RESPEKT Grundrechte im Konflikt
- Grundrechte sind die Rechte, die jede:r einzelne gegenüber dem Staat und der Gesellschaft hat.
- Sie sollen die Menschen vor staatlichen Übergriffen schützen und sind oft zugleich auch Menschenrechte.
- Grundrechte können nicht abgeschafft werden. Der Staat kann ein Grundrecht aber beschränken, wenn seine Ausübung andere Grundrechte verletzt oder bedroht (etwa, wenn jemand andere Menschen angreift).
- Wer denkt, seine oder allgemeine Grundrechte würden verletzt, kann sie vor dem Bundesverfassungsgericht einklagen.
Grundrechte in Ausnahmesituationen
Definition
"Die Würde des Menschen ist unantastbar." Der Artikel 1 der Grundrechte fasst zusammen, was ihr Zweck ist. Es geht darum, den Menschen in seiner Freiheit nicht ohne Not einzuschränken oder zu verletzen. Viele Grundrechte sind zugleich Menschenrechte. Etwa das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder die Meinungsfreiheit. Diese allgemeinen Rechte beginnen mit der Formulierung "Jeder hat ...". Andere Grundrechte sind reine Bürgerrechte, also Rechte, die nur deutsche Staatsbürger:innen haben. Sie werden mit "Alle Deutschen …" eingeleitet. Etwa das Versammlungsrecht. Grundrechte können nicht abgeschafft werden - nur vorübergehend eingeschränkt. Zum Beispiel durch eine Haftstrafe, die wegen einer Straftat verhängt wurde. Oder wenn etwa Ausgangsverbote verhängt werden zum Schutz anderer Menschen vor gefährlichen Krankheiten. Deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit hat dann Vorrang vor bestimmten Rechten anderer Menschen.
Die wichtigsten Grundrechte im Überblick
- Schutz der Menschenwürde
- Entfaltung der Persönlichkeit
- Schutz von Leben und Gesundheit
- Gleichheit vor dem Gesetz
- Glaubens- und Gewissensfreiheit
- Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft
- (besonderer Schutz von) Ehe – Familie – Kinder
- Schulbesuch
- Versammlungsfreiheit
- Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit
- Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis
- Freizügigkeit
- Berufsfreiheit
- Unverletzlichkeit der Wohnung
Viele dieser Grundrechte waren oder sind durch die Corona-Maßnahmen betroffen. Mehr Informationen zu den Grundrechten hier.
Die Grundrechte aus der Sicht einer Notfallsanitäterin
Lisa Niederlich ist Notfallsanitäterin. Sie hat viele dramatische Situationen erlebt bei ihrem Einsatz im Bezug auf Covid-Kranke. Einmal gab es nicht genügend Schutzanzüge, und sie fragte sich, ob sie trotzdem weitermachen sollte. Einmal war sie schockiert, weil sie ihren Vater testete und das Ergebnis positiv war. Ihr Arbeitsalltag ist seit Beginn der Pandemie viel stressiger geworden. Und sie hat durch ihre Tätigkeit naturgemäß besonders viele schwere Fälle erlebt. In dieser Situation findet Lisa Solidarität in Form von Maßnahmen einhalten und sich impfen lassen wichtiger als manche Grundrechte, die dadurch eingeschränkt werden.
Auch Party feiern fällt unter den Grundrechtsschutz
Party feiern oder als Schauspieler zu arbeiten gehört zu der persönlichen Handlungsfreiheit. Auch das ist ein Grundrecht. Aber auch das wurde dem Grundrecht auf Leben untergeordnet. Gerade junge Menschen trifft das hart. Einige wurden in den letzten eineinhalb Jahren depressiv, ihre (mentale) Gesundheit war also durch die Maßnahmen auch betroffen, möglicherweise stärker als durch Covid-19-Erkrankungen. Alexander Spierer betreibt einen Nachtclub in München. Er hat 2020 sein Geschäft freiwillig geschlossen, weil er seine Kund:innen schützen wollte und nicht klar war, was dieses neue Virus ist. Nun, so sagt er, habe man genug gelernt über Vorbeugung, es gebe Impfungen, man wisse, wie man sich schützen könne. Ihm geht es wie vielen, etwa auch Kulturtreibenden: Trotz Hygienekonzepten sind sie ihrer Existenzgrundlage beraubt und fühlen sich durch die Maßnahmen ohne Not in den Ruin getrieben.
Zahlen und Fakten
Beispiele für Gerichtsentscheide
- Ein historisches Urteil im April 2021: Das Klimaschutzgesetz von 2019, das die Klimaschutzziele und bis zum Jahr 2030 zulässigen Emissionsmengen regelt, ist mit den Grundrechten teilweise unvereinbar. Und zwar deshalb, weil die Vorschriften notwendige Maßnahmen einfach in die Zukunft verschieben. Damit würden die Freiheiten der jüngeren Generationen verletzt, die dann keine Wahl mehr haben und sich stärker einschränken müssen.
- Viele Corona-Eilanträge wurden abgelehnt mit der Begründung, die Angaben zu den konkreten Auswirkungen auf die Grundrechte seien unzureichend. Teilweise erfolgreich war ein Antrag im April 2020. Hier ging es um ein generelles Versammlungsverbot durch die Stadt Gießen. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit war verletzt. Die Stadt hätte die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen müssen, urteilte das Bundesverfassungsgericht.
Zahlen und Fakten: Quellen
Bundesverfassungsgericht
Das Gericht, Hintergrund (planet schule), Unabhängiges Kontrollorgan, Statistik
Verfassungsbeschwerde
Definition, Merkblatt
Urteil Bundesverfassungsgericht: Klimaschutzgesetz
Pressemitteilung, Entscheidung, Tagesschau, bpb
Corona & Grundrechte
bpb: Corona-Pandemie - Wie verändert sie unsere Gesellschaft?
Entscheidungen Bundesverfassungsgericht
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Entscheidung Versammlungsverbot
Pressemitteilung, Entscheidung, Tagesschau: Welche Corona-Regeln kassiert wurden
Entscheidung: Demo darf stattfinden
dpa, 16.4.2020, Demo-Verbote wegen Corona: Karlsruhe pocht auf Versammlungsfreiheit
Internet: Recht auf Vergessen
Pressemitteilung, Entscheidung, Tagesschau: "Recht auf Vergessen" im Internet gestärkt
Wer entscheidet, welches Grundrecht Vorrang hat?
Die Regeln dazu macht der Gesetzgeber, für die Umsetzung sind Behörden und Verwaltungen zuständig. Deren Entscheidungen überprüft dann das Bundesverfassungsgericht, wenn es Klagen gibt, dass ein Grundrecht verletzt oder unzulässig eingeschränkt worden sei. Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehen jedes Jahr rund 6.000 Verfassungsbeschwerden ein, in denen es um die Grundrechte geht. In der Corona-Pandemie waren es noch mal mehr. Nur zwei Prozent der Kläger:innen bekommen Recht. Dabei gibt es keine abstrakten Regeln, die Richter:innen müssen immer im konkreten Einzelfall eine Abwägung treffen. "An dieser Stelle kommt dieser Begriff, der inzwischen Berühmtheit erlangt hat, der Verhältnismäßigkeit ins Spiel", so Frank Bräutigam, der regelmäßig Bericht erstattet aus Karlsruhe: "Verhältnismäßigkeit heißt: Man darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen."
"Ich persönlich finde, das ist ein großer Einschnitt in unsere Freiheitsrechte, wenn ich sogar nachts oder die alleinerziehende Mutter, die ihre Kinder ins Bett gebracht hat, noch nicht mal mehr eine Runde um den Block gehen darf. Wenn sie da keinen gefährdet, dann glaube ich, da geht der Staat zu weit, wenn er Grundrechte einschränkt."
Frank Bräutigam, SWR-Berichterstatter am Bundesverfassungsgericht
Autorin: Monika von Aufschnaiter