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Norwegen Felssturz bedroht Geirangerfjord

Keiner weiß genau, wann es passiert. Die Fjorde um Geiranger: Weltnaturerbe und Traumziel für Norwegentouristen. Wo sie von der Landschaft schwärmen, sieht Lars Blikra vor allem eine drohende Naturkatastrophe.

Von: Bastian Berbner und Ole Pflüger

Stand: 05.10.2014 | Archiv

Der Fjord und Hellesylt | Bild: BR

"Der Tsunami wird alle Häuser unterhalb der Kirche zerstören. Er würde auch die meisten Menschen hier töten. Deswegen ist es unsere Aufgabe, sie rechtzeitig zu warnen, sodass sie fliehen können, bevor die Welle kommt."

Lars Blikra

Lars Blikra

Lars Blikra ist Chefgeologe im Auftrag der norwegischen Regierung. Er ist auf dem Weg nach Åkernes, ein Berg, nur 13 Kilometer von Hellesylt entfernt: 54 Millionen Kubikmeter Gestein – instabil und in Bewegung.

Um den Berg zu überwachen haben Blikra und seine Kollegen sogenannte Extensometer installiert.

"Als wir das hier angebracht haben, saß das weiße Teil noch hier unten. Jetzt ist es hier. So können wir ablesen, wie schnell sich der Berg bewegt hat."

Lars Blikra

Der Spalt wächst bis zu 12 Zentimeter im Jahr.

"Hier ist er bereits mehrere Meter breit. Ein klarer Beweis für uns , dass der Hang abrutscht. Der Spalt zieht sich mehr als 500 Meter durch den Berg."

Lars Blikra

"Irgendwann wird der ganze Berg in den Fjord rutschen und da unten einen Tsunami auslösen. Eine große Welle nach draußen ins Meer, aber auch in die Fjorde hinein, in Richtung Hellesylt."

Lars Blikra

Was sie dort anrichten würde, haben die Geologen im Labor simuliert. Hier das schlimmste Szenario: 50 Millionen Kubikmeter Gestein. Nach fünf Minuten erreicht die Welle Hellesylt. 80 Meter hoch türmt sie sich auf.

Die Gebäude, die hier weggespült werden - in der Realität: Wohn- und Ferienhäuser, das Altersheim, die Schule. Der Ortskern von Hellesylt.

Elin Stokke lebt hier. Sie führt uns durchs Dorf. 500 Einwohner hat Hellesylt, erzählt sie uns. Immer weniger wollen hier unten am Wasser wohnen. Denn wenn es keine Warnung gibt, sind sie der Welle schutzlos ausgeliefert.

"Eine schreckliche Vorstellung ist das. Eine Tragödie. Mir fällt es schwer, überhaupt daran zu denken, wie furchtbar das sein wird. Alles wird fortgespült, die Arbeitsplätze, die Fabrik, die Existenz der ganzen Leute."

Elin Stokke Hanken

Elin nimmt uns mit zu ihrer Freundin Ragnhild. Auch sie fürchtet sich vor der Welle. Während ihr Bruder noch unten am Wasser wohnt, ist sie vor zwei Jahren auf den Berg gezogen.

"Ich habe das Haus hier oben, 150 Meter über dem Fjord, gebaut, damit die Welle mich nicht erreichen kann. Die kommt ja höchstens 80 Meter hoch. Ganz wohl fühle ich mich trotzdem nicht, wenn ich auf den Fjord gucke. Wenn ich ins Zentrum runterfahre, nehme ich immer das Auto. Dann parke ich grundsätzlich bergauf und halte den Schlüssel bereit, falls der Erdrutsch kommt."

Ranghild

Viele im Dorf halten das für übertrieben, wollen nicht, dass die Bedrohung ihr Leben bestimmt.

"Die Leute in Hellesylt wissen von der Gefahr, aber sie sprechen kaum darüber. Aber ich kann euch mal zeigen, wie weich das Gestein hier ist. Jedes Frühjahr müssen wir hier das lose Gestein rausholen, sonst fällt es uns auf den Kopf."

Roar

Die Gefahr ist real. 1905 - eine Welle zerstört das Dorf Loen. 1934 – Tafjord, nicht weit von Hellesylt. 40 Menschen sterben in einer Welle, die nur 17 Meter hoch war. Auch Hellesylt wird irgendwann zerstört werden.

Jan-Ove Tryggestad

Wenn es soweit ist, geht es um das Leben von 4000 Menschen in Hellesylt und seinen Nachbardörfern. Er ist dafür verantwortlich, dass sie rechtzeitig gewarnt werden: Bürgermeister Jan-Ove Tryggestad.

"Wir erwarten, dass das Überwachungssystem uns mindestens 74 Stunden zum Evakuieren gibt. Das sollte reichen, um alle in Sicherheit zu bringen."

Bürgermeister Jan-Ove Tryggestad

Das Überwachungssystem – damit meint er die unzähligen Messinstrumente am Berg. GPS-Sensoren, Seismographen, Laser. Sie messen Temperaturen, Geräusche und Bewegungen im Gestein.

Sobald sich am Berg etwas tut, bekommt Lars Blikra eine SMS. Aber wie verlässlich ist das System?

"Natur bleibt Natur. Wir können natürlich nie zu 100 Prozent sicher sein, es gibt immer ein Restrisiko. Aber wir tun unser Bestes für die Menschen, die hier leben."

Lars Blikra

Wenn alles gut geht, können sie alle Menschen retten. Das Dorf aber wird zerstört. Der Bürgermeister sagt: "Dann bauen wir es eben wieder auf."

"Wir leben seit tausend Jahren mit den Fjorden. Nach der Katastrophe werden wir zurückkommen und noch viele tausend weitere Jahre hier leben."

Bürgermeister Jan-Ove Tryggestad

Keiner weiß genau, wann die Welle kommt. In zwei Monaten oder erst in 200 Jahren. Solange bleibt Åkernes der wohl am besten überwachte Berg Europas.


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