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Mercedes Riederer im Interview "Das Wir zählt, nicht das Ich"

Sie ist leidenschaftliche Journalistin und besitzt ein außergewöhnliches Gespür für Menschen und Talente. Als BR Chefredakteurin Hörfunk setzte sie hohe Programmstandards. Lesen Sie mehr in unserem Interview.

Von: Ursula Zimmermann und Petra Kilgenstein

Stand: 15.03.2017

Mercedes Riederer, Chefredakteurin Hörfunk Baxyerischer Rundfunk | Bild: BR / Foto Sessner

Sie gehen demnächst als Chefredakteurin des BR-Hörfunk in Ruhestand. Auf welche Erfolge können Sie zurückblicken?

Es ist ein persönlicher Erfolg, dass ich als Chefredakteurin meine BR-Zeit beende. Danach sah es zu Beginn nicht aus. Als ich nämlich als Redakteurin beim Jugendfunk eingestellt wurde, meinte der damalige  Personalchef: "Wollen Sie das wirklich? Sie haben bei uns keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Wenn Sie sich nochmal verändern wollen, könnten Sie als junge Frau noch in den Kinderfunk wechseln oder ins Notizbuch." "Schau ma mal" habe ich mir gedacht und natürlich nicht geahnt, wie sich die Dinge entwickeln würden.

Nun zum programmlichen Erfolg: Es ist uns gelungen mit B5 aktuell, dem ersten Informationsradio der ARD, immer an der Spitze zu bleiben, immer mehr Hörer zu gewinnen und als bestes Radioformat 2011 den Deutschen Radiopreis zu bekommen. Der schönste Ritterschlag ist aber, dass wir von den Hörern Bestnoten bekommen und dass in Bayern, wenn über B5 aktuell gesprochen wird, jeder weiß, was damit gemeint ist.

Als Sie 2002 den Posten übernommen haben, waren Sie die erste Frau im BR auf einem Chefredakteursposten. Welche Durchsetzungsstrategie haben Sie gegenüber Ihren männlichen Kollegen entwickelt?

Ich weiß gar nicht, ob ich bewusste Strategien hatte. Aber als ich als sehr junge Frau auf der Journalistenschule war, hat uns der Schulleiter eindringlich vermittelt, jeder müsse seine Stärken erkennen und solle über seine Schwächen möglichst nicht sprechen. Das habe ich intuitiv mein ganzes Berufsleben verfolgt. Manche sagen, ich sei eher untypisch, weil ich nicht besonders laut bin und nicht auf den Tisch haue, aber ich weiß sehr genau, was ich will, bin beharrlich und weiß sehr um meine Stärken. Ich kenne allerdings auch meine Schwächen, versuche aber, nicht auf sie aufmerksam zu machen.

Was war Ihnen als Chefredakteurin besonders wichtig - fachlich wie menschlich?

Ich glaube meine Stärke ist, die Stärken anderer zu erkennen, sie zu fördern und sie auch auszuhalten. Mein Führungsprinzip war immer "Wir und nicht ich", ein dialogisches Führen. Ich halte nichts davon, nur auf die eigene Position zu achten, nur auf die eigene Meinung zu hören, sondern auch mit anderen gemeinsam Dinge zu entwickeln.
Eine Redaktion ist dann gut, wenn sie aus Journalisten mit unterschiedlichen Qualitäten besteht. Darunter sind dann auch durchaus Kolleginnen und Kollegen, die manches besser können als ich. Dies sollte man fördern und darauf stolz sein.
Meine Stärke ist, dass ich ein gutes Gespür für Themen habe, für Journalisten und ihre Stärken und das bestmöglich zu fördern, um gemeinsam zu einem guten Ergebnis zu kommen. Ich vergleiche das gerne mit einem Orchester, ich bin die Dirigentin und nicht die erste Geige.

Was zeichnet ein gutes Hörfunk-Programm aus? Was ist heute besonders wichtig?

Vor 10 Jahren war eine Zeit, die uns sehr verunsichert hat. Man hat von Radio als einem sterbenden Medium gesprochen. Damals haben wir angefangen, sehr stark darüber nachzudenken, was das Besondere an Radio ist. Uns wurde bewusst, dass die Bezeichnung Nebenbei- und Begleitmedium kein Schimpfwort ist, sondern unsere Stärke. Wir sind das einzige Medium, bei dem man seine Augen nicht braucht, wir sind das mobilste Medium. Als Gradmesser für ein erfolgreiches Programm gilt immer, ob es gehört wird oder nicht. Dafür haben wir die MA (Anm. d. Red.: Media Analyse) , die uns bestätigt oder ermahnt "Passt auf – tut was".

Als B5 aktuell gegründet wurde, war vor allem die schnelle Information das Wichtige. Heute im Zeitalter des Internets gibt es auch andere schnelle Medien. Deswegen ist es sehr wichtig geworden, dass wir selektieren und erklären. Und da ist es uns gelungen, unser Programm weiterzuentwickeln, z.B. mit dem Thema des Tages, mit dem Interview der Woche, in dem ein Interviewpartner etwas länger seine Position erklären und sich der Hörer länger auf ein Thema einlassen kann. Bis jetzt geben uns die Hörer recht – das ist das allerwichtigste.

Zudem finde ich eine persönliche Medienbeobachtung sehr wichtig. Man soll sich nicht nur mit Kolleginnen und Kollegen über das Programm unterhalten, sondern auch mit Hörern, mit Freunden, mit Leuten in der Straßenbahn oder im Cafe. Journalisten dürfen sich nicht in einer Blase bewegen. Man denke nur an die Erfahrungen nach der US-Wahl, wie falsch da manche Journalisten in der Einschätzung gelegen haben. Ich halte es für wichtig, mit unterschiedlichen Menschen über ihre Mediennutzung zu sprechen und sich auch Leute, die einem sehr kritisch gegenüberstehen, anzuhören.

Was ist Ihnen aus Ihrer Zeit als BR Chefredakteurin Hörfunk unvergessen geblieben?

Als mich der damalige Intendant Thomas Gruber gefragt hat, ob ich als Chefredakteurin zum BR zurückkommen möchte, lag der 11. September gerade einige Tage zurück. Dieses Ereignis und seine Folgen hat meine Zeit als Chefredakteurin sehr geprägt. So musste ich gleich am Anfang meiner Tätigkeit als Chefredakteurin entscheiden, welche Gasmasken wir für unsere Kolleginnen und Kollegen in Israel anschaffen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte eigentlich gedacht, dass es um Inhalte und Programm gehen wird. Dass ich auch für die Sicherheit von Kolleginnen und Kollegen in Kriegsgebieten zuständig bin, war eine unerwartete Aufgabe.  
Im Lauf der Jahre kamen immer wieder vergleichbare Krisensituationen, in denen ich verantwortlich war, beispielsweise auch für die Kolleginnen und Kollegen, die aus den Erdbebengebieten in Italien berichten mussten. Da habe ich gelernt, dass nicht jeder, der ein guter Reporter ist, geeignet ist, in solche Gebiete zu gehen.

Eine Besonderheit meiner Amtszeit war sicherlich die Wahl des deutschen aber auch des argentinischen Papstes, aus dessen Heimatland der BR für die Berichterstattung zuständig ist. In diesem Zusammenhang hat Religion wieder eine neue Bedeutung bekommen. Ist Religion etwas Gutes oder motiviert es Menschen, in den Krieg zu ziehen? Es sind Themen aktuell geworden, mit denen ich nicht gerechnet habe. Aber das ist auch das Spannende an diesem Beruf.

Stark in Erinnerung geblieben ist mir die Programmreform von Bayern 2. Als neu ernannte Chefredakteurin sollte ich die Redaktion "abwickeln", in der ich als junge Journalistin groß geworden bin – den Zeitfunk. Unvorstellbar, dass diese Redaktion aufgelöst werden sollte. Das fand ich persönlich sehr schwierig, einerseits weil das die Redaktion war, in der ich sehr viel über guten seriösen Journalismus gelernt habe, die mich geprägt hat. Außerdem waren da auch noch Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zusammen gearbeitet und die ich sehr respektiert habe. Es ist uns aber gelungen, neue Sendungen zu entwickeln – daraus sind die radioWelten entstanden, heute wichtige Markenzeichen von Bayern 2. Wir haben gemeinsam überlegt, welche Formate könnten spannend sein. Wir haben wieder mehr Reportagen produziert, das Interview wurde zu einem ganz wichtigen Markenzeichen der radioWelten, wir haben eine Glosse, nämlich "Das Ende der Welt" in eine Informationssendung eingeführt. Die Veränderung war zwar schmerzhaft, am Ende ist aber etwas Gutes dabei rausgekommen. Ich hoffe, dass diese Erfahrung auch die Kolleginnen und Kollegen machen werden, die jetzt diesen großen Umbruchsprozess, in dem der BR wieder steckt, gestalten sollen.

Sie hatten als Kind den Berufswunsch Nonne in einer Missionsstation zu werden. Trotzdem haben Sie sich dann aber doch für die journalistische Laufbahn entschieden. Würden Sie diesen Beruf heute wieder ergreifen? Was fasziniert Sie so daran?

Ich würde den Beruf der Journalistin immer wieder ergreifen. Pathetisch gesprochen, weil ich es einerseits als meine bürgerliche Pflicht empfinde, die Gesellschaft gut zu informieren. Es ist der richtige Beruf für mich persönlich, weil ich selbst sehr neugierig bin, weil ich interessiert bin an dem, was auf der Welt passiert und weil ich als Nachkriegskind weiß, dass Presse- und Meinungsfreiheit ein ganz hohes Gut ist. In meiner Familie wurden mehrere Zeitungen gelesen, es wurde über politische Entwicklungen gesprochen. Ich habe mich sehr dafür interessiert und für mich eine große Verpflichtung abgeleitet.

Ich habe mich neben meiner Berufstätigkeit immer für die Pressefreiheit engagiert, bin Mitglied bei "Reporter ohne Grenzen" und war als ganz junge Journalistin im BR gemeinsam mit Gerhard Hofmann, einem Kollegen aus dem Fernsehen, der Münchner Gruppe "Journalisten helfen Journalisten" vorgestanden. Ich habe selbst erfahren, wie wichtig eine gute Ausbildung für diesen Beruf ist. Deshalb und weil ich diesen Beruf so liebe, habe ich mich immer auch für Journalistenausbildung engagiert und werde das auch nach dem 1. April fortsetzen.
Ich kann gut loslassen, werde aber mein Interesse an Journalismus und aktuellen Entwicklungen auf dieser Welt nicht an der Pforte abgeben. Ich werde es jetzt aus einer anderen Perspektive tun, jetzt bin ich ja wieder Hörerin, Zuschauerin, Leserin. Und ich finde es sehr schön, dass ich wieder Zeit habe, ausführlich z.B. eine Zeitung zu lesen und nicht nur quer zu scannen, was sind die Themen, was bedeutet das für uns, was müssen wir machen.

Was sind weitere Pläne für Ihren Ruhestand? Auf was freuen Sie sich?

Das Wichtigste ist für mich, zunächst nicht mehr ferngesteuert zu sein. Darauf freue ich mich sehr. Als Mutter, Ehefrau und Frau in leitenden Funktionen habe ich die letzten 30 Jahre wahnsinnig wenig Zeit für mich und meine Interessen gehabt. Darum will ich mich jetzt wieder kümmern. Was das dann genau sein wird, darauf möchte ich mich jetzt noch gar nicht festlegen. Ich glaube, es wird immer mit Pressefreiheit zu tun haben, da gibt es vielfältige Möglichkeiten.
Ein privates Projekt habe ich allerdings bereits: eine Ururgroßtante von mir, die um 1900 gelebt hat, war eine der ersten Frauen, die fotografiert hat. Davon gibt es ganz viele Glasplatten mit Negativen. Ich habe ein paar Abzüge dieser Fotos mit Menschen, Bauern und Bäuerinnen aus meinem Heimatort in Niederbayern. Beeindruckende Fotos, die ich alle sichten möchte. Vielleicht wird Viola Riederer noch einmal berühmt werden, weil ich ihre Fotos ausgrabe und ausstelle.