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30 Jahre Ötzi Zwei Frauen & zwei Fotos

Vor 30 Jahren, am 18. September 1991, steigt das Nürnberger Ehepaar Erika und Helmut Simon vom Schnalstal auf zum Similaun.

Stand: 17.09.2021 | Archiv

Sonderausstellung "Ötzi20" | Bild: South Tyrol Museum of Archaeology

Weil es einen heftigen Sturm gibt, erreichen die beiden Bergsteiger aus Franken den Gipfel erst ziemlich spät und müssen deshalb ungeplant auf der Similaunhütte übernachten. Dort treffen sie ein Ehepaar aus Österreich, das sie überredet, andertags, am 19. September, noch auf die Finailspitze mitzugehen. Beim Abstieg trennen sich die beiden Paare. Erika und Helmut Simon wollen etwas abkürzen, queren am Tisenjoch rund 30 Meter vom Normalweg entfernt - und stoßen auf den Mann aus dem Eis, auf die als Ötzi inzwischen weltberühmte Gletschermumie.

"Allmecht, das ist ja a Mensch", hat Erika Simon spontan ausgerufen, Hinterkopf sind zu sehen. Zunächst denkt Erika Simon an einen verunglückten Bergsteiger oder Skitourengeher und macht ein Foto – es ist das letzte Bild auf dem Film in ihrer Kamera. Dann steigt das Ehepaar ab zur Similaunhütte und erzählt Markus Pirpamer, dem jungen Hüttenwirt, vom Fund. Der Hüttenwirt verständigt die Bergrettung, um die Leiche zu bergen, doch der Hubschrauber ist gerade auf einem anderen Einsatz im Zillertal unterwegs. Erika und Helmut Simon warten noch ein wenig, steigen dann aber ab ins Schnalstal, um nicht in die Dunkelheit zu kommen. Und so bleibt Ötzi vorerst noch im Dunkel der Geschichte liegen.

Ötzi wird freigelegt.

Erst am nächsten Tag schaut sich Markus Pirpamer die Leiche an, die der Gletscher in 3210 Meter Höhe am Tisenjoch freigebeben hat und erzählt davon prominenten Gästen auf seiner Hütte: Reinhold Messner, der zusammen mit Hans Kammerlander gerade Südtirol umrundet sowie den Ötztaler Volkskundlern Hans und Gerlinde Haid, die sich mit Reinhold Messner auf der Hütte verabredet haben, um über die Beziehungen zwischen dem Schnalstal und Ötztal zu diskutieren. Die Gruppe beschließt, sich den Fund anzusehen und Gerlinde Haid, Musik-Ethnologin an der Universität Innsbruck, geht nur mit, weil sie dann ihren Kollegen sagen kann, sie war "mit Reinhold Messner im Hochgebirge bei einer Leiche". Da Gerlinde Haid aber keine so gute Kondition wie Reinhold Messner und die anderen Herren hat, erreicht sie als letzte die Fundstelle und reagiert anders als alle anderen. Still verrichtet sie ein kurzes Gebet – "Herr, gib ihm die ewige Ruhe" - und macht dann wie Erika Simon zwei Tage zuvor ein Foto, ein einziges. Es dokumentiert die „Geburt Ötzis“ aus dem ewigen Eis, authentisch und ästhetisch und wird weltberühmt.

Erika und Helmut Simon erinnern sich.

Gerlinde Haid, die 2012 verstorben ist, hat sich auch noch gut an das erste große Rätselraten um das Alter der Gletschermumie erinnert. Sie selbst dachte an einen Kriegsgefangenen aus dem Ersten Weltkrieg, der über das Tisenjoch geflüchtet und hier oben vor Erschöpfung gestorben ist. Reinhold Messner vermutet zunächst ein Mitglied aus dem mittelalterlichen Tross von Herzog Friedrich mit der leeren Tasche, nur ihr Mann, der Ötztalkenner und Volkskundler Hans Haid, sagt "mindestens Hallstattzeit" und kommt damit der Wahrheit ziemlich nahe.

Ötzi hinter Glas.

Es dauert bis die Bergung von Ötzi in Gang kommt: Die Tiroler Bergwacht ist wie gesagt mit einer Lebendrettung beschäftigt und die Carabinieri in Südtirol erklären, dass sie nicht zuständig sind, bei ihnen seit den letzten zehn Jahren auch niemand vermisst wird und sie das Ganze zudem für eine Publicity-Aktion von Reinhold Messner halten. Auch das von Gerlinde Haid informierte Institut für Vor- und Frühgeschichte am Ferdinandeum in Innsbruck hat vorerst kein Interesse an dem Fund. Ötzis Ankunft in der Gegenwart mutet an wie ein Treppenwitz der Alpingeschichte, ebenso der Fundort auf Südtiroler Boden. Denn die Kartographen sollten die Grenze zwischen Italien und Österreich genau entlang der Wasserscheide am Alpenhauptkamm ziehen. Im Bereich des Tisenjochs aber haben sie nur einen geraden Strich gezogen im scheinbar uninteressanten Hochgebirge.

Hätten sie präzise gearbeitet, dann wäre Ötzi heute vermutlich in Innsbruck beheimatet. Auch Erika Simon aus Nürnberg, die Entdeckerin des Eismanns, hätte dann vielleicht nicht jahrelang mit der Südtiroler Landesregierung um die Anerkennung als Finderin kämpfen müssen. 2010 hat sie endlich auf Druck der Rechtsanwälte ihren Finderlohn in Höhe von 175.000 Euro erhalten. Die Summe kam vor allem den zwei Söhnen und vier Enkeln von Erika Simon zugute. Ihr Mann Helmut ist 2004 in den Salzburger Alpen bei einer Bergtour tödlich verunglückt. Ob es der "Fluch des Ötzi" war, bleibt im Reich der Spekulation.


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