BR Fernsehen - EUROBLICK


12

Kroatien / Deutschland "Schmetterlingskind" auf der Flucht

Das ist Saman. Er hat eine unheilbare Hautkrankheit. Wäre es nach dem Willen von Ärzten im Iran gegangen, würde der Achtjährige heute nicht mehr leben.

Von: Hilde Stadler

Stand: 25.10.2015 | Archiv

Solmaz | Bild: BR

Sein Vater sollte zustimmen, dass die Ärzte Saman einen Tag nach seiner Geburt ein tödliches Medikament verabreichen. Man wolle dem Kind Leid ersparen.

Vor vier Wochen in Kroatien: Am Aufnahmelager Opatovac begegnen wir Samans Vater: Hossein Koswari packt mit an bei den Ärzten ohne Grenzen. Er erzählt, dass er aus dem Iran geflohen sei, wegen seines kranken Sohnes. Während er und die elfjährige Tochter Solmaz am Lager in Opatovac sind, haben die Ärzte ohne Grenzen veranlasst, dass Saman zur Behandlung in ein örtliches Krankenhaus gebracht wurde, zusammen mit der Mutter.

"Der Gesundheitszustand von Saman hat sich auf der Flucht sehr verschlechtert. Er hat überall offene Wunden. Besonders schlimm war es in dem überfüllten Schlauchboot, mit dem wir nach Griechenland fuhren."

Hossein Koswari, Flüchtling aus Iran

Die Ärzte im Iran hatten ihm für Saman zu einer Behandlung in Deutschland geraten. Hossein Koswari bittet uns um Hilfe für seinen kranken Sohn.

Zwei Tage später: Hossein und seine Tochter Solmaz konnten von Opatovac nach Zagreb fahren, wohin Saman verlegt wurde. In der Kinderklinik: Wiedersehen mit Mutter Neda und mit Saman. Der Achtjährige ist ein "Schmetterlingskind". Er leidet an Epidermolysis Bullosa (EB), eine seltene dermatologische Erbkrankheit. Samans Haut ist so empfindlich wie Schmetterlingsflügel, bildet sehr schmerzhafte Blasen und Wunden. Nach Samans Geburt sagten die Ärzte im Iran zu Hossein Koswari, er solle zustimmen, dass seinem unheilbar kranken Kind ein tödliches Medikament verabreicht werde.

"Ich habe schließlich ein Dokument unterschrieben und den Ärzten gegeben, damit sie alles in die Wege leiten. Dann wollte ich mich von meinem Kind verabschieden. Als ich mein Baby sah, lächelte es mich an. Da war es um mich geschehen. Ich habe dem Arzt das Dokument aus der Hand genommen und es zerrissen. Und ich bin glücklich und dankbar, dass ich das gemacht habe."

Hossein Koswari

Mit Papas Hilfe isst Saman nach langer Zeit mal wieder Gemüse. Und es schmeckt ihm. Durch die Strapazen der Flucht hatte sich Samans Zustand dramatisch verschlechtert. Er litt an offenen Wunden und an Unterernährung.

"Diese Krankheit betrifft nicht nur die Haut, sondern auch die Speiseröhre. Die Kinder haben oft Probleme beim Essen und Schlucken. Deshalb brauchen sie eine spezielle Ernährung. Doch diese hoch proteinhaltige und vitaminreiche Nahrung hat der Junge im Iran nicht bekommen, geschweige denn auf der Flucht. Auch deswegen ging es ihm nicht sehr gut."

Dr. Antun Kljunak, Kinderkrankenhaus Zagreb

Seine Schwester ist Samans einzige Spielgefährtin. Und Saman kennt sich aus: Er zeigt der Schwester, wie die Figur zusammen gebaut wird, und hat Geduld mit ihr. Die Geschwister sind sehr innig. Doch lastet die Verantwortung für den kranken Bruder auch schwer auf der elfjährigen Solmaz.

Hossein Koswari und Solmaz

Vater und Tochter wohnen in einem Appartement von Debra, einem Verein, der sich um Schmetterlingskinder und ihre Familien kümmert. Debra ist in 40 Ländern aktiv, hat ein internationales Netzwerk aufgebaut. Betroffene Familien erfahren, dass sie nicht allein sind. Sie sollen sich gegenseitig unterstützen. Nach Wochen auf der Flucht genießen es Hossein und Solmaz, dass sie selbst ihr Essen zubereiten können.

EB-Patienten und ihren Familien im Alltag zu helfen, ist das Ziel von Debra. Neben Kontakten zu Ärzten gilt es auch zu organisieren, dass Schmetterlingskinder mit Gleichaltrigen zusammen kommen, nicht ausgegrenzt werden.

"Ein großes Problem für die Familie Koswari war, dass Saman im Iran keine normale Schule besuchen durfte. Das ist merkwürdig, denn er ist ein kluges Kind. Er hat zwar eine Hautkrankheit, aber die ist ja nicht ansteckend. Er kann mit etwas Unterstützung ein normales Leben führen."

Vlasta Zmazek, Verein Debra Kroatien

Hossein Koswari versucht, von Zagreb direkt nach Deutschland auszureisen. Doch die Behörden verlangen, er müsse in Kroatien einen Asylantrag stellen, gemäß der Dublin-III-Verordnung. Erst dann könne er ein Visum für Deutschland beantragen, das man prüfen werde.

Die Koswaris aber entschließen sich, die Flucht fortzusetzen über die Balkanroute. Sie wollen nicht in Kroatien bleiben. Das heißt: zurück ins Aufnahmelager Opatovac. Mit anderen Flüchtlingen warten sie im Bus, der sie Richtung ungarische Grenze bringen soll. Durch Ungarn soll es nach Österreich gehen und von dort nach Deutschland. Eine Fahrt ins Ungewisse und neue Strapazen für den kranken Saman.

Dr. med. Kathrin Giehl

Drei Tage später, im Haunerschen Kinderspital in München. Nach einer fünfwöchigen Flucht haben die Koswaris es geschafft. Saman ist gespannt. Die Ärztin ist da, seine Eltern froh. Bis jetzt hatte die Ärztin nur Fotos von Saman gesehen. Verbände werden entfernt. Eine erste Diagnose. Auch Solmaz ist gespannt.

"Ich muss schon sagen, ich bin trotzdem erschüttert. Ich hatte ja vorab Fotos gesehen. Aber da war natürlich alles eingepackt. Wie groß die Wunden sind, wie schlecht sie im Augenblick versorgt sind. Wir hoffen natürlich jetzt, dass wir den Zustand dieser Wunden deutlich bessern können."

Dr. med. Kathrin Giehl, Zentrum für seltene und genetische Hautkrankheiten, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Klinikum der Universität München

Mit Geldern der "Deutschen Stiftung Kinderdermatologie", der "Care for Rare"-Stiftung und mit Spenden soll Samans Behandlung finanziert werden, auch eine Operation, um die Verwachsungen seiner Hände zu lösen.

"Wir wollen rausfinden, was die Ursache ist, wo der Webfehler ist. Dazu wird das EB-Zentrum in Freiburg mit uns kooperieren und eine Analyse auch machen. Man nennt das Immunfluoreszenz, wo genau geschaut wird, an welcher Stelle der Defekt ist. Das werden wir Anfang nächster Woche veranlassen. Und daraufhin werden wir auch den Webfehler in den Genen anschließend suchen."

Dr. med. Kathrin Giehl

Solmaz, Saman und die Eltern hoffen, dass sich ihr größter Wunsch erfüllt: Ein normales Leben ohne Ausgrenzung. Und wir freuen uns, dass wir Saman und seiner Familie helfen konnten.


12