BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Senioren Wie werde ich gut und zufrieden alt?

Gesund und fit bleiben, kein Pflegefall werden und weiter im eigenen Zuhause leben: Das sind die meistgenannten Wünsche der Menschen, wenn sie über ihr eigenes Alter nachdenken. Doch viele denken sehr lange nicht übers Altwerden nach. Die Gedanken kommen bei den meisten erst, wenn beispielsweise die eigenen Eltern pflegebedürftig werden. Doch wie kann man gut und zufrieden alt werden?

Stand: 10.07.2024

Um das herauszufinden, hat sich Sehen statt Hören-Moderatorin Anke Klingemann auf die Reise quer durch Deutschland gemacht. Sie hat Altenheime besucht, mit Pflegepersonal, Alltagshelfern und älteren Menschen in unterschiedlichsten Situationen gesprochen.

Ein Altenheim für Gehörlose

In einem Altenheim in Hamburg trägt das Personal nicht die typische weiße Arbeitskleidung, sondern türkisfarbene Kittel. Wieso? Hier ist die Gehörlosen-Community vereint – und die hat sich die Farbe Türkis gegeben, als Zeichen für Gemeinschaft, Toleranz und gegenseitigen Respekt. Kein Wunder also, dass in dieser Alteneinrichtung das gesamte Personal gebärden kann. Nicht nur alle Bewohner sondern auch der Heimleiter David ist taub. Und von den 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist fast die Hälfte gehörlos.

Heimleiter David

Und das Haus? Ist vollbesetzt. Es ist das einzige Altenheim mit einem gehörlosen Einrichtungsleiter, das ausschließlich gehörlosen alten Menschen ein Zuhause bietet. Werbung braucht das Heim nicht: Auf drei Etagen leben 35 Bewohnerinnen und Bewohner - und freie Plätze sind sehr begehrt. Aufmerksam auf die Einrichtung werden die Interessenten durch die Homepage, durch Gehörlosennetzwerke und die Community – in der ist das Haus weithin bekannt. "Wir führen eine Warteliste, auf die man sich setzen lassen kann. Sobald ein Platz frei ist, telefonieren wir die Liste ab und fragen, ob das Interesse noch besteht und belegen den Platz dann wieder. Und die Liste ist lang", sagt der Hausleiter David.

Ein Ausflug an die Ostsee

Die Atmosphäre ist familiär, es wird auf vieles geachtet, was das Leben hier für die Gehörlosen schöner und einfacher macht. Besonders wichtig ist die freie Kommunikation – für die Bewohner, aber auch für das taube Personal – so wie Judith, die hier seit zwei Jahren arbeitet. "Es ist toll! Es ist so schön, frei kommunizieren zu können. Bei meinen bisherigen Arbeitgebern war ich ausschließlich unter Hörenden. Die Erfahrungen, die ich dort sammeln durfte, kann ich nun den tauben Bewohnern hier zugutekommen lassen. Darum macht mir die Arbeit so viel Spaß", sagt sie.

Trotzdem macht sich Heimleiter David zunehmend Sorgen um taube Menschen im Alter: Was, wenn sie in ein "normales" Pflegeheim kommen? Wie steht es dann um die Kommunikation, wenn niemand gebärden kann? "Von einigen, für die wir hier keinen Platz mehr hatten, weiß ich, dass sie in ein Altersheim mit Hörenden kamen und dass es verdammt hart für sie ist. Wenn ältere Menschen kein gebärdensprachliches Umfeld mehr haben, bauen sie kognitiv ab und die Lebensqualität sinkt rapide."

Kommunikation steht seiner Meinung nach im Alter an erster Stelle – deshalb ist für ihn ein gebärdensprachliches Umfeld das Wichtigste. "Wer aktiv im Leben bleiben möchte, muss auch aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Also Kontakte zu anderen tauben Menschen pflegen, sich unterhalten, Sport treiben, sich regelmäßig treffen." Das wird besonders problematisch, sobald die ersten Mobilitätseinschränkungen eintreten. Wer dann zudem noch abgelegen wohnt, tritt häufig den sozialen Rückzug an – und bleibt lieber zu Hause. Doch laut David müssten gerade diese Menschen ermutigt und ins gesellschaftliche Leben zurückgeholt werden. "Darum finde ich es so wichtig, Netzwerke aufzubauen. Abhol- und Bringdienste sowie anderes ließen sich leichter organisieren." 

Die Alltagshelferin

Doch genau diese Isolation ist für taube alte Menschen leider häufig die Normalität. Um sie wieder in die Gemeinschaft zurückzuholen, gibt es sognannte Alltagshelfer. Eva ist eine von ihnen: Sie unterstützt alte taube Menschen in Würzburg. Eine ihrer "Schützlinge" ist Ulla. Sie wird von Eva häufig besucht, sie machen Ausflüge, gehen ins Café, unterhalten sich. Bis dato hatte sich Ulla keine Gedanken übers Älterwerden gemacht – bis sie vor vier Jahren durch einen unglücklichen Sturz und eine angebrochene Schulter lange krank war. Seitdem braucht sie einen Rollator – und stößt auf immer mehr Barrieren. Da kommt ihr ein Mensch wie Eva wie gerufen.

Eva

Doch wie kam Eva zu ihrer Berufung? Sie hat eine Aufgabe gesucht, die ihr Leben bereichert. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich bewusst dazu entschieden, in ihrem Zuhause wohnen zu bleiben und nicht zu ihren Kindern zu ziehen. Sie wollte unabhängig bleiben und ist bis heute zufrieden mit ihrer Entscheidung. Langeweile kennt sie nicht: Sie betreut zum einen ihre Enkelkinder und zum anderen unterstützt sie die Senioren. Das Leben und die Erfahrungen der älteren Menschen haben sie immer interessiert und so war sie schon länger im Austausch mit dem einen oder der anderen. "Ich hab überlegt, wie ich die Senioren unterstützen, ihnen helfen kann. Dass einige von Ihnen isoliert lebten, hat mich getroffen. Aber ich wollte nicht in Mitleid verfallen, sondern aktiv etwas für sie tun", sagt sie. "Wenn andere Menschen durch mich wieder Freude haben, dann macht auch mich das zufrieden."

Sie kennt auch die Träume, die viele jüngere Gehörlose von ihrem eigenen Alter haben: Ein Seniorenheim, in dem sie als Gruppe, aber selbstständig wohnen können. Wo sie in Gemeinschaft leben und abwechselnd füreinander kochen können. Oder als Freundesgruppe zusammenbleiben und gemeinsam in ein Haus gehen. "Aber ob das wirklich realisierbar ist, ist die Frage", zweifelt Eva.

Als Gehörloser im Seniorenheim

Norbert und Gerhard

Gerhard und Norbert leben in einer Gruppe von insgesamt elf Tauben in einem Berliner Seniorenheim - hauptsächlich sind hier hörende ältere Menschen zuhause. Die beiden sind grundsätzlich zufrieden mit ihrer Wohnsituation, sie unterstützen sich gegenseitig – und dennoch vermissen sie ihr altes Umfeld, die Freunde und die Geselligkeit. Einem möglichen Umzug in ein Pflegeheim, sieht vor allem Gerhard mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Er fühlt sich ausgeliefert und ist misstrauisch. Norbert will seinen Angehörigen jedoch auf keinen Fall zur Last fallen, sodass für ihn in letzter Instanz nur eine Pflegeeinrichtung In Frage käme.

Ein Fazit

Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen vom Leben und Wohnen im Alter. Aber für alle gilt: Das Bedürfnis nach Gebärdensprache, in einer Gemeinschaft zu leben und gebärdensprachliche Kontakte pflegen zu können ist groß. Aber auch Selbstbestimmtheit im Alter ist allen enorm wichtig. Bleibt zu wünschen, dass künftig jeder im Alter aus einer Vielzahl von Möglichkeiten wählen und so selbstbestimmt sein Leben gestalten kann.


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