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Porträt von Ingeborg Ähnlichkeiten mit Ingeborg Bachmann

Es gibt viele Bilder von ihr: die idealisierte Dichterin, die gefallene Lyrikerin, die unverstandene Romanautorin. Ingeborg Bachmann selbst wusste von Anfang an, was es heißt, von anderen gesehen zu werden: Jeder macht sich sein eigenes Bild - aber welches ist wahr?

Stand: 01.04.2019 | Archiv

Archiv: Ingeborg Bachmann in Berlin  | Bild: RBB

Ingeborg Bachmann fürchtete sich vor Herrn Moll. Die Figur aus ihrer Erzählung "Das dreißigste Jahr" steht für alle Bescheidwisser, für alle, die sich vermeintlich in der Welt auskennen, die immer wissen "wie der Hase läuft", die andere Menschen einordnen und ihnen ein Etikett umhängen. Die Erzählung aus dem Jahre 1961 war nicht die erste, in der Ingeborg Bachmann das Unrecht thematisierte, das wir denjenigen antun, die wir vorschnell zu kennen glauben.

Ingeborg Bachmann am Schreibtisch

Damals wusste Ingeborg Bachmann noch nicht, wie sehr sie selbst einmal in den Widerstreit von Stilisierungen, Idealisierungen, Gerüchten, Urteilen und Vorurteilen geraten würde: Sie war für Marcel Reich-Ranicki die "vielleicht bedeutendste deutschsprachige Lyrikerin unseres Jahrhunderts", aber er nannte sie auch eine "gefallene Lyrikerin", als sie es wagte, seinen Vorstellungen nicht zu entsprechen und Prosa zu schreiben. Manche meinten, sie habe Hilflosigkeit bewusst eingesetzt, um männliche Beschützerinstinkte zu wecken. Anderen gilt sie als "Ikone des Feminismus", wieder anderen als heulende Sirene der absoluten Liebe. Eine, die mit bedeutenden Schriftstellern, Paul Celan und Max Frisch, zusammen war, aber in der Liebe dennoch gescheitert ist. Schließlich, ihres nie vollständig aufgeklärten Todes wegen, blieb noch der "Mythos Bachmann". Heinrich Böll sagte in seinem Nachruf über sie, man habe die Dichterin selbst "zur Literatur gemacht".

Auf den Spuren von Bachmann

Henselstraße, Elternhaus in Klagenfurt

Die Zeit ist weitergegangen, vieles verstehen wir heute anders. Viel Neues über Ingeborg Bachmann ist bekannt geworden, etwa ihre Korrespondenz mit Paul Celan und Hans-Werner Henze, zahlreiche Funde, sowie verschiedene Biografien und wissenschaftliche Arbeiten. Es ist Zeit, sich erneut mit der Schriftstellerin zu befassen und zu fragen, wie wir heute auf Ingeborg Bachmann schauen, ob wir sie inzwischen deutlicher sehen können. Wie nah sie uns ist. Ohne ihr gleich wieder ein Etikett überstülpen zu wollen. 

Andrea Stoll - Bachmann-Biografin

Der Film von Angelika Kellhammer zeichnet Bachmanns Lebensstationen nach. Freunde und Weggefährten erzählen von Begegnungen mit einer Frau, die eine vielsprachige, europäische Intellektuelle war, dabei mitunter schüchtern und verletzlich, die aber, wie die Bachmann-Biografin Andrea Stoll erläutert, kompromisslos liebte und lebte und die den Preis für diese sehr freie und schwierige Existenz mit einer Alkohol- und Medikamentensucht bezahlte. Erstmals äußert sich auch der Bruder Heinz Bachmann vor der Kamera zu seiner Schwester, führt durch das Haus ihrer Kindheit in Klagenfurt, wo sich noch heute Ingeborg Bachmanns Habe aus ihrer Wohnung in Rom befindet.

Die Ungargasse in Wien ist ein wichtiger Schauplatz in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina"

An den drei wichtigen Stationen Klagenfurt, Wien und Rom unternimmt der Film den Versuch, Ingeborg Bachmann nahezukommen, befragt Menschen, Orte und ihr Werk nach der Frau, die immer bereit war, auf das Verleugnete, Kranke, Gewalttätige in unserer Existenz hinzuweisen und versucht zu verstehen, warum das Schreiben für sie Berufung und unverzichtbarer Lebensinhalt war. Und warum es uns gerade heute etwas angeht. Ihre Auseinandersetzung mit der " Krankheit unserer Zeit" bleibt aktuell, ihr Anspruch an Sprache, Kunst, uns alle, ist radikal und experimentiert mit nichts weniger als dem Paradox und der Utopie.


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