Bettina Reitz Die Frau für außergewöhnliche Stoffe
Sie holte für den BR den Oscar, gewann unzählige Preise und ist selbst mehrfach ausgezeichnet. Bettina Reitz ist gewohnt mit Superlativen umzugehen. Sie besitzt ein außergewöhnliches Gespür für Qualität, aber auch für die Menschen, die sie auf ihrem Weg begleiten. Am 1. Juni trat sie ihre Stelle als BR-Fernsehdirektorin an.
Eine berufliche Karriere als Köchin oder Detektivin hätte sich Bettina Reitz als Mädchen durchaus vorstellen können. Es sollte ein Berufsbild sein, mit dem sie vor ihren männlichen Spielkameraden bestehen konnte. "Prinzessin wäre zu peinlich gewesen", erzählt die Frankfurterin. Doch weder das eine noch das andere sollte es später einmal werden.
"Als Kind habe ich Hörspiele gemacht und meine jüngere Schwester als Geräuschemacherin eingesetzt."
Bettina Reitz
Ein Leben in Bildern
Die Welt der Bilder war es, die Bettina Reitz schon früh faszinierte: Bilder, die im Kopf entstanden während ihrer hauseigenen Hörspielproduktionen. Bilder, die über die Leinwand des familieneigenen Dorfkinos flimmerten oder zuhause über den Fernsehschirm - die Kinder hatten schon früh von den Eltern einen kleinen, roten Schwarz-Weiß-Fernseher geschenkt bekommen, damit sie nicht ständig am Programm herumnörgelten. "Vielleicht wurde durch all diese Erfahrungen mein Blick geschult und meine Begabung, erzählerisch zu gestalten und in Dramaturgien zu denken, gefördert", meint die Medienmanagerin rückblickend.
Sechs Fragen an die neue Direktorin
Kreativität
Sie sind erfolgreiche Produzentin. Haben Sie nicht ein bisschen Angst, dass Sie als neue Fernsehdirektorin mehr verwalten als bewegen?
Oft lautet die Kritik genau andersherum: Die, die verwalten, kennen zu wenig das "Programmmachen". Mir ist wichtig, gegenseitiges Verständnis für unsere Arbeit zu intensivieren und vom Schubladendenken wegzukommen: Kreativität kontra Verwaltung.
Ideen müssen überall willkommen und Veränderungen erwünscht sein. Auch wenn wir Bewährtes erhalten und anerkennen, brauchen wir vor Veränderungen, wenn wir sie gemeinsam mittragen und mitgehen, keine Angst zu haben.
Projekte
Was werden Ihre ersten Projekte? Auch was die Umstrukturierung des BR in Richtung Trimedialität betrifft?
Als Erstes stehen die Projektpläne an und viele Einzelwünsche wollen geprüft werden. Danach beschäftigen wir uns intensiv mit dem Programmschema.
Der Prozess "Trimedialität" im BR ist ein groß angelegter, langfristiger Umbau, der uns alle intensiv beschäftigen wird.
Grundsätzlich sollte gelten: Alle zukünftigen Projekte werden zuerst intern mit den Verantwortlichen besprochen, bevor Entscheidungen nach außen gehen.
Programmqualität
Bei Ihrer Wahl zur Fernsehdirektorin im vergangenen Jahr sagten Sie: "Ich möchte Fernsehen machen, das unsere bisherigen Stärken betont und noch stärker junges Publikum anspricht." Welche Stärken sind das? Wie wollen Sie die Jungen erreichen?
Das Bayerische Fernsehen stellt in der Vielfalt seiner Sendungen kontinuierlich das hohe Qualitätsbewusstsein für Programm unter Beweis. Um jüngeres Publikum zu erreichen, müssen wir uns die Sendungen ansehen, mit denen das jetzt schon gelingt.
Sowohl im Bayerischen Fernsehen als auch in der ARD gibt es gute Beispiele, die zeigen, dass breiter angelegte Zuschauerbindungen durchaus möglich sind. Daran wollen wir anknüpfen. Und selbstverständlich werden wir auch Neues dafür ausprobieren.
Filmerfolg
Wann beeindruckt Sie ein Film? Welche Kriterien machen für Sie einen Film erfolgreich?
Erfolg für Filme zu definieren, ist nicht einfach, da inhaltliche und wirtschaftliche Komponenten betrachtet, bewertet und analysiert werden müssen.
Beeindrucken kann mich ein Film, wenn er unserer Welt einen neuen, eigenen erzählerischen Blick widmet und der Zuschauer am Ende beschenkt, herausgefordert und nachdenklich zurück bleibt. Wenn ich einem Film (man kann es auch auf andere Kunstwerke beziehen oder Unterhaltungsangebote) meine kostbare Lebenszeit widme, dann möchte ich doch, dass diese Zeit danach nicht als verloren angesehen oder empfunden wird.
Handwerk und künstlerische Ausdruckskraft sollten selbstverständliche Voraussetzungen sein.
Elternhaus
Was waren Ihre Eltern von Beruf? Welche Prägung haben Sie durch sie erfahren?
Mein Vater arbeitete bei einer amerikanischen Bank in Frankfurt am Main und meine Mutter war Hausfrau aus Leidenschaft von drei Kindern und erzwungenermaßen noch von einigen Haustieren ...
Wirklich prägend war, dass man zum einen in unserer Familie über alles sprechen konnte und zum anderen die große Liebe meines Vaters zur Musik, zum Gesang. Er wäre sehr gerne Sänger geworden ... Meine Eltern haben jahrelang im Kirchenchor gesungen und die wunderschöne Stimme unseres Vaters überstrahlte alle.
Geprägt hat mich auch meine ältere Schwester: Sie war und ist eine "Leseratte" und "verschlingt" geradezu Bücher. Bis heute gibt sie mir die besten Lesetipps.
Dass die Liebe zur Kunst ein wesentlicher Bestandteil für das Leben ist, habe ich durch diese Einflüsse erfahren.
Persönlichkeit
Was sehen Sie als Ihre Stärken, wo liegen Ihre Schwächen?
Meine Stärken liegen in der Diplomatie, Kreativität und hoffentlich auch Originalität.
Schwächen habe ich viele - aktuell hängt folgendes Zitat in meinem Frankfurter Büro: "Das Chaos sei willkommen, denn die Ordnung hat versagt" (Karl Kraus).
Die "Oscar-Macherin"
Nach dem Abitur studierte Reitz in Frankfurt Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Psychologie. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Autorin, Redakteurin, Produzentin und Regieassistentin unter anderem für den HR, WDR und das ZDF. 1999 gründete sie mit Nico Hofmann die Produktionsfirma TeamWorx. 2003 wechselte sie zum BR und wurde Leiterin des Programmbereichs Spiel-Film-Serie.
Bettina Reitz galt schon früh in der Branche als eine der profiliertesten Fernsehfrauen. Die von ihr betreuten oder in ihrem Programmbereich verantworteten Produktionen holten unzählige Preise. Ihr wohl größter Coup: Als niemand an den Erfolg des Filmes "Das Leben der anderen" glaubte, sie tat es und erkannte gemeinsam mit ihrem BR-Team das Potential des Films und seines bis dahin unbekannten Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck. Sie kämpften über alle Instanzen für finanzielle Mittel für die Koproduktion des Stasi-Dramas. 2007 bekam der Film einen Oscar und zahlreiche nationale wie internationale Auszeichnungen.
Dahoam is Dahoam
Bettina Reitz setzte hohe qualitative Standards beim Bayerischen Fernsehen, international wie regional. Denn obwohl in Hessen geboren, verlieh sie ihrem Programmbereich auch reichlich bayerisches Lokalkolorit. Sie machte sich für die Produktion zahlreicher Heimatkrimis stark und gab den Startschuss für die beliebte BR-Serie "Dahoam is Dahoam".
"Die Liebe zur Kunst ist ein wesentlicher Bestandteil für das Leben."
Bettina Reitz
Steckbrief
Film-Auszeichnungen (Auswahl)
"Das Leben der anderen" (Regie: Florian Henckel von Donnersmarck) erhielt den Oscar, eine Golden-Globe-Nominierung, den César, den Europäischen Filmpreis für den besten europäischen Film und den BAFTA Award für den besten nicht englischen Film.
"Sophie Scholl – Die letzten Tage" (Regie: Marc Rothemund) war oscarnominiert und erhielt zahlreiche nationale wie internationale Filmpreise.
"Das weiße Band" (Regie: Michael Haneke) war oscarnominiert, erhielt den Golden Globe, die Goldene Palme und zahlreiche nationale wie internationale Filmpreise.
"Wer früher stirbt ist länger tot" (Regie: Marcus H. Rosenmüller) erhielt u.a. den Deutschen Filmpreis.
"Marias letzte Reise" (Regie: Rainer Kaufmann) erhielt u.a. den Deutschen und Bayerischen Fernsehpreis sowie den Grimme-Preis.
Die ARD-Vorabendserie "Türkisch für Anfänger" (Regie: Bora Dagtekin) erhielt u.a. den Deutschen Fernsehpreis, den Grimme-Preis und zahlreiche internationale Auszeichnungen.
"Polizeiruf 110 - Rosis Baby" (Regie: Andreas Kleinert) war für den Grimme-Preis nominiert, erhielt u.a. den Robert-Geisendörfer-Preis.
"Toter Mann" (Regie: Christian Petzold) erhielt u.a. den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis.
"Drei Leben" (Regie: Dominik Graf, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler) erhielt u.a. den Grimme-Preis.
Ausbildung und Beruf
Studium mit Magisterabschluss in Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Psychologie an der Universität Frankfurt
Im Anschluss Autorin, Redakteurin, Produzentin und Regieassistentin für verschiedene Filmproduktionen und Sender
1988–1990 Redakteurin beim HR
1991–1997 Fernseh- und Kinoredakteurin in der Hauptredaktion Fernsehspiel des ZDF
1998 Projektleiterin First Movie im Bayerischen Filmzentrum in München
1999–2002 Gründungsmitglied und Produzentin bei der Produktionsfirma TeamWorx Television & Film GmbH
2002 Berufung in die Kommission für Filmförderung beim Bundeskulturministerium
2003 Berufung in den Vergabeausschuss des FilmFernsehFonds Bayern
2003–2011 Leiterin des Programmbereichs Spiel-Film-Serie beim Bayerischen Rundfunk
2011–2012 Geschäftsführerin der Degeto Film GmbH
Ab 1. Juni 2012: Fernsehdirektorin des BR
Bettina Reitz ist u.a. Gastdozentin an der Hochschule für Film und Fernsehen in München, im Fachbeirat der Filmakademie Ludwigsburg, Kuratoriumsmitglied der TU München sowie in verschiedenen Aufsichtsräten und Programmbeiräten.
Persönliches
Geboren: 1962
In: Frankfurt am Main
Wohnort: München
Verheiratet mit: Dr. Heinrich Lübbert
Kinder: Sohn Adrian
Auszeichnungen ihrer Person:
2003 wurde Bettina Reitz mit dem Produzentenpreis auf der Cologne Conference ausgezeichnet.
2009 bekam sie den Hans-Abich-Preis für besondere Verdienste im Bereich Fernsehfilm und fiktionales Erzählen verliehen.
Große Herausforderungen
Wenn Bettina Reitz zum 1. Juni von der ARD-Tochter Degeto zum Bayerischen Rundfunk wechselt, warten große Herausforderungen auf sie: Sie will das hohe Niveau der Programmbereiche halten und setzt auf neue Formate auch mit Blick auf die jüngere Zielgruppe. Außerdem wird sie als neue Direktorin die trimediale Entwicklung mit umsetzen.
Auszeiten
Trotz ihrer beruflichen Höchstleistungen ist die 49-Jährige absoluter Familienmensch und gesteht sogar einen gewissen Hang zur Häuslichkeit: "Dank meiner Mutter – einer leidenschaftlichen Hausfrau – verfüge ich über annehmbare Grundkenntnisse im Kochen und Backen und habe meine häusliche Ader bis heute erhalten." Und sie schafft es auch mitunter, Zeit für ihre Hobbies zu finden: "Die meisten konnte ich zum Glück zu meinem Beruf machen." Ansonsten spielt sie Tennis, mittelmäßig wie sie betont, ein bisschen Klavier, entspannt sich bei Yoga und gönnt sich "hin und wieder originelle und verrückte Tagträume".