Roman von Musiker und Komponist Marc Sinan "Gleißendes Licht" - über die Kraft der Vergebung
Der deutsch-türkisch-armenische Komponist und Gitarrist Marc Sinan setzt sich schon lange mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinander. Nun hat er seinen Debütroman veröffentlicht. Der erzählt von Völkermord, Opfer- und Täterschaft - und damit auch von seiner eigenen Familiengeschichte.
Krieg, Vertreibung und Verfolgung von Minderheiten sind große Themen, die gerade allgegenwärtiger sind denn je. Viele Generationen haben Krieg, Verlust oder den Verlust der Heimat erlebt, die nachfolgenden Generationen bekommen diese Traumata "vererbt". Wie geht man mit diesem schweren Erbe um? In seinem Romandebüt geht der deutsch-türkisch-armenischerMusiker und Komponist Marc Sinan diesen Fragen nach.
Türkisch. Deutsch. Armenisch. Aus diesen Kulturen speist sich die Biografie des Komponisten und Musikers Marc Sinan. Er ist in Bayern aufgewachsen, die Mutter: türkisch-armenisch, der Vater: deutsch. Der Musiker und Komponist sagt von sich, er habe Glück, nicht Atila geheißen und keine schwarzen Locken gehabt zu haben. Während seiner Schulzeit habe ihm das bei den Noten geholfen. Und auch wenn er heute mehr Positives in seiner Diversität findet, so gibt es Momente, in denen er noch immer nach der eigenen Identität sucht.
"Das ist ein bisschen eine Entscheidung, die man treffen muss und möchte. Ich glaube auch je nachdem, ob man diese Reibungspunkte sucht, ob man so eine Dazugehörigkeit sucht oder ob man in dem Anderssein sich einrichten kann. Ich habe eine wunderbare Familie, deshalb bin ich mir da über weite Zeiten selbst genug. Aber ich habe schon das stark ausgeprägte Gefühl, nicht dazuzugehören."
Marc Sinan, Buchautor
Geschichte aufarbeiten
Marc Sinan hat mit "Gleißendes Licht" kein autobiografisches Buch verfasst. In dem Roman verwebt er aber autobiografische Elemente mit erfundenen Geschichten. An der Kunstfigur des Kaan versucht er aufzuzeigen, welche Haltlosigkeit schwere familiäre Geschehnisse erzeugen und Trauma hervorrufen können, wie sehr es die Kinder- und Enkelkinder-Generationen unbewusst in sich tragen. Der Ausgangspunkt für seine eigenen traumatischen Erlebnisse ist das schwere Erbe seiner armenischen Großmutter, die den Völkermord im Osmanischen Reich überlebte und zur Waise wurde. Wie kann er das daraus entstandene Trauma seiner Vorfahren, auch das der verstorbenen Mutter, bei sich selbst ins Reine bringen?
"Das Trauma ist etwas, was man bearbeiten und verarbeiten kann. Und man kann auch gesunden: Man kann als Mensch gesunden, man kann auch als Gesellschaft gesunden. Das ist, glaube ich, die positive Botschaft, die darin steckt. Nur das ist eben nicht etwas, was sich einstellt durch eine kleine Maßnahme im Geschichtsunterricht, sondern das sind große Vorgänge des gemeinsamen Erinnerns, gemeinsamen Verarbeitens. Und ich glaube, das betrifft eben Tätergesellschaften genauso wie Opfergesellschaften. Und das ist der Kern meines Anliegens, zu sagen, in den seltensten Fällen sind wir nur Opfer oder nur Täter, sondern das sind auch oft Dinge, die miteinander verschränkt sind."
Marc Sinan
Der erste Roman von Marc Sinan schafft geschichtliche Mehrschichtigkeit. Der Autor wechselt oft Zeitebenen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Auch Ortswechsel zwischen Ebersberg, Marc Sinans Heimatort, und der Türkei, der Heimat seiner Mutter, ziehen sich durch das Buch wie ein roter Faden. Immer wieder spielt die Hauptfigur mit der eigenen Diversität, hinterfragt sich und seine Gefühle, versucht Strategien zu entwickeln, die das emotionale Überleben sichern. Das Schwarze Meer in Verbindung mit dem Vornamen von Marc Sinans Mutter Nur ergeben den Titel des Romans: Gleißendes Licht. Es ist ein helles, leuchtendes, strahlendes Licht, das gegen das Vergessen der Gewalttaten des Völkermordes, aber auch der Verbrechen der heutigen Zeit steht.
Gemeinsame Rituale
Im Gegensatz zu der Hauptfigur seines Romans Kaan, der das Trauma seiner Vorfahren nur schwer überwinden kann, sucht sich Marc Sinan im wirklichen Leben Kanäle, um Hass, Wut, Zorn und letztlich auch die Trauer rauszulassen. Als Musiker und Komponist gibt er vielen dieser Gefühle eine Stimme. Ein Beispiel dafür ist sein Oratorium für Orchester, Solosänger und Chor, bei dem sowohl Laien als auch Profimusiker unterschiedlicher Kulturen und das Publikum selbst sich daran beteiligten. Auch hier verbindet das gleichnamige Memoriam-Ritual "Gleißendes Licht" viele Orte miteinander: Buchenwald, Jena, Jerusalem und Berlin werden simultan während der Aufführung miteinander eingebunden. Damit schafft der Komponist Marc Sinan ein Erinnerungsgut, das für die gegenwärtige aber auch die kommenden Generationen einen Weg zur gemeinsamen Aufarbeitung des Traumas zeigen.
"Ich glaube, wir müssen neue, gemeinsame Wege finden, uns zu begegnen. Und ich glaube, dazu brauchen wir einen gemeinsamen Boden und für den müssen wir Rituale erfinden. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Vorgang. Deshalb heißt mein Oratorium auch genauso wie mein Buch, 'Gleißendes Licht', weil es der Versuch war, mit Menschen sehr unterschiedlicher Kulturen eine neue Form des Rituals zu erfinden. Der Fußball wird uns nicht retten. Es wird uns nur retten, dass wir es schaffen, in einer sehr diversen Gesellschaft eine gemeinsame Sprache zu finden, gemeinsam zu erinnern."
Marc Sinan, Buchautor und Komponist