichts 'Der Fliegende Robert' (1980)
Diese Zeilen darf man getrost als eine Art Selbstbeschreibung des Schriftstellers Enzensberger lesen. Assoziationen dieser Art scheinen sich für ihn anzubieten: "Luftwesen" nannte ihn einst Kollege Rühmkorf. "Überflieger" träfe wohl auch zu für einen Lyriker, Essayisten, vielsprachigen Übersetzer, Herausgeber, Zeitschriftengründer, Kinderbuchautor, Mathematik-Fan, politischen Aktivisten bei den 68ern und auf Kuba, Analysierer von gesellschaftlichen Groß- und Sauwetterlagen.
Eskapismus
Flucht aus der Wirklichkeit in eine Scheinrealität, der Begriff geht zurück aufs Lateinische (excapere = entkommen) bzw. aufs Englische (to escape = entfliehen, entkommen, entwischen).
Eskapismus ist gewöhnlich negativ besetzt oder steht sogar unter Ideologieverdacht: Der politische Eskapist schirmt sich in seiner Privatheit von gesellschaftlichen Entwicklungen ab.
Der kulturelle Eskapist bewohnt den Elfenbeinturm.
Wie den Robert aus dem Struwwelpeter zog es den 1929 im bayerischen Kaufbeuren geborenen Enzensberger früh hinaus. Statt brav "zu Hause" zu bleiben, trieb er sich in der Welt herum, versuchte sich in diversen literarischen Rollen und politischen Kontroversen. Auf eine bestimmte Position lässt er sich dabei bis heute nicht festnageln. Einen "fliegenden Robert" kann man nicht an die Kandare nehmen. Ständig entwischt er Weggefährten wie Kritikern, hebt ab von gewohnten Denkschablonen. So manchem bleibt er deshalb "unfassbar" - wie die Luftgebilde, die er im Gedicht Die Geschichte der Wolken besang.
Mit seinen unerbittlichen Analysen traf und trifft er, meistens, den Nerv der Zeit. Neben dem Philosophen Jürgen Habermas oder Günter Grass ist Enzensberger einer der wenigen deutschen Intellektuellen, die auch heutzutage noch im Ausland wahrgenommen werden. Seit 1979 wohnt der Kosmopolit in München. Am 11. November 2009 wurde er 80 Jahre alt.