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Griechenland Wahltag im Krisenstaat

Wieder einmal müssen die Bürger Griechenlands wählen – und viele von ihnen scheinen erschöpft vom politischen Stillstand in ihrem Land.

Von: Bernd Niebrügge

Stand: 20.09.2015 | Archiv

Alexis Tsipras | Bild: BR

Und noch nie war die Zahl der Unentschlossenen so groß wie am heutigen Morgen. An einen politischen Aufbruch glaubt kaum einer.

"Die geplanten Reformen sind ja schon beschlossene Sache. Und auch die neue Regierung ist ja als Mitglied der EU verpflichtet, diesem Plan zu folgen."

Straßenumfrage

"Die politische Situation ist so unsicher, ohne jedes Ziel, ohne jeden Plan. Die Politik verhält sich wie ein völlig verwirrter Mensch, der hin und her irrt und nicht weiß, wo es lang gehen soll."

Straßenumfrage

Ein neuer Wirtschaftseinbruch?

Verlassen liegen diese Schiffe am Dock des Hafens von Piräus. Ihre geplante Instandsetzung bleibt aus, denn auch die letzten gebliebenen Werften machen die Geschäftsbücher zu. Unter der Regierung Tsipras ist es für die Privatwirtschaft noch schlimmer geworden: 60.000 weitere Betriebe, so die Prognose, werden bis März pleite gehen. Ein Tiefpunkt im Jahr Sechs der Krise.

Trotz der Versäumnisse als Regierungschef konnte Tsipras auch am Freitag seine Anhänger in Athen begeistern. Wieder verspricht er finanzielle Erleichterungen und den Kampf gegen das alte korrupte System.

Entzauberter Tsipras

Aber seine Glaubwürdigkeit hat gelitten. Zwei Drittel der Bevölkerung hatten beim Referendum ihr Nein gegen ein weiteres Sparpaket unterstützt. Dennoch unterzeichnete er das Paket und provozierte Neuwahlen. Und an diesem Abend ruft er erneut zum Widerstand dagegen auf.

"Wir werden erneut gemeinsam mit den griechischen Bürgern die Belastungen des neuen Sparpakets mindern und Europa besser machen. Es ist ein nicht endender Kampf, liebe Bürger Athens, ein Kampf gegen die Sparpolitik und für die wirtschaftliche Zukunft Europas."

Alexis Tsipras

Bei den Umfragen liegt die Syriza knapp vorne. Doch nach der Abspaltung des linken Parteiflügels und den gesunkenen Sympathiewerten scheint eine Alleinregierung ausgeschlossen. Kleinstparteien aus dem liberalen und rechtspopulistischen Lager bieten sich als Partner an.

"Alle von euch sollten zur Wahl gehen. Hört nicht auf die anderen, die euch davon abhalten wollen. Nur so können wir stärker sein und allein die Regierung stellen, ohne die Zusammenarbeit mit Parteien der Vergangenheit."

Alexis Tsipras

Flüchtlingskrise schlecht bewältigt

Viele Wähler haben die oft dilettantische Regierungsarbeit unter Alexis Tsipras nicht vergessen. So wurde auch die Flüchtlingskrise zu einem bestimmenden Thema im Wahlkampf.

Gerade auf den Inseln der Ägäis, wo die Einwohner täglich dem Ansturm von Tausenden Flüchtlingen standhalten müssen, hat ihre Tatenlosigkeit der Syriza Stimmen gekostet. Bis heute entspricht die Versorgung der Flüchtlinge nicht den vorgegebenen EU-Standards.

Hier im Camp Moria sind illegale Immigranten seit Monaten unter schlimmsten Bedingungen untergebracht. Tausende müssen Tage ohne Schutz in extremer Hitze verbringen.

Das Essen reicht nicht einmal für die Hälfte der Menschen. Und der Cateringdienst, der es bringen muss, hat seit Monaten keinen Cent vom Staat bekommen und ist bald pleite.

Fließendes Wasser gibt es erst seit einigen Tagen – und weil es verunreinigt ist, verursacht es insbesondere bei Kindern Durchfall und andere Krankheiten.

"Willkommen in Griechenland! Die Wahrheit ist doch, dass der Staat sehr viele Dinge für diese Menschen hätte tun sollen, aber er hat es einfach nicht getan."

Maria Matakaki, Metadrasi

Täglich werden Tausende Flüchtlinge von den Inseln zum Festland nach Athen gebracht. Große Sammelzentren sollen in Athen und Thessaloniki entstehen. Doch noch immer wird mit der EU um Geld und die richtige Flüchtlingspolitik gestritten.

Können die Rechtsextremen zulegen?

Das Fehlen einer klaren Position in der griechischen Politik hat viele linke Wähler mobilisiert, doch vor allem die Rechtsextremisten können daraus Kapital schlagen.

Die rechtsradikale Partei "Goldene Morgenröte" hetzt ganz offen gegen Flüchtlinge und illegale Migranten. Sie könnte als drittstärkste Kraft in das Parlament ziehen.

Evangelos Meimarakis

Doch nur er hier hat heute neben Alexis Tsipras Siegesschancen: Evangelos Meimarakis, Vorsitzender der konservative Nea Dimokratia. Umfragen sehen seine Partei fast gleichauf mit der linken Syriza. Und der 62-Jährige präsentierte sich auch im TV-Duell als Garant für Stabilität.

Nicht ganz so souverän, aber gefeiert von den Anhängern beendete Meimarakis am Donnerstag den Wahlkampf. Erst vor zwei Monaten rückte der Vertreter der alten politischen Garde an die Spitze seiner Partei.

"Wir sind die einzige Partei, die das Land verantwortlich führen kann. Wir streben eine nationale Regierung an, mit allen gewählten demokratischen Parteien und den Bürgern Griechenlands - für Wachstum und Stabilität."

Evangelos Meimarakis, Vorsitzender Nea Dimokratia

Das Comeback der alten politischen Kaste Griechenlands oder die Rückkehr des Alexis Tsipras – alles ist heute möglich.


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