RESPEKT Demokratische Teilhabe in der Schule
- Demokratische Teilhabe von Schüler:innen in Deutschland ist auf unterschiedliche Weise möglich:
- Beispielsweise auf politischer Ebene über eine Landesschülervertretung in allen Landtagen der 16 Bundesländer.
- Insgesamt gibt es an bayerischen Schulen mehr als 20 Schülerparlamente, in denen Schüler:innen ihre Ideen und Projekte zur Gestaltung des Schullebens einbringen und darüber abstimmen können.
- An Demokratischen Schulen können Schüler:innen nicht nur über Hausregeln und den Schulalltag bestimmen, sondern sogar darüber, welche Lehrkräfte bleiben dürfen.
Demokratie bedeutet, die Mehrheit entscheidet, was gemacht wird. Obwohl es an Schulen in der Regel mehr Schüler:innen als Lehrkräfte gibt, sind sie selten in Entscheidungen eingebunden. Anders sieht es an Alternativschulen aus. Dort ist die Teilnahme am Unterricht freiwillig und die Schüler:innen können mitbestimmen, welche Inhalte sie lernen möchten und welche nicht. Auch Regelschulen öffnen sich immer mehr der Schülermitbestimmung.
"Wenn ich mich als Schülervertreterin oder Schülervertreter einsetze […], dann bedeutet das, dass ich dadurch auch lerne, mich besser zu organisieren, anders aufzutreten, selbstbewusster zu sein, meine Interessen zu formulieren. Und darauf sollte es auch ankommen - dass wir uns artikulieren können, dass wir sagen können, wenn uns was stört."
Dr. Michael Retzar, Philipps-Universität Marburg
Sollten Kinder und Jugendliche die gleichen Rechte wie Erwachsene haben? Wenn ja, wie kann so eine Mitbestimmung genau aussehen und wie beeinflusst das den Schulalltag? Fabian Mader fragt nach bei engagierten Schüler:innen und Lehrkräften, die sich für mehr demokratische Teilhabe an Schulen einsetzen.
Definition
Schule macht Politik in den Landtagen
Deutschlandweit sind in den Landesparlamenten aller 16 Bundesländer Landesschülervertreter:innen tätig. Ihre politische Arbeit besteht darin, die Schüler:innen ihrer jeweiligen Länder und deren Interessen zu vertreten. Vincent Raue ist Landesschülersprecher von Thüringen, er begleitet die Bewerber:innen, die sich als Nachfolger:innen auf sein Amt bewerben und zur Wahl aufstellen. Wie Vincent sind auch sie bereits Schulsprecher:innen für eine Schule oder einen Landkreis gewesen. Kiki Camilla Manig geht auf eine staatlich berufsbildende Schule und möchte sich als stellvertretende Vorsitzende aufstellen lassen. Zur Vorbereitung auf die Wahl nimmt sie im Landtag in Erfurt an einem Rhetorik-Workshop teil.
Ob zugige Klassenräume, fehlende Aufenthaltsräume oder verschmutzte Toiletten: Nicht wenige Schulen haben mit diesen Problemen zu kämpfen, aber wie Schüler:innen selbst auf kreative Lösungen kommen können, zeigt ein Projekt in Neumarkt in der Oberpfalz. In der Mittelschule West können im sogenannten Schülerparlament Klassensprecher:innen und gewählte Schüler:innen Vorschläge zur Verbesserung des Schulalltags einbringen, über die anschließend demokratisch abgestimmt wird. Beim Antrag von Schüler Marco geht es um ein klassisches Problem: verschmutzte Toiletten. Um die Sanitärräume seiner Mittelschule sauber zu halten, schlägt er ein Kunstprojekt vor: Dabei darf jede Klasse eine Toilettenkabine individuell gestalten – muss dann aber auch für deren Sauberkeit die volle Verantwortung tragen. Marcos Idee findet Zustimmung und wird mit absoluter Mehrheit bewilligt.
Frei bestimmt Lernen an Demokratischen Schulen
Schüler:innen an Alternativschulen haben weitere Möglichkeiten zur Mitbestimmung und Mitgestaltung. Die private Demokratische Schule X in Berlin ist ein Beispiel dafür. Lehrerkräfte und Schüler:innen treffen sich jede Woche und stimmen über verschiedene Anträge aus den Bereichen Lernen, Finanzen, Regeln und Schulalltag ab. Einmal im Jahr wird sogar darüber abgestimmt, ob eine Lehrkraft gehen muss oder bleiben darf. Das Besondere: Jede:r darf hier einen Antrag stellen. Jule möchte sich beispielsweise dafür einsetzen, dass man auch innerhalb des Schulgebäudes mit Inlineskates fahren darf. Der Vorschlag wird in großer Runde diskutiert, anschließend wird abgestimmt – mit gleichem Stimmrecht für alle. In Jules Fall wird der Antrag abgelehnt, aber sie akzeptiert das Ergebnis ohne Widerspruch.
"Es ist einfacher, als man erst mal denken würde, weil wir sind als Mitarbeiter hier an der Schule von dem Druck befreit, disziplinieren zu müssen […] und dürfen auch unsere Schwächen zeigen. Wir müssen nicht perfekt sein, wir müssen nicht von oben herab irgendwas machen. Und die Kinder werden hier von Anfang an total in die Verantwortung genommen und haben auch die Macht, dann etwas zu entscheiden."
Malte Piecyk, Lehrer Demokratische Schule X
Trotz aller Freiheiten lernen die Jugendlichen alle für sie relevanten Unterrichtsinhalte, versichert Lehrer Malte Piecyk. Jede:r im individuellen Tempo, nach Interessen und Zielen: Am Ende der Schulzeit wechseln manche Schüler:innen auf eine Regelschule, um das Abitur zu machen, oder beenden die Schule mit der Mittleren Reife oder dem Mittelschulabschluss. Aber wie kam es in Deutschland eigentlich zur Schulpflicht und zu unterschiedlichen Konzepten des Lernens?
- Bis ins 19. Jahrhundert gibt es nur Privatunterricht, ein Privileg wohlhabender Familien. Erst 1919 wird der Unterricht im Klassenverband - ähnlich wie wir ihn heute kennen – eingeführt.
- 1920 können Schüler:innen in Reformschulen das erste Mal den Unterricht mitgestalten.
- Mit dem Nationalsozialismus endet diese Mitbestimmung wieder bis zum Ende der Diktatur 1945.
- Deutschland ist von nun an geteilt, doch in beiden Ländern gibt es Interessensvertretungen der Schüler:innen: In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ist das die Freie Deutsche Jugend, in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wächst aus der Studentenbewegung heraus auch eine Schülerbewegung.
- Heute gibt es zahlreiche Vertreter:innen von Schüler:innen auf Schulebene (die Schülermitverantwortung/SMV oder auch Schülervertretung/SV) und auf politischer Ebene (zum Beispiel die Bundesschülerkonferenz oder das Organising Bureau of European School Student Unions). Ihre wichtigsten Funktionen sind: das Anhörungs-, Vorschlags- und Beschwerderecht.
Zahlen und Fakten
Quellen: "Mitbestimmen in der Schule - ein langer Weg" Format: PDF Größe: 135,67 KB
In Erfurt fällt die Entscheidung: Kiki wird mit absoluter Mehrheit zur Stellvertreterin der Vorsitzenden gewählt. Ihre erste Aufgabe hat sie sich selbst gestellt: Sie möchte sich vor allem für die berufsbildenden Schulen einsetzen und dafür sorgen, dass diese mehr Unterstützung von der Politik bekommen.
Schüler:innen können in Deutschland auf unterschiedlichen Wegen Verantwortung übernehmen und ihren Schulalltag mitgestalten, denn ihre Stimme hat Gewicht. Politisches Engagement kann so im Kleinen schon ganz früh beginnen und wachsen.
Autor:innen: Redaktion Lernen und Wissenslab / lmh, jzw