Als Studi gegen die Pandemie Wie Medizin-Studierende sich in der Krise engagieren
Die Corona-Krise zwingt das öffentliche Leben in die Knie, auch das Studentenleben ist erstmal lahmgelegt. Eine Gruppe steht dabei vor den besonderen Herausforderungen - die Medizinstudierenden. Sie sollen das Gesundheitswesen in der Krise unterstützen. Viele engagieren sich jetzt schon freiwillig. Und müssen dabei auch mit der Ungewissheit, wie es weiter im Studium läuft, klarkommen. Campus Magazin berichtet über das Studentenengagement in Zeiten der Pandemie.
20.000 Mitglieder. Diese Marke hat die deutschsprachige Initiative „Medizinstudierende vs. COVID-19“ binnen weniger Tage geknackt. 20.000 Studis haben sich in Facebook-Gruppen verbündet - um deutsche und österreichische Krankenhäuser und Kliniken in der Corona-Krise zu unterstützen.
Medizinstudierende sollen jetzt vermehrt im Gesundheitswesen eingesetzt werden - so lautet der Appell der Bundesregierung und einzelner Universitäten. Den Aufruf der Politik scheinen junge Menschen nicht gebraucht zu haben. Viele haben sich bereits selbst organisiert - und eine breite Community aus dem Boden gestapft. Fast jede Stunde gibt es in der Facebook-Gruppe einen neuen Post: von Studis, die ihre Hilfe freiwillig anbieten und nach den Einrichtungen suchen oder die Angebote der Kliniken verbreiten, in denen dringend Personal gesucht wird. Darunter sind unzählige Kommentare - hier werden Kontakte ausgetauscht und Erfahrungsberichte gesammelt.
Jetzt wird auch an einer Lösung gearbeitet, den Austausch zu beschleunigen. Im Rahmen des Hackathons #WirvsVirus der Bundesregierung arbeiten „Medizinstudierende vs. COVID-19“, wie fast 43.000 andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer, kreativen Lösungen, mit den Gefahren der Pandemie umzugehen und die Coronakrise zu meistern. Sie arbeiten an einer Homepage, die schnell, unbürokratisch und transparent Studierende und einzelne Krankenhäuser zusammenbringen kann.
Studentenleben zwischen Solidarität und Unsicherheit
Medizinstudium ist eben nicht nur Theorie, sondern auch Commitment. Daran erinnert auch die Petition auf change.org mit etwas sperrigem Titel: „Entlastung der Pflege in Zeiten der Corona-Pandemie über Therapeuten & Medizinstudenten“. Mehr als 780 Personen haben die Petition bislang unterstützt, das Ziel: junge Menschen in der medizinischen Ausbildung dazu bewegen, sich an die lokalen Krankenhäuser zu wenden und ihre Hilfe direkt anzubieten.
Die Petition erinnert daran, dass auch im normalen Alltag Praktikantinnen und Praktikanten schon als Lückenfüller in vielen Krankenhäusern im Einsatz sind - sie sind aus dem Gesundheitswesen nicht wegzudenken. Jetzt, in der Coronakrise, wird es noch mehr solcher Lücken geben, die gefüllt werden müssen. Auch von denjenigen, die noch am Anfang ihres Studiums stehen.
„Das kann in den ersten vier Semestern sein, dass man bei den Telefon-Hotlines berät und aufklärt. Wenn man schon eine Pflegeausbildung oder eine Ausbildung im Rettungsdienst gemacht hat, kann das definitiv eine direkte Mithilfe auf Stationen sein“ erklärt Aurica Ritter. Sie ist Präsidentin der bvmd, der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Und arbeitet eng mit anderen Gruppen zusammen - vor allem mit der Initiative „Medizinstudierende vs. COVID-19“. Auch für sie ist bis jetzt vieles unklar: wann genau es zu den konkreten Corona-Einsätzen der Studentinnen und Studenten kommt, wie sie entsprechend geschult und eingearbeitet werden, wie diese Leistungen anerkannt werden. Dazu kommt noch die Unsicherheit, die viele belastet - wie wird es jetzt mit der Durchführung der Staatsexamena laufen? Was tun mit Praktika oder Projekten, die abgesagt wurden? In den sozialen Netzwerken wird auch Kritik laut, denn viele haben Angst vor der Einführung des sogenannten „Hammerxamens“. Eine Userin schreibt: „Wir wollen helfen, aber wenn wir ein Freisemester nehmen, streicht man uns das BAföG, länger studieren ist nicht erwünscht“.
Die Zwickmühlen kennt Aurica Ritter, auch sie musste ihre Pläne ändern. Die Doktorandin ist für ihre Medizin-Promotion nach Heidelberg gezogen, muss aber nun ihre Forschung weitgehend auf Eis legen. Aurica sagt, für sie, wie für viele andere, gilt jetzt: sich gedulden und abwarten. Die meiste Zeit widmet sie sowieso der Arbeit im bvmd-Vorstand. Dem Engagement der anderen hat die Unsicherheit auch keinen Abbruch getan. „Aktuell merken wir es von allen Seiten, dass es eine riesige Welle der Solidarität unter den Studis gibt. Und dass gang ganz viele ihre Zuständigkeit sehen. Sie wollen sich mit einbringen, sie wollen helfen, sie wollen unterstützen“, so Aurica.
Engagement in Krisenzeiten: Erfahrungen von Studis
Wir haben mit zwei Medizin-Studenten gesprochen, die sich aktiv jetzt in der Coronakrise engagieren. Gebraucht zu werden in Zeiten der Pandemie: darauf bereiten die langen Learning-Sessions in der Bibliothek oder der erste Job in einer Praxis emotional kaum vor. Oder doch? Zwei Erfahrungsprotokolle:
Anselm Löwe, Physiotherapeut
Anselm studiert Medizin in Marburg, hat die Petition zur „Entlastung der Pflege in Zeiten der Corona Pandemie über Therapeuten & Medizinstudenten“ auf change.org gestartet.
"Ich habe eine Ausbildung als Physiotherapeut gemacht und studiere jetzt Humanmedizin, ich bin erst im dritten Semester und komme ins vierte. Ich studiere in Marburg und da ist es so, dass das Semester verschoben wurde und fast alle Klausuren abgesagt wurden. Solange jetzt die Universität nicht den Lehrbetrieb sicher stellen kann und momentan sowieso Semesterferien sind, können wir das, was wir gelernt haben, anwenden - immer im Rahmen der Möglichkeiten. Es geht jetzt darum das Pflegepersonal zu entlasten. Ich bin momentan nicht in Marburg, sondern in Niedersachsen und habe mich im Krankenhaus hier vor Ort gemeldet. Das ist ein kleinerer Betrieb, da gibt es noch keinen offiziellen Aufruf, ich habe auch noch keine Antwort bekommen. Genau deswegen habe ich die Petition gestartet - viele Häuser haben da vielleicht noch keine Idee, wie eine Lösung beigefügt werden könnte. Deswegen wollte ich auf die Möglichkeit aufmerksam machen.
Es gab für mich einen Moment, so ein Wake-up-Call. Die Meldungen haben sich überschlagen, jeden Tag haben wir eine neue Email bekommen, von der Universität. Ich bin joggen gewesen, weil ich nebenbei noch als Personal Trainer arbeite. Ich habe mich mit meiner Kundin unterhalten, sie kommt auch aus der Pflege. Da bin ich auf die Idee gekommen: wenn ich jetzt nur zu Hause sitze und nichts tun kann - dafür habe ich diesen Berufszweig nicht gewählt. Ich studiere Medizin, weil ich Leuten helfen möchte. Für mich ist das ein Zeichen der Solidarität. Es gibt für mich in dieser Krise keine großen Überraschungen. Wenn man das Gesundheitssystem die letzten Jahre beobachtet hat, hat sich vieles zum negativen verändert. Die Pflege ist auch ohne die Coronakrise maßlos überfordert, da hatten wir eine Aktion #Pflegenotstand. Ich habe viel darüber gelesen, dass Ärzte und Pfleger jetzt ihren Dienst gerne tun, aber auch ein bisschen frustriert sind. Dass der Politik erst jetzt auffällt, wie wichtig das Gesundheitswesen ist und jetzt Gelder freigemacht werden. Ich glaube, dass man nach der Krise überdenke sollte, wie viel eine Krankenpflegerin oder ein Krankenpfleger verdienen müssen. Um Respekt dieser Person zu zollen, die sehr harte Arbeit übernimmt."
(Anselm Löwe)
Ahmed Abdel-Rahman, studiert Medizin in Bratislava
Ahmed hat zusammen mit Amandeep Grewal, Andreas Zehetner, Michael Neulinger und Alexandra Diendorfer die Gruppe „Medizinstudierende vs. COVID-19“ initiiert.
"Ich komme aus Göttingen und studiere in Bratislava Humanmedizin im 10. Semester. Ich habe die Gruppe 'Medizinstudierende vs. COVID-19' mitbegründet. Die Idee hatte mein Kollege Amandeep Grewal, er wollte sich als Medizinstudent einbringen. Weil es aber fast keine Informationen oder Angebote gab, hat er die Facebook-Gruppe gegründet - mit der Hoffnung, dass wir Medizinstudenten mit den gleichen Gedanken finden würden. Schon nach fünf-sechs Stunden hat er mich kontaktiert, ob ich ihm helfen kann - weil so viele Anfragen gekommen sind. Schon am nächsten Morgen hatten wir über 1.000 Mitglieder, wir waren selbst sehr überrascht. Wir wussten schon, dass es eine gute Idee ist, waren aber doch schockiert, dass es so schnell ging. Das war für mich irreal - wenn man sich nur vorstellt, dass sich gerade Tausende Leute auf deinen Aufruf gemeldet haben. Jetzt sind das 20.000, was eine surreale Zahl ist. Diese Menschen sind da, wegen unserer Facebook-Gruppe, das kann man sich nicht vorstellen.
Jede Minute wurde dann etwas gepostet, langsam wurde es unübersichtlich, deswegen haben wir mit drei anderen Leuten innerhalb eines Tages die Webseite der Initiative auf die Beine gestellt. Unser Ziel ist es, die Kliniken mit Studierenden zu verbinden. Über 160 Kliniken haben sich bei uns gemeldet, parallel haben wir auch die gleiche Gruppe für Österreich gegründet. Ich habe mich gestern von 8 Uhr morgens bis 23 Uhr am Abend um die Seite gekümmert, und hatte sehr wenig Pause, aber ich mache das sehr gerne. Zur Zeit finde ich es noch relativ entspannt mit dem Studium, man kann vieles online machen. Jetzt hat es sich für mich noch mehr verstärkt, ich meine, mir wurde noch klarer, dass ich später Arzt werden möchte."
(Ahmed Abdel-Rahman)
Du willst auch mithelfen, deine Erfahrungen teilen, dich mit den Gleichgesinnten connecten? Hier findest du die Links zu Initiativen und Facebook-Gruppen.
Medizinstudierende vs. COVID-19:
info@medis-vs-covid19.de, auch telefonisch unter +49 171 202 5086 erreichbar. Hier geht es zur Facebook-Gruppe.
Hier erfährst du mehr über das Hackathon #WirvsVirus: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/wir-vs-virus-1731968
Eine gute Übersicht rund um das Thema Medizinstudium während der Coronakrise bietet die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V.
Darüber hinaus sucht die Kassenärztliche Bundesvereinigung Medizinstudierende, die beim Patientenservice 116117 mitarbeiten und über das Coronavirus informieren wollen. Mehr Infos dazu findet ihr hier: https://www.vitagroup.ag/116117.