alpha-geschichte Vergessene Grenze
Samstag, 13.07.2024
21:00
bis 21:45 Uhr
- Untertitel
- Video bereits in der Mediathek verfügbar
ARD alpha
2022
Die Grenze zwischen der Tschechoslowakei auf der einen und der BRD und Österreich auf der anderen Seite ist ein gefährlicher Ort. Auf den insgesamt 809 Kilometern kommen von 1945 bis 1989 über tausend Menschen ums Leben. Damit hält dieser Grenzabschnitt den traurigen Rekord der tödlichsten Grenze im Kalten Krieg. Die Geschichte eines mörderischen Bollwerks, das fernab der Berliner Mauer seine Opfer fordert. Erstmals im Deutschen Fernsehen wird die Geschichte des „Eisernen Vorhangs“ aus beiden Perspektiven erzählt. Dafür hat ein internationales Team jahrelang gemeinsam recherchiert: Geschichten von Grenzsoldaten, Fliehenden, Überlebenden und Menschen, die Familienangehörige verloren haben. Und von denen, die dafür verantwortlich sind. 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sollen die Opfer der Grenze späte Gerechtigkeit erfahren und die Todesschützen bestraft werden. Mord verjährt schließlich nie. Nach intensiver Aktenforschung bringt im Jahr 2019 die NGO Platform of European Memory and Conscience mehrere solcher Fälle bei der tschechischen und der deutschen Staatsanwaltschaft zur Anzeige. Für die BRD ist die Staatsanwaltschaft Weiden zuständig, auf tschechischer Seite die Staatsanwaltschaft Prag 1. In enger Kooperation ermitteln sie als Joint Investigation Team zahlreiche Fälle. Einer davon ist der des damals 18-jährigen Hartmut Tautz. 1986 wird er in der Nähe von Bratislava bei seinem Fluchtversuch von Wachhunden angefallen und schwer verletzt. Die herbeigeeilten Grenzsoldaten verhören den Verletzten, anstatt ihm zu helfen. So verblutet Hartmut Tautz noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Seine Schwester Carola Tautz-Bär hofft mit Hilfe der neuen Ermittlungen, dass sich die Täter endlich verantworten müssen. Auch andere Opfer und Angehörige hoffen nun, dass die Wahrheit hinter vielen bislang ungeklärten Todesfällen im Grenzgebiet ans Licht kommt. Die Flucht in den Westen ist für viele der letzte verzweifelte Ausweg. Prof. Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz, legt dar, wie totalitäre Rahmenbedingungen die individuelle Freiheit so sehr beeinträchtigen, dass Menschen bereit sind, alles aufs Spiel zu setzen. Die Fluchtmittel sind vielfältig: Mit Hilfe eines Schleusers über die grüne Grenze, mit der Waffe in der Hand vorbei an Grenzposten, mit einer selbstgebauten Seilrutsche über das Starkstromkabel oder wie die Maulwürfe unter der Grenze hindurch. Mit dem Mut der Verzweiflung, der Freiheit entgegen. Die Grenzanlagen, die die damalige Tschechoslowakei von den westlichen Ländern abtrennen, sind teilweise zwölf Kilometer breit, mit Selbstschussanlagen, Hochspannungszäunen, attackierenden Hunden und Stacheldrahtrollen versehen. Die Zuschauer*innen werden nicht nur von menschlichen Schicksalen und Tragödien erfahren, die sie bislang nicht kannten – egal, ob sie in Tschechien, der Slowakei, Österreich oder in Deutschland vorm Fernseher sitzen. Sie werden auch unbekanntes, überraschendes und sehr eindrückliches Archivmaterial zu sehen bekommen, das zeigt, wie abgeschottet und unabhängig die jeweils andere Seite während des Kalten Krieges lebte. Beide Seiten, Ost und West, wussten über Jahrzehnte nur wenig über das Leben, den Alltag der Menschen auf der anderen Seite. Weil sie nur selektiv informiert wurden – und bisweilen sicher auch manipuliert. Dass Menschen im Westen die CSSR als vergleichsweise "liberale Diktatur" wahrnahmen, und als Heimat von Maulwurf, Pan Tau und zahlreicher romantischer Märchenfilme. Dass im Osten viele Menschen gar nicht so sehr mit dem Regime haderten und sehnsüchtig gen Westen blickten, sondern sich mit ihrem Alltag arrangierten.
Redaktion:
Andrea Bräu