BR24

              

10

Parteienforscher Ulrich von Alemann "Merkel gibt sich im Wahlkampf präsidial und verwaltet"

Der Wahlkampf nimmt Fahrt auf. SPD-Kanzlerkandidat präsentierte gestern in Berlin seinen Zukunftsplan für Deutschland. Kanzlerin Merkel hatte im ARD-Sommerinterview gleich die Möglichkeit zu kontern. Eine Analyse dieses Fernduells von Parteienforscher Ulrich von Alemann im Gespräch mit Matthias Dänzer-Vanotti.

Stand: 17.07.2017 | Archiv

Angela Merkel und Martin Schulz | Bild: picture-alliance/dpa

Wie haben Sie den Auftritt der Kanzlerin im Sommerinterview empfunden?

Parteienforscher Alemann: Präsidial. Milde. Sie trägt die Verantwortung, hat sie gleich zu Anfang gesagt - auch für alles Unschöne beim Gipfel in Hamburg. Sie betont, sie war die Gastgeberin und reicht die Verantwortung nicht herunter zu Herrn Scholz, den Bürgermeister von Hamburg. Also: Wir haben erlebt, dass sie Verantwortung trägt, dass sie milde ist und nicht angreift. Sie lässt aber auch Angriffe abtropfen und verhält sich klassisch staatspolitisch. Die Opposition verhält sich dagegen parteipolitisch. Das ist der große Unterschied. Merkel spielt ganz die Regierungskarte aus und steht über dem Getümmel der einzelnen Schlachten. Das macht sie sehr klug.

Ist es gerade der Nimbus der Unanfechtbarkeit, der ihre Stärke ausmacht?

Parteienforscher Alemann: Ja, da ist etwas dran. Meine Wissenschaftskollegen nennen das Demobilisierungsstrategie. Das ist ein kompliziertes Wort, für das es ein viel besseres gibt. Dieses hat bereits ein chinesischer Stratege vor 500 Jahren geprägt. Es heißt: „Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft.“ Er meinte damit die großen Heere, die durch das Land ziehen, sich ermüden, sich verkämpfen. Man selbst aber verharrt, vermeidet die Schlacht und gewinnt dadurch den Krieg. Diese Devise scheint Frau Merkel verinnerlicht zu haben.

Das ist das eine, dass derjenige gewinnt, der nicht kämpft. Aber: Kann auch jemand, der keine Ideen hat, Politik machen? Die SPD versucht nun mit Ideen zu punkten und die Union verhält sich relativ passiv.

Parteienforscher Alemann: Ja, die Union verhält sich so passiv, weil sie sich sagt, dass es doch gut in Deutschland läuft. Wir haben eine wunderbare Wirtschaftslage. Wir sind Exportweltmeister. Wir werden beneidet für unsere guten Strukturen in der Wirtschaft und Politik. Gut, in der Bildung könnten wir ein bisschen höher kommen. Aber es ist ein "Feel good-Wahlkampf", in dem wir uns alle gut und wohl fühlen. Deswegen wird der Programmwahlkampf, den die SPD gestern mit Martin Schulz eingefordert hat, einfach ins Leere laufen.

Schießt Martin Schulz mit diesem Programm über das Ziel hinaus? Es hagelt jetzt Kritik, weil er Vorschläge gemacht hat, die nicht ganz billig sind.

Parteienforscher Alemann: Die Öffentlichkeit ist ungerecht zu Martin Schulz. Mal wirft sie ihm vor, er sage nichts und würde nur hohle Sprüche formulieren. Mal sagt sie, wenn er ein Programm verkündet, dass dies viel zu viel sei. Das schafft er nicht, dass kann er nicht. Denn er hat ja nichtmal ein Staatsamt inne, sondern ist nur der Parteivorsitzende der SPD. Er hat doch gar keine Alternative, der Schulz. Er muss angreifen. Würde er sich auf den selben Stil der Kanzlerin einlassen, dann würde er noch weniger bei seinen Wählern und in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Also: Er muss angreifen und er greift an, auch mit neuen Formulierungen wie der Investitionsverpflichtung des Staates für Infrastruktur und Straßen. Mit einem digitalen Deutschlandportal will er Bürokratie abbauen. Er gibt den Wählern durchaus etwas zum Kauen. Aber es bleibt dabei, dass es immer parteipolitisch wirkt und die Kanzlerin sich darüber ganz staatsmännisch positioniert und verwaltet.


10