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Zypern Tauwetter zwischen Nord und Süd

Spuren eines Waffenganges – 41 Jahre danach: Im Juli 1974 wurde hier, auf dem internationalen Flughafen von Nicosia, geschossen und gestorben.

Von: Michael Schramm

Stand: 19.07.2015 | Archiv

Geisterflughafen von Nikosia | Bild: BR

Bis hierher drängte damals die türkische Armee griechisch-zyprische Verbände zurück und eroberte Nordzypern. Zuvor hatten griechische Nationalisten eine Angliederung der ganzen Insel an Griechenland betrieben. Seither ist Zypern geteilt und dieser Airport ein Geisterflughafen…

Damals starben Tausende, Hunderttausende wurden zwangsumgesiedelt, und aus einer gemeinsamen Insel wurden zwei strikt getrennte Welten. Genau dagegen probt und singt man hier in gewisser Weise an, und das schon seit 17 Jahren. Die Mitglieder des "Zwei-Völker-Chores für Frieden auf Zypern" sind griechische und türkische Zyprer. Sie stellen jeweils etwa die Hälfte.

Aufbruch zu einem Auftritt im griechisch-zyprischen Limassol: Die Lieder des "Zwei-Völker-Chores" sind oft sowohl Türkisch als auch Griechisch. Häufig muss man sich gegenseitig die Texte erklären und übersetzen. Was sie verbindet, ist der Wunsch singend die blutige Vergangenheit und die Teilung zu überwinden.

Die griechische Zyprerin Christalla und ihre türkisch-zyprische Freundin Senem wissen aus Erzählungen um die großen Schwierigkeiten, die dieser Chor in den ersten Jahren seines Bestehens hatte. Für die offizielle Politik beider Seiten war bis vor nicht allzu langer Zeit Gemeinschaft dieser Art unerwünscht.

"Von meinem Vater habe ich immer nur Positives über die Griechen gehört. So bin ich aufgewachsen! Deshalb hatte ich nie Vorurteile. Es war mir eine Herzensangelegenheit, diesem Chor zu beizutreten."

Senem Artun

"Letztlich habe ich mein Leben einem türkischen Freud meines Vaters zu verdanken. Meine Familie hatte auf der heute türkischen Seite der Insel gelebt. Er war es, der uns 1974 gerettet hat!"

Christalla Tsiakli Nikolenko

Eintreffen in Limassol: Ein auffallend großes Polizeiaufgebot erwartet sie. Nicht jeder ist von einem "Zwei-Völker-Chor" begeistert. Noch immer gibt es Hass und Vorurteile – auf beiden Seiten. Frieden ist deshalb das große Thema der Lieder.

Nie waren die Lieder des "Zwei-Völker-Chors" so aktuell wie in diesen Tagen. Auch in der Politik stehen die Zeichen auf Annäherung: Der Überraschungssieger der türkisch-zyprischen Präsidentenwahl in der international nicht anerkannten Republik Nordzypern, Mustafa Akinci, macht einen historischen Schritt auf seinen griechisch-zyprischen Amtskollegen Nikos Anastasiades zu. Das erklärte Ziel: Weg mit der Teilung der Insel!

Hoffnung macht dabei, dass man vor den Küsten vermutete erhebliche Gasvorkommen eigentlich nur gemeinsam ausbeuten kann.

Doch: Es gibt auch Schwierigkeiten: Noch immer werden nahezu in jedem Monat Leichen aus der dunklen Zeit gefunden und Grundstücke und Häuser Geflohener und Vertriebener sind vielfach längst weiter veräußert – eine rechtlich schwer zu lösende Situation.

Schließlich redet auch das Mutterland Türkei In Nordzypern ein gewichtiges Wort mit – beinahe allgegenwärtig ist die türkische Flagge.

Auch Größe und Lage des Parlaments neben der türkischen Botschaft machen die wahren Machtverhältnisse augenfällig. Und aus Ankara kamen jüngst eher mahnende Worte: Man betrachte Nordzypern als sein "Kind".

Esat Yaramis

Die Türkei hat in den letzten vier Jahrzehnten viel Geld für Nordzypern aufgewendet, verfolgte aber auch eigene Ziele: So machte Ankara nach und nach rund 100.000 Festlandstürken zu Insulanern. Und die sehen nun den Prozess der Wiederannäherung mit höchst gemischten Gefühlen – so auch der Kurde Esat Yaramis aus Mus.

"Seit Jahren hören wir: Packt eure Koffer und geht! Doch wohin sollen wir gehen? Niemand kann uns vertreiben! Mein Schwiegervater hat als Soldat hier sein Leben riskiert. Auch wir haben ein Recht hier zu sein!"

Esat Yaramis, Festlandstürke

Nikosia

Nikosia – die letzte und einzige europäische Stadt, die geteilt ist: Zumindest optisch gibt es hier noch einen Eisernen Vorhang, auch wenn dieser seit 2003, nach Öffnung der Grenzen, durchlässig geworden ist. Zwei Bürgermeister regieren Nikosia, das gleich zweimal Hauptstadt ist.

Der Bürgermeister von Lefkosa, des türkischen Teils von Nikosia, Mehmet Harmanci: In diesen Tagen tut er, was auch sein griechischer Kollege nur wenige Kilometer entfernt fast gleichzeitig macht: er eröffnet eine kulturelle Veranstaltung. Seit einigen Wochen trifft er seinen Amtskollegen fast wöchentlich.

"Diese Stadt ist zwar geteilt, aber im Grunde ist sie auch ein Gemeinwesen. Wir haben eine Lunge. Dies auch, wenn der Lifestyle unterschiedlich ist. Entscheidungen betreffen daher letztlich immer alle. Deshalb versuchen wir mehr zu kooperieren." Mehmet Harmanci, Bürgermeister Lefkosa, türkischer Teil von Nikosia

Fast gleiche Zeit, drei Kilometer Luftlinie entfernt: Auch der Stadtvater des griechischen Nikosia Constantinos Yorgacis eröffnet Kulturelles…

"Wenn wir eine tragfähige Lösung finden, wären die wirtschaftlichen Vorteile für alle gewaltig!kk"

Constantinos Yorgacis, Bürgermeister Nikosia, griechischer Teil

"Hoffen sie, dass es in nicht allzu ferner Zukunft nur noch einen Bürgermeister in Nicosia geben wird?"

Frage

"Ja! Ich hoffe, eines Tages gegen meinen türkischen Amtskollegen antreten zu können."

Constantinos Yorgacis

Der Flughafen Nikosia: Er schläft seinen Dornröschenschlaf - noch. Denn: Sollte Zypern tatsächlich wieder zusammenwachsen – er könnte wieder zum "Tor zur Welt" werden.


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