Unternehmen - Der BR


87

Live aus dem Alabama Jugendsendung mit Talk und Musik

Models, die sich live (fast) ausziehen, Demonstranten, die eine Sendung kapern - bis heute ist schnell klar, um welches BR-Aufreger-Format es geht: "Live aus dem Alabama", später "Live aus dem Schlachthof". Die letzte Sendung flimmerte vor 25 Jahren, am 18. Dezember 1997, über die Bildschirme. Zum Jahrestag ein Blick zurück mit dem damaligen Redaktionsleiter Ernst Geyer.

Von: Michael Peer, Unternehmenskommunikation

Stand: 15.12.2022

Live aus dem Alabama | Bild: Bayerischer Rundfunk

Diskussions- und Musiksendungen für Jugendliche gab es im BR schon zuvor - doch "Live aus dem Schlachthof" brachte 1984 beides zusammen. Und wie! Bis heute ist das Talk-Format in den Köpfen einiger älterer Zuschauerinnen und Zuschauer tief verankert, nicht nur aufgrund der Auftritte von Stars wie Billy Idol, Smashing Pumpkins oder Eros Ramazzotti.

Viele heute bekannte Talente machten bei "Live aus dem ..." ihre ersten Schritte als Moderatoren - hier Günther Jauch (1984).

Auch die Themen, Gäste und Diskussionen sorgten immer wieder für Aufregung, viele der jungen Moderatorinnen und Moderatoren von damals sind heute berühmt, etwa Günther Jauch, Sandra Maischberger oder Giovanni di Lorenzo.

Der Name der Sendung wechselte mit der Location: 1984 wurde in der alten Alabamahalle im Münchener Stadtteil Am Hart produziert, 1988 im Schlachthof, 1991 im Nachtwerk und ab 1994 kam die Sendung aus der neuen Alabamahalle. Zeitweise war auch der Hessische Rundfunk mit von der Partie und liefert einmal monatlich aus Frankfurt "Live aus dem Südbahnhof" zu.

"Wenn ich an die Sendung zurückdenke, dann denke ich an eine einmalige Chance, die wir als blutige Laien bekommen haben. Und auch daran, wie gut es vermutlich dem öffentlichen Diskurs tun würde, wenn es heute wieder ein solches Format gäbe, in dem normale Menschen frei von der Leber weg reden können."

Giovanni di Lorenzo, ehem. Moderator von Live aus dem Alabama und heute Chefredakteur der 'Zeit'

Auf Augenhöhe mit den Jugendlichen

Die Macher der Sendung in den 80ern: Sonja Kochendörfer, Jürgen Barto (m.) und Ernst Geyer (r.)

Das Besondere am Sendungskonzept war die Augenhöhe mit den Jugendlichen. "Jedes Thema, das unter Erwachsenen diskutiert wird, wird auch unter Jugendlichen diskutiert – und zwar mit der Kompetenz und der Stilistik, die Jugendliche haben", erläutert Ernst Geyer eines der Hauptprinzipien von damals. Geyer hat die Sendung Anfang der 80er Jahre zusammen mit Jürgen Barto erfunden. Experten, die den Jugendlichen sagen wollten, was sie zu tun haben, wurden gar nicht erst eingeladen.

Fernsehen in den Achtzigern: Das Publikum trank Bier, Gäste und Kameraleute rauchten auch mal eine Zigarette.

Am Tag nach der Ausstrahlung war die Sendung nicht selten Schulhof-Thema Nummer 1. In Zeiten, in denen das Internet noch in weiter Ferne lag und die Medienvielfalt sehr eingeschränkt war, gelang es der Redaktion immer wieder, Themen zu beleuchten, die entweder so nicht im Bewusstsein des Publikums waren oder aber heiß diskutiert wurden und mitten ins Herz der Jugendlichen trafen. Darunter waren Sendungen über die ausbeuterischen Methoden von Drückerkolonnen, die Gefahr von Verstrahlung durch Atomkraft oder über den Umgang mit AIDS-Patienten.

Wenn der Kameramann mitdiskutiert

Beim Thema "Wiking-Jugend" (26.3.1984) platzte dem Kameramann irgendwann der Kragen und er diskutierte spontan mit.

Legendär etwa eine entlarvende Sendung über Rechtsradikalismus im Allgäu, wo Vertreter der neonazistischen und heute verbotenen Wiking-Jugend eingeladen waren, damals moderiert von Amelie Fried. Nicht nur das Publikum fühlte sich von den deutschnationalen Gedanken provoziert, auch ein BR-Kameramann nahm während der Live-Sendung seine Kamera beiseite und mischte sich in das Gespräch ein. "Das hatte im Nachhinein Folgen: Der Kameramann bekam einen internen Verweis, aber sowas hat den Jugendlichen enorm gefallen", erinnert sich Geyer, "das war einfach authentisch."

Angriffe und harte Kritik gab es immer wieder, unter anderem von der Presse oder vom Rundfunkrat. "Das haben wir nicht gern gelesen und gehört, aber wir hatten auch viel Rückhalt aus dem Haus, besonders vom damaligen Fernsehdirektor Wolf Feller, der uns immer wieder verteidigt hat", erzählt Geyer.

"Jetzt zeig', was du gelernt hast"

Immer wieder zeigte die Sendung Szenen, die für die damalige Zeit zumindest ungewohnt waren. Turbulent wurde es beispielsweise, als eine Gruppe von Demonstranten die Sendung kapern und eigene Botschaften zur Hausbesetzerszene der Hamburger Hafenstraße platzieren wollte.

Tapfer wehrte sich Moderator Werner Schmidbauer damals dagegen, dass ihm das Mikrofon entrissen wurde. Ein Beispiel dafür, wie kompromisslos und authentisch das Selbstverständnis der Macher damals war. "Ich hab' dem Werner über den Kopfhörer aufs Ohr gesagt: Werner, wir bleiben jetzt live drauf. Jetzt zeig' mal, was du die letzten Jahre gelernt hast", erinnert sich Geyer.  

Der Nachfolger: quer

Ende der Neunziger wurde es für die Redaktion immer schwieriger mit den Diskussionsrunden hohe Reichweiten zu erzielen. Außerdem verfolgten immer mehr Erwachsene die Sendung, das Format war nicht mehr so jugendlich, bis zu seiner Einstellung im Jahr 1997. Kurz darauf war die Zeit dann reif für das Nachfolgeformat "quer", das in Sachen Kontroversität seither wieder ganz eigene Maßstäbe setzt.


87