Interview mit dem Regisseur Hans Steinbichler über "Polizeiruf 110 - Schuld"
Sie haben, bevor Sie an der HFF waren, Jura studiert. Da hatten Sie bestimmt einen speziellen Blick auf diese Geschichte, in der ein Dorf drauf und dran ist, Selbstjustiz zu üben?
Hans Steinbichler: Das Thema fand ich schon immer sehr spannend, denn im Kern geht es um die Frage: Was macht die Gesellschaft, wenn sie glaubt, dass der Staat nicht mehr weiterhilft? Ich wollte schon immer eine Geschichte über das Thema Selbstjustiz drehen, auch weil das den Rechtsstaat so wie ich ihn kenne, infrage stellt.
Himmel oder Hölle? Nie ist so viel über das Leben auf dem Land und in der Stadt reflektiert worden wie in den vergangenen Jahren. Früher war das Dorf Synonym für die Enge, der man entfliehen wollte, heute ist es Sehnsuchtsort. Was ist es in Ihrem "Polizeiruf"?
Der Filser Wirt (Andreas Giebel, vorn li.) sammelt sich mit weiteren Dorfbewohnern vor Xaver Edlingers Haus.
Hans Steinbichler: Wenn man, so wie ich, vom Dorf kommt, nimmt man das Dorf natürlich erst mal als Hölle wahr. Dort weiß jeder über jeden Bescheid, das war auch schon vor Facebook so, und dieser Zustand ist schlimm, wenn man jung ist. Wenn man dann aber weggeht, dann wird das Dorf doch wieder zum Sehnsuchtsort. Ich habe beides versucht zu vereinen. Das, was man sieht, ist die Idylle und das, was dahinter droht, ist die Hölle.
Sie kennen beides, das Leben auf dem Land, und das Leben in der Stadt. Amüsiert Sie, was da alles hineingeheimnist wird?
Hans Steinbichler: Ja, das amüsiert mich zum Teil wirklich. Ich bin selbst vom Land weggezogen und dann aus pragmatischen Gründen in der Stadt hängen geblieben. Viele sehen die Idylle, aber die Wahrheit ist: Es kann ganz schön öde sein da draußen. Und es macht einen auch nicht zwangsläufig kreativ, sondern vielleicht sogar behäbig. Man liest ja auch immer mehr Berichte von Menschen, die voller Ideale aufs Land gezogen sind und dann mit hängendem Haupt zurückgekehrt sind. Dieses Spannungsverhältnis ist auch eines, das man an der Figur von Meuffels sieht.
Sie haben mit "Hierankl" einen der ersten Filme gedreht, mit denen der Begriff "Heimatfilm" eine Renaissance erlebt hat. Eine Bürde oder ein Glück?
Hans Steinbichler: Als "Hierankl" dieses Papperl "Neuer Heimatfilm" bekam, war da anfangs schon dieses gute Gefühl, etwas mit angerissen zu haben. Mittlerweile wird der Begriff "Heimat" aber sehr inflationär verwendet, was ich ganz schrecklich finde. Für mich selbst aber ist der Weg von "Hierankl" zu "Polizeiruf 110: Schuld" eine Entwicklung. In "Hierankl" habe ich Heimat als große Künstlichkeit dargestellt, als Kulisse vor der die Menschen wie im Theater spielen. In dem "Polizeiruf" dagegen zeige ich die Heimat sehr nah, sehr authentisch und unkünstlich.
Stimmt, das ist teilweise wie 4 D-Kino, man riecht die Mischung aus kalten Kacheln, Kaffee und Stall förmlich und sitzt mit auf der Eckbank in der Stube.
Hans Steinbichler: Dass das so echt ist, dabei haben mir vor allem zwei Aspekte geholfen: Ich hatte wahnsinnig gute Leute im Team und der Drehort ist ein Teil von mir, denn wir haben im Haus meiner Tante gedreht. Das hat natürlich sehr geholfen, den Film zu fassen.
Drei Folgen "Polizeiruf 110" mit Matthias Brandt gibt es bislang. Die Kritiken sind fabelhaft, zwei Filme haben Sie gedreht, da sind Sie bestimmt stolz?
Hans Steinbichler: Das ist ganz merkwürdig: Wenn man mich gefragt hätte, wo ich zuletzt hinkomme mit filmischer Arbeit, dann hätte ich gesagt "zum Drehen von Krimis". Aber die Redakteurin, Cornelia Ackers, ist so eine interessante Figur im Denken, dass aus jedem Reihenstück etwas ganz Besonderes wird. So bin ich natürlich richtig stolz, auch weil ich nach Dominik Graf dann der Nächste in der Reihe war.
Sie haben mit ganz unterschiedlichen, sehr kraftvollen, besonderen Schauspielern gedreht. Mit Sepp Bierbichler, mit Hanna Schygulla - wie ist Ihr Draht zu Matthias Brandt?
Hans Steinbichler: Matthias Brandt ist ein Glücksfall für einen Regisseur: Extrem professionell, in Hinblick auf alles - auf die Art wie man miteinander spricht, in puncto Zuverlässigkeit und in Hinsicht auf die Art, wie er ein Buch und seine Figur durchleuchtet. Bei ihm besteht die Kunst gar nicht darin, ihn zu führen, sondern ihn zu lassen und Sachen zu entdecken, Geheimnisse zu lüften.
Es gibt Schauspieler-Regisseure und solche, die mehr die Geschichte im Blick haben. Solche, die jede Szene vorspielen, und solche, die äußerste Ruhe verlangen, was sind Sie für einer?
Hans Steinbichler: Das Merkwürdige an meinem Beruf ist ja, dass man gar nicht weiß, wie die anderen sind. Wir sind immer alleine an einem Ort und irgendwo arbeitet gleichzeitig ein anderer, den wir nicht kennen. Und man will ja auch nicht unbedingt andere Königreiche anschauen, am Ende ist es dort besser … Vergleichen kann ich mich also schlecht, aber meine Selbstbeschreibung wäre, dass ich die Ruhe selbst bin und extrem beharrlich. Wie ein Gletscher, der sich langsam runterschiebt, man merkt es kaum, er nimmt ganz viel mit und am Ende spuckt er alles aus.
Was treibt Sie an? Die Geschichte oder die Suche nach der perfekten Einstellung?
Hans Steinbichler: Geschichten erzählen treibt mich an. Es gibt nichts Tolleres. Das klingt abgedroschen, ist es aber nicht, weil es ein Urgefühl ist, dass man etwas tradieren, also weitererzählen will.
Wer sind Ihre Meister?
Kathi (Barbara Bauer, Mi.) und ihre Eltern Franz (Fred Stillkrauth) und Maria Burnhauser (Doris Buchrucker)
Hans Steinbichler: Ach, ich habe im Gegensatz zu anderen wenig gesehen. Ich bin ja ohne Fernseher aufgewachsen, im Jura-Studium gab es auch wenig Kontakt zum Film. Meine ersten Kinoerlebnisse hatte ich mit Mitte 20. Aber da war der Einschlag dann umso stärker. Da habe ich "Das Schweigen der Lämmer" gesehen und konnte gar nicht glauben, welche Intensität sich da entwickelt. Außerdem hat mich Tom Tykwer sehr beeindruckt. "Winterschläfer" war für mich einer der Filme, wegen derer ich überhaupt Regisseur werden wollte. Ich dachte, wenn so etwas in Deutschland möglich ist, dann möchte ich auch Filme machen. Und David Fincher ist ein Regisseur, den ich ganz herausragend finde.