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Programm und Realität Was wäre, wenn die AfD regiert?

Die AfD positioniert sich als die Partei, die ohne Ideologie und Tabus Politik macht. Doch wie würde sich Deutschland verändern, wenn die AfD Deutschland alleine regieren könnte? BR24 hat mit Experten über die Folgen des AfD-Wahlprogramms gesprochen.

Von: Birgit Schmeitzner und Wolfgang Kerler

Stand: 15.09.2017 | Archiv

AfD-Plakat in München | Bild: picture-alliance/dpa

Die EU kommt im Wahlprogramm der AfD schlecht weg. Die Partei ist der Ansicht, dass der Euro ein Fehler war und dass Europa zurück muss auf den Stand vor 1992, zurück zu einem Staatenbund, bei dem es nur um Handel geht.

"Sofern eine solche Konzeption mit den derzeitigen Partnern der EU nicht einvernehmlich auszuhandeln ist, ist Deutschland gezwungen, dem Beispiel Großbritanniens zu folgen und aus der bestehenden EU auszutreten."

Aus dem Wahlprogramm der AfD

Ganz konkret hieße das für die Bürger: Wieder Kontrollen an den Grenzen und eine D-Mark, die man für Reisen umtauschen muss. Für die deutsche Wirtschaft wären die Rückkehr zur D-Mark und der Austritt aus der EU ein düsteres Szenario.

Arbeitsplätze wären in Gefahr

Vor allem der Außenhandel würde leiden. Dabei ist in Deutschland fast jeder vierte Job vom Export abhängig. Fast 60 Prozent der deutschen Ausfuhren gehen in andere EU-Staaten.

Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) warnt, dass die wiedereingeführte D-Mark stark im Kurs gegenüber anderen Währungen aufwerten würde. Außerdem müssten sich Unternehmen wieder auf Wechselkursschwankungen vorbereiten und Geld für den Umtausch der D-Mark in Dollar oder eben Euro bezahlen.

"Die erste Folge eines hohen D-Mark-Kurses wäre, dass unsere Produkte im Ausland wesentlich teurer werden. Darunter würden die deutschen Exporte erheblich leiden, Arbeitsplätze wären massiv gefährdet."

Sprecher des BGA

Höhere Preise, weniger Auswahl

Raus aus der EU, das hieße auch, raus aus dem gemeinsamen Wirtschaftsraum, dem Binnenmarkt. Von diesem profitiert aus Sicht des BGA bisher gerade der deutsche Mittelstand. Weil in der ganzen EU die gleichen Standards gelten, können auch kleine Unternehmen ohne teure Bürokratie ihre Produkte überall in der Union verkaufen.

Mit dem EU-Austritt wäre dieser Vorteil in Gefahr. Außerdem würden neue Zölle drohen, die den Export weiter schwächen. Die Verbraucher würden all das zu spüren bekommen.

"Die Konsumenten hätten dann nur noch weniger Produkte zur Auswahl - und die wären auch noch teurer."

Sprecher des BGA

Parallelen zu den Wahlversprechen von Donald Trump

Ohne die EU müsste sich Deutschland selbst neue Handelspartner suchen, hätte bei den Verhandlungen aber weniger Gewicht als die EU als Ganzes. Laut Daniela Schwarzer von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) überschätzt die AfD den Status von Deutschland in der Welt.

Schwarzer zufolge macht im Grunde genommen der neue US-Präsident Donald Trump gerade die gleiche Erfahrung.

"Man kann anhand von Trump einiges lernen, was passiert, wenn ein Populist an die Macht kommt und dann in den ersten Monaten seiner Amtszeit merkt, dass er total illusorische Vorstellungen hatte hinsichtlich der internationalen Rolle des eigenen Landes und des eigenen wirtschaftlichen Gewichtes. Das führt dann zu einer Korrektur der Wahlversprechen."

Daniela Schwarzer, Otto Wolff-Direktorin des Forschungsinstituts der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

International würde ein "rechtsfreier Raum" drohen

Die AfD geht in ihrer Kritik an internationalen Abkommen und Zusammenschlüssen über die EU noch hinaus:

"Die veraltete Genfer Flüchtlingskonvention und andere supra- und internationale Abkommen [müssen] neu verhandelt werden. […] Die Anmaßung supranationaler Gerichte ist zu beenden."

Aus dem Wahlprogramm der AfD

Insgesamt 148 Staaten sind bisher der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 beziehungsweise dem Protokoll von 1967 beigetreten. Sie alle müssten einer Änderung, die sich die AfD wünscht, zustimmen.

Im Grunde liefen die AfD-Pläne also auf ein kompliziertes Herauslösen von Deutschland aus einem internationalen Geflecht hinaus. Daniela Schwarzer gibt außerdem zu bedenken, dass Deutschland viel weniger Gewicht hätte in der Welt. Bei wichtigen politischen Entscheidungen stünde die Bundesrepublik außen vor.

"Der US-Präsident Trump, der russische Präsident Putin, und auch der chinesische Premierminister oder vielleicht auch Erdogan, der türkische Präsident - wenn sie gemeinsam das Weltgeschehen bestimmen und Deutschland da als im Vergleich kleineres Land versucht, mitzuspielen, dann kann es schon sein, dass sich die Weltordnung in eine Richtung entwickelt, die Deutschland eigentlich nicht gefallen kann."

Daniela Schwarzer, DGAP

AfD will massive Steuersenkungen, aber trotzdem die "schwarze Null"

Ein Finanzminister, der die Steuerpläne der AfD umsetzen müsste, stünde vor kaum lösbaren Aufgaben. Auf der einen Seite nennt die Partei "ausgeglichene Haushalte" als ihr oberstes finanzwirtschaftliches Ziel. Auf der anderen Seite verspricht sie die umfangreichsten Steuersenkungen von allen.

Um sieben Prozentpunkte möchte die AfD die Mehrwertsteuer senken, also von 19 auf 12 Prozent. Der Staat würde dadurch nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 77 Milliarden Euro weniger pro Jahr einnehmen.  

Geringe und mittlere Einkommen will die AfD steuerlich entlasten. Unter anderem soll dazu der Grundfreibetrag von derzeit 8.652 Euro auf das "pfändungsfreie Einkommen" angehoben werden. Das liegt bei fast 13.700 Euro. Allein dieser Vorschlag würde den Staat jährlich um Einnahmen von rund 36 Milliarden Euro bringen. Das teilte das Bundesfinanzministerium BR24 mit.

Die Erbschaftsteuer, die dem Staat derzeit rund sieben Milliarden Euro pro Jahr bringt, will die AfD ganz abschaffen. Darüber hinaus sollen alle Tarife, Freibeträge und Pauschbeträge an die Preisentwicklung angepasst und außerdem Familien gefördert werden.

DIW: Steuerausfälle von über 130 Milliarden Euro pro Jahr

Der Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Stefan Bach, hat für BR24 die finanziellen Folgen der AfD-Pläne abgeschätzt. Sein Fazit: Der Staat würde viel weniger einnehmen.  

"Die Pläne der AfD würden kurzfristig zu Steuerausfällen von über 130 Milliarden Euro führen. Die schwarze Null, also ein ausgeglichener Staatshaushalt, wäre dann ohne massive Einschnitte nicht zu schaffen. Eine Erhöhung der Investitionen würde das Defizit weiter erhöhen."

Stefan Bach, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Im Jahr 2016 nahmen Bund, Länder und Gemeinden zusammen rund 700 Milliarden Euro ein. Auf Basis des jetzigen Steuerrechts und der guten Konjunktur erwartet der Staat, dass diese Einnahmen bis 2021 auf rund 850 Milliarden Euro pro Jahr wachsen dürften. Könnten die AfD-Steuerversprechen also nicht ganz einfach gegenfinanziert werden? Experten wie Stefan Bach bezweifeln das.

Was ist mit den erwarteten Steuermehreinnahmen?

Denn zum einen wachsen auch die Ausgaben des Staates jährlich an, ganz automatisch, um etwa drei Prozent: Im öffentlichen Dienst werden höhere Löhne bezahlt, die Bauwirtschaft boomt, also werden staatliche Bauprojekte teurer. Ein Großteil des Steuer-Plus steht also gar nicht für Entlastungen zur Verfügung.

Außerdem ist die "kalte Progression" für einen Teil der Mehreinnahmen verantwortlich, also die "schleichende" Steuererhöhung, weil die Steuersätze nicht an steigende Preise und Einkommen angepasst werden. Genau das will die AfD beenden. Sie fordert die "Indexierung" aller Steuertarife und Freibeträge, um diese "heimliche" Erhöhung in Zukunft zu vermeiden. Dadurch würden aber auch die erwarteten Mehreinnahmen des Staates zusammenschrumpfen.

Schließlich kommt hinzu, dass der von der AfD angepeilte Austritt aus dem Euro und der mögliche Austritt aus der EU gerade der wichtigen Exportwirtschaft einen Dämpfer verpassen dürfte, was zu weniger Steuereinnahmen führen würde.

Ein AfD-Finanzminister müsste den Rotstift ansetzen

Einem AfD-Finanzminister bliebe also nur eines übrig, wenn er die "schwarze Null" schaffen will: Sparen. Immer wieder beklagt die AfD die hohen Ausgaben für Flüchtlinge. Für 2017 rechnet das Finanzministerium mit "asylbedingten Kosten" von rund 21 Milliarden Euro. Die Streichung dieses Postens könnte also nur einen kleinen Teil der Steuerausfälle kompensieren.

Auch der Abbau von Subventionen, den die AfD plant, dürfte die Löcher durch Steuersenkungen nicht stopfen. Das dadurch gesparte Geld soll laut AfD-Wahlprogramm ohnehin in die Infrastruktur fließen. Die schwarze Null dürfte also mit den AfD-Steuerplänen nur durch massive Einschnitte zu schaffen sein, die viele Bürger spüren würden.

"Um die Steuerausfälle zu kompensieren, müsste der Staat Leistungen kürzen, zum Beispiel seinen Zuschuss zur Rentenversicherung. Das hätte dann allerdings massive Rentenkürzungen oder Beitragssatz-Erhöhungen zur Folge."

Stefan Bach, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Politik der harten Hand

Auch im Bereich "Innere Sicherheit" schwankt die AfD zwischen der Forderung nach einem schlanken Staat und einer Politik der harten Hand. Die AfD will mehr Polizisten mit besserer Ausrüstung und höherem Gehalt. Sie will mehr Überwachung, auch mit Gesichtserkennungssoftware. Sie will auch die Wehrpflicht wieder aktivieren und die Bundeswehr nicht nur personell, sondern auch materiell besser ausstatten. All das gibt es nicht umsonst.

Strafmündigkeit ab 12 Jahren

Im AfD-Grundsatzprogramm aus dem Frühjahr ist von einem "Geist der Freiheit" die Rede, dieser weht aber nicht durch das Wahlprogramm: Wenn die AfD regieren würde, müssten Eltern noch sehr viel mehr darauf achten, was ihre Kinder anstellen. Die Partei sagt: Das Strafrecht ist "zahnlos", wenn es um junge Täter geht. Deshalb sollten Kinder nicht erst ab 14 strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

"Wegen der immer früher einsetzenden kriminellen Entwicklung muss das Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre abgesenkt werden."

Aus dem Wahlprogramm der AfD

Juristen halten dagegen, das aktuelle Jugendstrafrecht sei flexibel genug, um auch sehr junge Straftäter angemessen bestrafen zu können. Der Potsdamer Professor für Strafrecht, Wolfgang Mitsch, sagte BR24, der Vorschlag der AfD sei plakativ, es fehle jede argumentative Grundlage.

"Das ist auch das, was man Populismus nennt, das heißt, es ist gar keine ernsthafte, sachliche Auseinandersetzung, die beabsichtigt ist. Sondern es wird das Volk etwas unterschwellig gewarnt vor der Kriminalität junger Menschen."

Wolfgang Mitsch, Professor für Strafrecht an der Universität Potsdam

Ein Zusammenhang mit straffälligen Ausländern wird in diesem Punkt des Wahlprogrammes nicht hergestellt. An anderer Stelle findet sich jedoch eine Passage, die diesen Zusammenhang suggeriert - dabei geht es um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, deren Kriminalitätsrate der AfD zufolge "unverhältnismäßig hoch" sei. Einen Beleg dafür bleibt die Partei aber schuldig.

Die von der AfD genannte Zahl der minderjährigen Asylbewerber, die im Jahr 2016 nach Deutschland gekommen sind, passt dabei nicht zu den offiziellen Statistiken. Laut AfD waren es über 50-tausend, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) listet knapp 36-tausend auf.

Der amerikanische Traum

In einem Punkt schätzt die AfD die Freiheit der Bürger sehr hoch ein: Wenn es um das Waffenrecht geht. Im Grundsatzprogramm der Partei steht der Satz: "Ein liberaler Rechtsstaat muss seinen Bürgern vertrauen."  Im Wahlprogramm heißt es nun, das Waffenrecht sei zu restriktiv. Die AfD möchte, dass zumindest "gesetzestreue Bürger" leichter einen Waffenschein bekommen können.

Das erinnert stark an die USA und dem dort tief verankerten Prinzip der Selbstverteidigung. Experten verweisen allerdings darauf, dass in den USA mehr Waffen nicht zu mehr Sicherheit geführt haben.


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