Ausstellung in der Monacensia Lena Christ, die Glückssucherin
Am 30. Juni 1920 legt sich die Dichterin auf ein Grab am Münchner Waldfriedhof und schluckt Zyankali. Es ist ihr letzter Fluchtversuch aus einem Leben voller Gewalt und Zweifel. Eine Schau in der Monacensia zeigt jetzt eine erstaunlich heitere und lebenstüchtige Lena Christ.

Verzweifelt? Ein Opfer der Männer? Gunna Wendt, Christ-Biografin und Kuratorin der Ausstellung, stellt sich Lena Christ als glücklichen Menschen vor: "Sie hatte es schwer, aber sie war nicht der Typ Mensch, der alles schweigend erduldet. Sie hat gehandelt und geschrieben und sich im Schreiben immer neu erfunden."
Was ihr umso leichter fiel, als sie wenig von sich wusste - nicht das Wohin, nicht das Woher. "Ich war nämlich nur ein lediges Kind, und mein Vater war, als ich kaum zwei Jahre alt, auf der Reise nach Amerika mit dem Dampfer 'Cimbria' untergegangen." So hat es Lena von ihrer Mutter, der Münchner Köchin Magdalena Pichler. Bald nach der Geburt wird der "elende Bankert" zum Großvater abgeschoben - auch er von unklarer Herkunft, wie Christ später kaum verschlüsselt in ihrem Roman "Mathias Bichler" schildern wird.
Mit acht Jahren in die Hölle
Im ländlichen Glonn östlich von München verlebt Lena die glücklichsten Jahre ihres Lebens, wird umsorgt und entwickelt sich zu einer aufgeweckten Schülerin. Als sie acht Jahre alt ist, kommt es zum Bruch: Unerwartet fordert die Mutter ihre Tochter zurück. Sie benötigt eine Arbeitskraft für die großstädtische Gastwirtschaft, die sie mit ihrem neuen Mann betreibt. Fortan wird das Mädchen geschlagen und gedemütigt. Manchmal ist der Körper derart mit Striemen und Blutergüssen verunstaltet, dass sich Lena tagelang nicht in der Öffentlichkeit zeigen darf, um dem Ruf und Geschäft der Familie nicht zu schaden. Lena unternimmt unzählige Fluchtversuche, bricht vor Erschöpfung auf der Straße zusammen, wird von Polizisten ins Krankenhaus eingeliefert und von den Ärzten nach Hause zurückgeschickt. Doch ihre Flucht geht weiter.
Fluchtlinien: Der Lebens- und Leidensweg der Lena Christ
In die Ehe, an den Schreibtisch
Mit 19 Jahren wählt Lena Christ die Ehe als Ausweg. Sie heiratet den ihr kaum bekannten Alkoholiker Anton Leix und bringt drei Kinder zur Welt. Der Mann verprasst ihr Geld, misshandelt sie, kommt schließlich in eine Anstalt für Geisteskranke. Die gemeinsamen Kinder werden von den Behörden in einem Kloster untergebracht. Das Leid der jungen Frau ist fern der Mutter nicht leichter geworden, nur anders.
"Kurz nach sechs Uhr kam der Benno allein heim und verlangte sogleich mit groben Worten zu essen. (…) Mit rohen Schimpfworten verbat er sich mein Gejammer und verlangte Wein, obschon er stark betrunken war. Ich gab ihm eine Flasche (…). Da fühle ich plötzlich von rückwärts wie eine eiserne Klammer einen Arm um meinen Leib und fühle, wie der Benno mich fest in das Bettlein drückt und sein Eherecht ausübt. Verzweifelt versuche ich mich zu erwehren, und es gelingt mir wirklich für den Augenblick. Da packt ihn eine rasende Wut, und unter den gröbsten Schmähungen zerrt er mich an den Haaren herum, wirft mich zu Boden, tritt sein eigen Fleisch und Blut mit Füßen und versucht, mich zu erwürgen"
. Lena Christ, Erinnerungen einer Überflüssigen, 1912
Das zweite Glück
Als Lichtblick erweist sich der Schriftsteller Peter Benedix. Er überredet Christ zu einer Autobiografie, die sie 1912 mit Hilfe von Ludwig Thoma als "Erinnerungen einer Überflüssigen" herausbringt. Sie heiratet Benedix und schreibt in rascher Folge weitere Bücher. Darin thematisiert sie in feiner Sprache das Elend des Bauernlebens, zeichnet ein präzises Bild Bayerns zur Jahrhundertwende und vergisst auch nicht den Humor der Menschen, die ihr speziell in der Kindheit begegnet sind. Ihre Kriegsgeschichten "Unsere Bayern anno 14" werfen bei einiger weltpolitischer Naivität einen bemerkenswert alltagsnahen Blick auf den Krieg und verschaffen der Autorin sogar eine Einladung von Ludwig III. Eine Glückssucherin am Ziel?
Der Fluch der dunklen Worte

Späte Ehrung: Lena Christs Büste in der Walhalla
Besser, es hätte keine Audienz gegeben. Sie ist nämlich der zweite Teil einer Prophezeiung, die ihr einst eine Wahrsagerin gemacht hat: Lena werde nochmal heiraten, den König besuchen und nur 38 Jahre alt werden. Christ-Expertin Gunna Wendt: "Lena hat sich in ihrem Umfeld sehr mutig verhalten. Aber sie war auch abergläubisch. Die Klosterpräfektin hat ihr den Untergang prophezeit, ihre Mutter hat ihr zur Hochzeit Unglück an den Hals gewünscht, dazu die Wahrsagerin - das hat ihren Horizont in der Krise sicher verdüstert."
Das Schreiben hilft nicht mehr. Lena Christ sehnt sich zurück nach ihrer Kindheit in Glonn und dem toten Großvater, sie fantasiert. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs trennt sie sich von Benedix; sie fühlt sich einsam. Die Autorin ist an Tuberkulose erkrankt und mit dilettantischen Versuchen als Bildfälscherin ins gesellschaftliche Abseits gerutscht. Am Ende flieht sie aus dem Leben. Lena Christ wird 38 Jahre alt.
"Ich bin so elend beisammen, so zermürbt, dass ich nicht mehr kann. Ich falle eben doch dem Schicksal anheim, welches mir meine Mutter gewünscht hat."
Lena Christ an ihren zweiten Ehemann Peter Benedix
Die Ausstellung
Die Glückssucherin: Die bayerische Schriftstellerin Lena Christ (1881–1920).
4. Juli 2012 bis 26. April 2013 in der Münchner Monacensia, Maria-Theresia-Straße 23. Der Eintritt ist frei.
Die Biografie "Lena Christ. Die Glückssucherin" von Gunna Wendt ist im Verlag Langen Müller erschienen.
Lebensdaten
*30. Oktober 1881 in Glonn
+30. Juni 1920 in München
Werke
Erinnerungen einer Überflüssigen (1912)
Lausdirndlgeschichten (1913)
Mathias Bichler (1914)
Unsere Bayern anno 14 (1914)
Unsere Bayern anno 14/15 (1915)
Die Rumplhanni (1916)
Bauern (1919)
Madam Bäuerin (1919)