Klick! Klaus Leidorf fotografiert Die Feldkapelle bei Thaldorf
Ein Rapsfeld, das im Nichts endet, eine seltsam deplatzierte Kapelle: Das Foto von 1995 ist ein Lieblingsbild des Luftbildarchäologen Klaus Leidorf. Immer wieder macht er sich seither als Luftpilger auf, nach dem Kirchlein zu schauen.
Klaus Leidorf ist Luftbildarchäologe
Seit 1988 ist er mit seiner Cessna über Bayern unterwegs, um prähistorische Bodendenkmäler zu finden und auf Bild festzuhalten. Zugleich ist Klaus Leidorf ein Archäologe der Gegenwart. Rund eine Million Luftaufnahmen hat er schon geschossen. Seine Bildbände Hoch über Bayern 1 und 2 sind schon kurz nach ihrem Erscheinen auf dem Weg zu Klassikern.
BR.de: Ein Archäologe ist jemand, der mit einer Schaufel in der Hand in der Erde wühlt. Sie sind aber Luftbildarchäologe …
Klaus Leidorf: Ein seltsames Wort, nicht? Es besteht ja aus drei Teilen – Luft, Bild und Archäologie. Man geht in die Luft, um in den Boden zu schauen und sich ein Bild zu machen.
BR.de: Wie wird man Luftbildarchäologe?
Klaus Leidorf: Ich zum Beispiel habe in Marburg an der Lahn Vor- und Frühgeschichte studiert – das Fach des Erdferkels, das im Boden nach Zeugnissen aus einer Zeit sucht, aus der es eigentlich keine Zeugnisse gibt, jedenfalls keine Bilder und Schriftquellen. In Marburg gab es einen alten Bundeswehrpiloten, der ist mit uns Studenten über das Amöneburger Becken gekreist, um zu schauen, was es da zu sehen gab.
"Nichts ist so dauerhaft wie ein Loch"
Klaus Leidorf
BR.de: Und was gab es zu sehen?
Klaus Leidorf: Vor allem Löcher. Nichts ist so dauerhaft wie ein Loch. Wenn einer vor ein paar tausend Jahren einen Graben geschaufelt hat, füllt sich der allmählich wieder. Nur ist das Material dann ein anderes, Feineres, mit mehr Nährstoffen, und wenn es lange nicht geregnet hat, bleibt mehr Feuchtigkeit zurück. Die Pflanzen zeigen uns das an – nicht, wenn wir vor ihnen stehen, aber aus 200, 300 Metern Höhe. Es geht um Mustererkennung – Grabensysteme, Grabhügel, Pfostenlöcher, wo einmal Häuser waren. Rechtecke. Sinuskurven. Bis 1980 gab es in Bayern 5.000 archäologische Fundstellen. Seither gibt es die Luftbildarchäologie, und mein Vorgänger und ich haben 35.000 neue entdeckt.
BR.de: Sie fotografieren ja nicht nur alte Löcher, sondern ungewöhnliche Motive, die sich tausende Menschen als Kalenderbilder ins Wohnzimmer hängen.
Klaus Leidorf: Die schönen Bilder sind der Abfall der Luftbildarchäologie. Ich bin schon als Junge beim Fotografieren mit meiner Rollfilmkamera gern auf dem Boden gekrochen oder auf Stühle gestiegen, um neue Blickwinkel zu entdecken. Und wenn man 500 Stunden im Jahr im Flugzeug sitzt – Fenster auf, Foto, Fenster zu.
BR.de: Klingt einfacher, als es vermutlich ist – Fliegen und gleichzeitig Fotografieren.
Klaus Leidorf: Es ist jedenfalls leichter als beim Autofahren fotografieren. Die Landschaft rast nicht so vorbei, und in der Luft ist weniger Verkehr. Einmal hat mir der Fahrtwind die Sonnenbrille vom Kopf geweht, das war's aber auch schon. Früher musste man sich noch gegen das Rumpeln der Flugzeuge stemmen, heute nehmen einem die Bildstabilisatoren den Kameras viel Kraftaufwand ab. Mein Flugzeug ist auch sehr gutmütig. Ich fliege meistens eine Cessna 172, eine Standardmaschine, die auch in Flugschulen zum Einsatz kommt. Quasi der VW Käfer der Lüfte.
"Die Menschen haben einen ungeheuren Gestaltungswillen"
Klaus Leidorf
BR.de: Sie haben von Mustern gesprochen - welche erkennen Sie denn in den Zeugnissen unserer Gegenwart, in dem, was man Kulturlandschaft nennt?
Klaus Leidorf: Dass der Mensch sich die Erde untertan gemacht hat. 99 Prozent unserer Landschaft sind ja schon umgedreht worden und umgestaltet. Zum Beispiel die Autobahnschleifen, die von oben so attraktiv ausschauen, wo man aber auch sieht, wo die Planer übers Ziel hinausgeschossen sind. Die Art, wie die Landwirte ihre Felder immer effektiver anlegen. Breite Schneisen im Wald für die Maschinen der Holzfäller. Die Reihen von Salatköpfen in den Kleingärten, wo nur hin und wieder einer den rechten Winkel durchbricht und sich bewusst für wirre Formen entscheidet. Die Menschen haben einen ungeheuren Gestaltungswillen.
BR.de: "Deutschland von oben", "Bavaria", Google Earth - die Vogelperspektive scheint seit ein paar Jahren unsere liebste Betrachtungweise zu sein. Wie kommt das?
Klaus Leidorf: Ich glaube, das ist schon viel älter. Schon in den 80ern gab es diese Luftbildfirmen, die als Auftragsarbeit miserable Draufsichten von Reihenhäusern fotografiert haben, und die Leute haben sich das für ein paar Hundert Mark in den Hausflur gehängt. Die Steinzeitmenschen sind auch schon auf Bäume gestiegen - der alte Traum vom Fliegen halt. Es ist nur so, dass jetzt Leute da sind, die bessere Bilder besser verkaufen. Die schrauben sich eine Cineflex unter den Hubschrauber, die mit ihren gigantischen Brennweiten vorbeifliegenden Vögeln ins Auge schaut, und unterlegen das mit dramatischer Musik. Der Blick von oben hat ja etwas sehr Emotionales und Erhabenes, wie Bergsteigen. Vielleicht auch etwas Religiöses. Es gibt ein schönes Wort dafür: Lufthoheit.