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Italien Die Drogen-Reha

Das verschlafene Hinterland bei Rimini. Kleine Dörfer und Bauernhöfe. Von außen kaum erkennbar, doch hier ist es: Europas größtes Drogentherapiezentrum San Patrignano.

Von: Antje Drinnenberg

Stand: 06.11.2016 | Archiv

San Patrignano | Bild: BR

Auf einem Gelände von 30 Hektar dehnt es sich aus wie eine kleine Stadt: eigene Ställe, Reithallen, Weinberge und Weinkeller. Über 80 Betriebe befinden sich auf dem Gelände und bis zu 2000 ehemalige Drogenabhängige aus 80 verschiedenen Ländern leben hier. Jeden Mittag kommen sie zusammen um gemeinsam zu essen. Rituale spielen hier eine große Rolle – wie die Schweigepause kurz vor dem Essen.

Vincenzo Muccioli

Denn San Patrignano ist nicht nur das größte Zentrum seiner Art in Europa, es ist auch Modelprojekt mit einem einzigartigen Ruf: etwa 70 Prozent derer, die hier ein Programm durchlaufen, bleiben danach drogenfrei. Eine unerhörte Erfolgsquote! Doch was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? Begonnen hat alles ganz klein, auf einem Bauernhof. Vincenzo Muccioli, ein Hotelier aus Rimini, baute das Haus Mitte der siebziger Jahre für und mit drogensüchtigen Menschen, die am größten Badeort an der Adria auf der Strecke geblieben waren.

Monica Barzanti ist von Anfang an als Unterstützerin dabei. Als junge Frau hilft sie Vincenzo beim Aufbau des Projektes. Sie erinnert sich gut an die ersten Jahre:

"Jeden Tag kamen mehr Menschen hierher und wir wurden immer größer, denn die Nachricht, dass ein Mann hier auf dem Hügel Menschen mit Drogenproblemen Hilfe anbot, ohne etwas dafür zu verlangen und ohne jegliche Ideologie, diese Nachricht verbreitet sich sehr schnell. Muccioli war einfach ein Mann, der irgendwann anfing, die Türen seines eigenen Hauses zu öffnen, um denen zu helfen, die Hilfe suchten."

Monica Barzanti

Wer hierherkommt, wird auch nicht als "kranker" Patient behandelt, sondern als selbstverantwortlicher Mensch. Der Alltag ist klar strukturiert. Die Bewohner leben in kleinen Gruppen zusammen. Neuankömmlinge bekommen einen erfahrenen Bewohner als Tutor beigestellt. Alle Bewohner arbeiten tagsüber in einem der Betriebe, nach höchsten Qualitätsansprüchen. Hier wird auf jede Kleinigkeit wertgelegt, alles ist in einem perfekten Zustand. Das Gegenteil zu dem Leben, das viele vorher geführt haben.

"Ich habe auf der Straße gelebt. Wenn ich nicht hierher gekommen wäre, wäre ich entweder tot oder im Knast. Entweder das eine oder das andere."

Jessica, Gast in San Patrignano

Was alle Produkte eint: sie sind handgemacht und von hoher Qualität. Bekannte Modelabels lassen hier ihre Taschen fertigen, große Versandhäuser ihre Kampagnen entwerfen und drucken und der hier produzierte Wein gilt als einer der besten Italiens. Durch den Verkauf seiner Produkte kann San Patrignano etwa die Hälfte seiner Ausgaben decken; die andere Hälfte sind Spenden. So gelingt es der Einrichtung komplett unabhängig von staatlichen Mitteln zu sein.

Daniel aus Deutschland ist seit drei Jahren hier. Gerade holt er sein abgebrochenes Studium per Fernuni nach, arbeitet als Möbeldesigner und ist stolz seinen Teil beizutragen zu können. Dennoch ist es kein einfacher Weg sich an das strukturierte Leben in dem Dorf zu gewöhnen. Doch die Unterstützung von ehemaligen Süchtigen, die nun als Helfer fungieren, half auch Daniel:

"Das Besondere an dem Ort hier ist meiner Meinung nach, dass es von Leuten gemacht ist, die selber die gleichen Probleme wie du gehabt haben. Die sind selber durch dieses Programm hier durchgegangen und wissen wie schwer das ist und die Probleme, die man dabei hat, und können dich halt wirklich gut verstehen und können dir halt wirklich dadurch helfen."

Daniel lebt seit drei Jahren in San Patrignano

Antonio Boschini

Viele der 150 Freiwilligen und 300 festangestellten Mitarbeiter sind ehemalige Bewohner – ganz bewusst. So auch Antonio Boschini. Er kam als einer der ersten Abhängigen hierher. Nach seinem Entzug studierte er Medizin – und leitet bis heute als Chefarzt das eigene Krankenhaus. Für ihn ist San Patrignano vor allem eins: Ein erfolgreiches Experiment.

"Eines der charakteristischen Merkmale dieses Ortes ist, dass alles, was uns heute ausmacht, nicht aus irgendeiner Therapierichtung kommt oder in einem Buch stand, sondern alles basiert auf unseren eigenen Erfahrungen."

Dr. Antonio Boschini, leitender Arzt der Klinik in San Patrignano

Und das mit erstaunlichem Erfolg. Ein Großteil derer, die das fünfjährige Programm abschließen, bleibt drogenfrei. So auch Malin, eine Freundin Daniels. Sie verlässt heute San Patrignano. Fast fünf Jahre war sie hier. 15 Jahre lang hatte die Norwegerin vergeblich versucht von Drogen loszukommen, bis sie nach San Patriginano kam:

"Das war‘s jetzt. Ich kehre heute nach Norwegen zurück – und freu mich, dass ich jetzt mit meinem Leben starten kann."

Malin aus Norwegen

Und so haben Erfahrung und Professionalität, Leidenschaft und Herz dazu geführt, dass San Patrignano heute als weltweites Vorzeigemodell gilt und hoffentlich noch vielen Menschen aus ihrer Sucht helfen kann.


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