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Werbung, Lebensmittel Industrie und Politik gegen Werbeverbot?

Soll die Werbung für „ungesunde Lebensmittel“ - also Lebensmittel mit viel Zucker, Fett und Salz - in Zukunft verboten werden, zumindest wenn sie sich an Kinder richtet? Weil Kinder in Deutschland immer dicker werden, fordern Fachleute ein solches Verbot seit langem. Ein Gesetzesentwurf aus dem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft wird aktuell heiß diskutiert. Erste Einschränkungen gibt es im Bereich der Sendezeit, in der in Zukunft Werbespots für ungesunde Lebensmittel noch zugelassen sein werden.

Von: Isabel Hertweck-Stücken

Stand: 03.07.2023

Bei einem Kochkurs in der Reha-Klinik Schönsicht in Berchtesgaden lernen Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und ihre Eltern neue Rezepte und neue Geschmäcker kennen. Selbst zubereitete Pausenbrote, Snacks und Süßigkeiten - statt der üblichen Fertigprodukte. Denn die sind zwar günstig zu kaufen, überall verfügbar und auf den „Kindergeschmack“ zugeschnitten: Aber sie haben meist viel zu viele Kalorien.

Kinder und Jugendlichen im Stress: Lässt sich „Zuckersucht“ abtrainieren?

Im Kochkurs lernen die Kinder und ihre Eltern, dass es auch mit weniger Zucker, Salz oder Fett schmecken kann, auch wenn das etwas mehr Arbeit und Vorbereitung erfordert. Ernährungsberaterin Kristina Pinter kennt die Schwierigkeiten, die Kinder an neue, gesündere Alternativen heranzuführen.

"Das ist sehr oft dann die Prägung von zuhause, dass die Kinder wenn sie anreisen, haben ein Stoffwechselproblem, und sie sind so sehr gewöhnt diesen süßen Geschmack, und das müssen wir wirklich sozusagen austrainieren."

Kristina Pinter, Ernährungsberaterin, Reha-Klinik Schönsicht, Berchtesgaden

Behutsam und ohne Druck werden Kinder und Eltern an die gesünderen Lebensmittel herangeführt, bekommen Tipps zur zeitsparenden Umsetzung und Aufklärung über die Inhaltsstoffe ihrer üblichen „Favoriten“ aus dem Supermarkt. Doch die Reha- Klinik in Berchtesgaden ist weit weg von allem: von Alltag, Medien und der allgegenwärtigen Werbung. Die macht den Kindern üblicherweise Lust auf genau das, was sie eigentlich unbedingt meiden sollen. Die Klinik bemüht sich zwar, die Kinder auf die allgegenwärtige Verführung zum ungesunden Essen im Alltag vorzubereiten, aber das klappt nicht immer und macht den Erfolg der mehrwöchigen Ernährungsumstellung unter Umständen schnell zunichte.

Übergewicht bei Kindern: eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe

Dass Kinder vor solchen Werbebotschaften geschützt werden, dafür setzt sich Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft, seit Jahren ein. Denn mit Übergewicht und Adipositas bei Kindern steigt auch das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, für bestimmte Krebserkrankungen und für Diabetes.

"Wir sprechen in der Diabetologie von über acht Millionen Menschen, die von Diabetes betroffen sind. Und wir wissen, dass diese Zahl in den nächsten Jahren drastigsch steigen wird: bis 2040 auf über 12 Mio Menschen mit Diabetes. Und Diabetes ist nur eine der Folgeerkrankungen. Das heißt, es muss dringend etwas im Bereich der Prävention getan werden, und zwar auf gesamtgesellschaftlicher Ebene."

Barbara Bitzer, Deutsche Diabetes Gesellschaft

Im März hat der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir endlich einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgestellt. Danach sollen Kinder in Zukunft vor an sie gerichteter Werbung für Lebensmittel mit zu viel Fett, Zucker und Salz geschützt werden. Konkret würde das dann so aussehen: Müslis, die mehr als 12,5 Gramm Zucker pro 100 Gramm enthalten, dürften nicht mehr als „kindgerecht“ beworben werden. Brot und Gebäck mit mehr als 0,5 Gramm Salz, gälte ebenfalls als ungesund. Und verarbeitetes Fleisch mit mehr als 17 Prozent Fettgehalt könnte nicht mehr für Kinder beworben werden.

Einfache Kriterien, die die Weltgesundheitsorganisation entwickelt und geprüft hat. Und dennoch gibt es große Widerstände gegen das Gesetz, auch wenn schon erste Nachbesserungen eingearbeitet wurden, zum Beispiel bei der Sendezeit, in der Kinderwerbung geschaltet werden darf. Statt werktags von 6 bis 23 Uhr, soll in Zukunft nur noch die „Prime-Time“ von 17 bis 22 Uhr von Werbebotschaften für ungesunde Lebensmittel freigehalten werden. Fachleute befürchten, dass dies nur der erste Schritt bei der „Entschärfung“ des Gesetzesentwurfs sein könnte. Sie appellieren an die Politik, den Gesetzesentwurf möglichst unverändert umzusetzen.

"Im Moment wird dieser Entwurf natürlich viel diskutiert. Da müht sich die Lebensmittelindustrie, auch die Werbeindustrie, diesen Entwurf zu kippen."

Barbara Bitzer, Deutsche Diabetes Gesellschaft

Gesund / ungesund: Sind WHO Kriterien auf den deutschen Markt anwendbar?

Ist das Gesetz zu hart? Gibt es dann überhaupt noch Lebensmittel, die als gesund gelten? Anna Leibinger vom Lehrstuhl für Public Health hat das in einer Stichprobe für den deutschen Markt untersucht. Das Ergebnis: Auch auf dem deutschen Markt bleiben zahlreiche Produkte auch nach den Kriterien der WHO „gesund“ - und zahlreiche Produkte könnten durch eine leichte Reduzierung des Gehalts an Zucker, Fett oder Salz „auf die gesunde Seite“ wechseln, und damit weiterhin die Möglichkeit für an Kinder gerichtete Werbung haben. Mit einer bis zu 30-prozentigen Zuckerreduzierung könnten zum Besipiel 70 Prozent der Frühstücksmüslis auf der „gesunden Seite“ landen.

"Da sind einige Lebensmittel gar nicht so weit über diesen Grenzwerten. Das heißt, wenn die Industrie da die Inhaltsstoffe ändern würde, also zum Beispiel weniger Fett oder weniger Zucker, dann würde sich eventuell auch die Einstufung ändern, und die Produkte könnten weiter beworben werden."

Anna Leibinger, Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung, LMU München

Aufklärung oder Verbote? Sinnvolle Strategien gegen Übergewicht

Philipp, 13 Jahre alt, hat eine Strategie erprobt, um sich gegen Werbebotschaften zu wappnen. Er greift dann zur Wassermelone - ein paar Stücke hat er immer in einer Brotbox dabei. Wenn er Werbung für Schokoriegel oder ähnliches auf Youtube sieht, muss er nicht bloß „verzichten“, sondern hat eine relativ kalorienarme Alternative „griffbereit“. Bloße Verbote bringen in der Praxis wenig, sie führen oft nur zu Konflikten und Frust. Darum setzt Ernährungsberaterin Agnes Streber lieber auf „Nudging“. Das Konzept bedeutet, dass gesunde Lebensmittel leichter erreichbar sind, als ungesunde. Damit fällt die Entscheidung für gesundes Essen nicht mehr schwer. Der Frust, der den ständigen „Verzicht“ begleitet, wird durch positive Erlebnisse ersetzt. Heute testet sie mit Philipp eine selbst gemachte Schokocreme. Viel weniger Zucker, besseres Fett, mehr Ballaststoffe, als das bekannte und beliebte Produkt. Mit solchen Ernährungs-Coachings leistet sie Überzeugungsarbeit - und muss doch immer gegen milliardenschwere Werbeetats anarbeiten.

"Wenn die Werbung mit so einem hohen Budget Werbung für Süßes macht, da kann man kaum entgegenhalten. Schon gleich gar nicht die Kinder, drum brauchen wir dringend eine Werbe Einschränkung. Für Junk Food im Bereich Kinder."

Agnes Streber, Ökotrophologin, Ernährungsinstitut KinderLeicht, München 

Werbeeinschränkungen schützen vor allem auch die Kinder, die aus den verschiedensten Gründen keine Chance auf eine Ernährungsberatung haben. Ein wichtiger Schritt, um die gesundheitlichen Gefahren des Übergewichts in Zukunft effektiv einzudämmen.


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