Schätze der Welt - Erbe der Menschheit Wrangel Island (Russland) - Treibhaus der Arktis
Montag, 23.12.2024
22:00
bis 22:15 Uhr
ARD alpha
Verborgen hinter ganzjährigen Blizzards und einer monatelangen Polarnacht liegt Wrangel Island nur wenige Seemeilen vor der arktischen Packeisgrenze. Es ist das letzte unberührte Naturparadies nordwestlich der Beringsstrasse. Bei Wintertemperaturen bis unter - 40 °C leben mehr als 1000 Polarbären, Moschusochsen und Rentiere neben Walrosskolonien, Robbenfamilien, Polarfüchsen, Wölfen und unzähligen kleineren endemischen Tier- und Pflanzenarten auf einer 7.608 km² großen "Arche Noah" der letzten Eiszeit. "Wir wissen mehr über die dunkle Seite des Mondes als über die Eiswüsten der Arktis": selten hat das bonmot der Polarforscher mehr Gültigkeit als auf der "Ostrova Wrangel", einem abgelegenen Archipel am nordöstlichen Ende der Welt. Zahlreiche Fossilienfunde belegen, dass auf der Wrangel Insel noch bis vor knapp 3500 Jahren das Mammut in der arktischen Tundra graste und in der Abgeschiedenheit der Tschukschensee 6000 Jahre länger überlebte als im restlichen Eurasien. Das Eiland war bis zum Ende der letzten Eiszeit Teil der eurasischen Landbrücke "Beringia", die noch bis vor 12.000 Jahren Asien mit dem amerikanischen Kontinent verband. Als die schmelzenden Gletschermassen der ausgehenden Eiszeit diese Brücke fluteten, verschwand das Eiland für Jahrtausende im Packeis des Polarmeeres. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts geriet der in Vergessenheit geratene Archipel wieder ins Blickfeld, als der baltische Polarforscher und Navigator Ferdinand Petrovitsch Baron von Wrangel im Auftrag von Alexander I. das östliche Ende des Zarenreiches karthografieren sollte. Zwei Jahre lang bereits hatte der Baron Vogelschwärme beobachtet, die von der Beringstrasse kommend gen Norden aufs offene Polarmeer hinausflogen. An Hinweisen von einheimischen Tschukschen fehlte es nicht, allein die Insel blieb in den Eisstürmen der Ostsibirischen See verschollen. Erst 60 Jahre nach Wrangels vergeblicher Suche erreichte der Walfänger Thomas Long die abgelegene Insel, benannte sie nach dem baltischen Adligen und setzte sie unter amerikanische Flagge. Territoriale Streitigkeiten waren die Folge. Russen, Briten, Kanadier und Amerikaner besetzten abwechselnd das nordpolare Eiland. Schließlich errichteten sowjetische Truppen am 8. August 1926 die Siedlung "Ushakovskoe" an der Südküste der Insel, in der noch bis zum Ende der Sowjetunion knapp 100 Fischer, Robben - und Walfänger lebten. Heute dient die Insel als Stützpunkt für eine Handvoll Wildhüter des "Wrangel Biosphären Reservates". WWF und Russische Naturschützer initiierten bereits 1976 das Naturschutzprojekt "Ostrova Wrangel Zapovednik", um das Eiland und die benachbarte Herald-Insel vor den Begehrlichkeiten internationaler Ölmultis zu schützen, die unter den Gewässern um das Reservat gigantische Vorkommen fossiler Brennstoffe vermuteten. Im "Kalten Krieg" lag die Russische Grenzprovinz Tschukotka, zu deren Verwaltungsbezirk das Wrangel-Reservat gehört, im unmittelbaren Zugriffsbereich des einstigen Erzfeindes auf der anderen Seite der Beringstrasse. Gebäuderuinen, unzählige Schrotthaufen, Tausende leerer Benzinfässer und rostige Skelette ehemaliger Funk- und Sendeanlagen an der Südküste des Eilands zeugen noch heute von der Militärpräsenz und den Lauschaktionen Sowjetischer Abhördienste. Naturschützer waren dabei eher hinderlich und brauchten Sondergenehmigungen vor Betreten des militärischen Sperrgebietes. Erst im Tauwetter der Perestrojka lichtete sich auch am östlichen Ende der Welt der "Eiserne Vorhang". Vereinzelt dürfen seitdem Polarforscher, Biologen und Zoologen in russischer Begleitung ein nahezu unberührtes Paradies inmitten der Tschukschensee 600 km jenseits des Nördlichen Polarkreises betreten. 2004 erklärt die UNESCO das Gebiet um die Wrangel-Insel schließlich zum nördlichsten Weltnaturerbe.
Redaktion:
Gábor Toldy