RESPEKT Ausstieg rechts
- Das Bundesamt für Verfassungsschutz zählte im Jahr 2020 13.000 gewaltbereite Rechtsextreme.
- Ihre Ideologie ist nationalistisch, rassistisch und gewaltaffin.
- Sie entsprechen nur noch selten dem Klischee vom kahlgeschorenen Schläger mit Hakenkreuztattoos und rekrutieren modern: mit ansprechend gemachten Videos und in Vernetzung mit Influencern, über die Sozialen Medien.
- Neben Parteien und organisierten Gruppen werden internationale rechte Netzwerke im Internet wichtiger und die eher unstrukturierte subkulturelle Szene, zum Beispiel im Musik- und Gamesbereich.
- Wer aussteigen möchte, muss meist sein gesamtes Leben umkrempeln und riskiert viel - nur wenige schaffen den Absprung.
Neun Jahre lang war Felix Benneckenstein aktiver und gewalttätiger Neonazi. Er ist in einer ziemlich "normalen" Familie aufgewachsen: "weltoffen, linksliberal". Als Jugendlicher begann er zu rebellieren. Gegen die Gesellschaft, die "Heile-Welt-Kulisse" in der Heimatstadt Erding, die Polizei. Bei den Neonazis fühlte er sich "am besten aufgehoben".
Woran erkenne ich rechtsradikale Kreise?
Dass Rechtsextreme rasierte Schädel und tätowierte Hakenkreuze haben, ist ein lange überholtes Klischee. Experten sagen, dass rekrutierende Neonazis sich oft besonders verständnisvoll geben, aufmerksam zuhören, sich wie Freunde verhalten. In den sozialen Medien nutzt die rechte Szene oft scheinbar unverfängliche Hashtags wie etwa #MutzurWahrheit, #Vaterland, #Genderwahn oder aber auch einfach #Heimat. Erkennbar werden rechte Strömungen durch ein bestimmtes Weltbild. Dazu gehört die Behauptung, dass Menschen ungleich viel wert sind, dass eine Gruppe oder ein Land wichtiger ist als alle anderen und dass Gewalt okay ist, wenn es darum geht, Ziele durchzusetzen.
Terror, Bürgerkrieg: "normale Sachen"
Was Felix in den neun Jahren in der Szene erlebt hat, hat ihn stark geprägt. Er erinnert sich zum Beispiel, dass er vor seiner "Anwerbung" keine rassistischen Gedanken hatte. Seine Familie und sein Freundeskreis waren "multikulti", wie er sagt. Je länger er in der Szene war, desto mehr hat sich sein Rechtsempfinden verschoben. Er sah sich selbst und seine "Kamerad:innen" als Freiheitskämpfer:innen. Ein Hakenkreuz an eine Wand zu schmieren, Terrorismus, Bürgerkrieg: Das waren für ihn am Ende "normale Sachen, die irgendwann passieren müssen".
Zuerst war Felix Handlanger. Später dann organisierte er Demos und Aufmärsche. Er baute nördlich von München einen NPD-Kreisverband auf, leugnete den Holocaust, schüchterte Leute ein und hetzte als rechter Liedermacher. In Dortmund war er bei militanten Neonazis, die auch Morde begingen. Es dauerte eine ganze Weile, bis Felix mit seinem Gewissen so richtig in Konflikt kam. Letztlich führten seine Zweifel an der Rechtfertigung für einen Mord an einem Punk zu seinem Ausstieg.
Definition
Aussteigen braucht Mut und Entschlossenheit
Felix Benneckenstein ist einer der wenigen, die den Ausstieg geschafft haben. Nach einer Schlägerei kam er ins Gefängnis. Und dort verlor er das Feindbild vom faschistischen, kriminellen Staat. Denn er wurde fair und menschlich behandelt. Felix zweifelte zunehmend an seiner Nazi-Ideologie und entschloss sich, nicht mehr länger in der Szene zu bleiben.
Der Ausstieg allerdings war deutlich schwerer als der Einstieg. Felix gelang er gemeinsam mit seiner Partnerin. Bewusst wählten sie einen öffentlichen Ausstieg. Der Vorteil gegenüber einem "stillen" Ausstieg: Die Behörden wissen Bescheid und treffen Schutzmaßnahmen. Heute sagt er, mit der Hilfe der Organisation EXIT-Deutschland gleich von Beginn an wäre der Ausstieg viel leichter gewesen.
EXIT ist eine Organisation, die seit 20 Jahren Mitgliedern der rechtsextremen Szene hilft, auszusteigen: Unterstützung gibt es in rechtlichen und praktischen Angelegenheiten. Fabian Wichmann arbeitet für EXIT - weil er ein Zeichen setzen will gegen Rechtsradikalismus. Seiner Meinung nach geraten die Opfer manchmal in den Hintergrund.
Umzüge, neuer Job, Namensänderungen
Der Ausstieg beginnt im Kopf, mit Zweifeln, oder auch einem unguten Gefühl. Dann sind Ausstiegswillige auch mit vielen praktischen Hürden konfrontiert. Etwa, den Namen zu ändern, um neu anfangen zu können, auch umzuziehen. Das Berufsumfeld zu verlassen, den Freundeskreis, mitunter auch die Verwandtschaft. Dann auch Dinge wie rechtsradikale Tattoos entfernen zu lassen, Schulden abzubauen. Kein Wunder, dass so ein Ausstiegsprozess mitunter mehrere Jahre dauern kann. So lange, bis man sich eine neue Existenz und vor allem auch Identität aufgebaut hat. Mit neuen Werten, einem neuen Selbstwert, neuen Freunden, neuen Hobbys und einem neuen Job.
Zahlen und Fakten
Raus aus dem Rechtsextremismus
- 75 Prozent der Aussteiger sind stille Aussteiger: Sie tauchen ab, statt sich öffentlich gegen ihr bisheriges Umfeld zu stellen.
- Sehr wenige schaffen den Ausstieg: zwischen 2000 und 2018 waren es etwa 800 Personen über EXIT und das Programm des Verfassungsschutzes. Wenn man die 13.000 gewaltbereiten Szenen-Mitglieder als Basis nimmt, sind das also nur 0,6 %.
- Die Begleitung geht meist über 3-5 Jahre.
- Die Finanzierung der Programme steht immer wieder auf der Kippe und es ist schwierig, Einzeltäter damit zu erreichen.
- Bundesarbeitsgemeinschaft "Ausstieg zum Einstieg"
Zahlen und Fakten: Quellen
Rechtsextremistisches Personenpotenzial
bpb: Rechtsextremismus, Verfassungsschutz
Verfassungsschutzberichte
2019 (S. 53), 2020 (S. 53)
Aussteigerprogramme
Aussteigerprogramm Verfassungsschutz, weitere Aussteigerprogramme (bpb), Aussteiger:innen (S. 2), Dauer der Begleitung (S. 10), Ausstiege & Rückfallquote (S. 7 und 9)
EXIT-Deutschland: Ausstiege (S. 5,) Abbruch und Rückfälle (S. 6), Dauer (S. 8)
bpb: "Wann ein Ausstieg ein Ausstieg ist"
Kontinuität, Förderperspektiven, Qualitätssicherung
Qualitätsstandards in der Ausstiegsarbeit (S. 14)
Neue Dynamik im Bereich Rechtsextremismus
Verfassungsschutz: "Rechtsextremismus", "Einzeltäter & Internet" (S. 47 und 49)
Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019
mdr, tagesschau
Autorin: Monika von Aufschnaiter