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Streitgespräch zur Klimadebatte Mehr oder weniger Wachstum?

Es ist eine der entscheidenden Zukunftsfragen unserer Zeit: Wie stoppen wir den Klimawandel in einem Wirtschaftssystem, das auf stetiges Wachstum setzt? Das wird auch in den Wirtschaftswissenschaften kontrovers diskutiert. Dort werden schließlich die Manager und Wirtschaftstreibenden der Zukunft ausgebildet. Ein Streitgespräch.

Von: Manuel Mehlhorn

Stand: 09.11.2019

Streitgespräch zur Klimadebatte: Mehr oder weniger Wachstum?

„Wir müssen jetzt Klimaschutz betreiben. Wenn nicht, wird unsere Lebensgrundlage zerstört“, findet Leon Brülke. „Du kannst entweder mit mir einen moderaten Mittelweg umsetzen oder du kannst mit tollen, ideellen Projekten einfach nichts machen“, entgegnet Lars Koslowski. Bei der Frage, ob der Klimawandel mit mehr oder mit weniger Wirtschaftswachstum gestoppt werden kann, ist bei Lars und Leon kein Konsens in Sicht.

Grafik: Warum Wachstum ein Problem für das Klima ist

Keine Zeit für Alternativen

Beide studieren an der Universität Mannheim. Lars hängt an seinen BWL-Bachelor noch ein Psychologie-Studium dran. Leon hat mit VWL begonnen, hat dann aber zu Politikwissenschaft gewechselt. Der Grund: Die Volkswirtschaftslehre, wie sie an deutschen Hochschulen unterrichtet wird, ist Leon zu einseitig. So auch die Annahme vom stetigen Wirtschaftswachstum bei begrenzten Ressourcen. Für alternative Wirtschaftsmodelle, die ohne Wachstum auskommen, bleibe an den meisten Wirtschaftsfakultäten keine Zeit.

"Wir müssen in den nächsten zehn Jahren auf null Emissionen kommen."

(Leon Brülke, Plurale Ökonomik Mannheim)

Selbstversorgung statt Konsum

„Dann ist man gar nicht mehr in der Lage andere Ansätze zu verstehen und die in der Forschung anzuwenden. Das kann für die Wissenschaft nicht gut sein“, findet Leon. In der Hochschulinitiative „Plurale Ökonomik“ setzt er sich für mehr Vielfalt in der Volkswirtschaftslehre ein. Ein Beispiel: Die Postwachstumsökonomie. Ein Wirtschaftsmodell, das auf weniger Konsum und mehr Selbstversorgung setzt.

Kritik von der Liberalen Hochschulgruppe

Mit dieser Kritik seiner Kommilitonen kann Lars wenig anfangen, der sich in der Liberalen Hochschulgruppe an der Universität Mannheim engagiert.

"Es gibt manche Änderungsvorschläge von der Pluralen Ökonomik, die nicht notwendig oder sogar kontraproduktiv sind."

(Lars Koslowski, Liberale Hochschulgruppe der Universität Mannheim)

Weniger Wachstum schafft höhere Arbeitslosigkeit

Weniger Konsum, wie es die Postwachstumsökonomie vorschlägt, steht im Widerspruch zur sozialen Marktwirtschaft, die seit der Gründung der Bundesrepublik auf Wirtschaftswachstum setzt. Denn weniger Wachstum heißt für die Unternehmen auch automatisch weniger Umsatz, woraufhin Arbeitnehmer entlassen werden müssen. Wer arbeitslos ist, kauft nicht mehr jedes Jahr ein neues Smartphone und bleibt in den Ferien daheim. Doch wenn der Konsum zurückgeht, kriegt auch der Staat weniger Steuereinnahmen, der seine hohen Ausgaben dann nicht mehr bezahlen kann. Damit das nicht passiert, ist der Staat am Wirtschaftswachstum interessiert.

Grafik: Warum Wachstum wichtig für unseren Wohlstand ist

Wirtschaftswachstum und Klimaschutz: Kein Widerspruch für Lars

Soweit der Status Quo. Doch Leon findet: „Wir müssen nicht um jeden Preis weiter wachsen. Wir müssen in den nächsten zehn Jahren auf null Emissionen kommen. Danach können wir uns über Wachstum Gedanken machen.“ Für Lars hingegen sind Wirtschaftswachstum und Klimaschutz kein Widerspruch: „Wenn wir die Wirtschaft jetzt enorm ändern, um das Klima zu schützen, werden wir sogar deutlich wachsen, weil etwas Neues die aktuellen Produktionsmittel ablöst.“ Das könnten zum Beispiel neue Wasserstofftechnologien sein, die weniger CO2 ausstoßen. Deshalb sei Wachstum keineswegs automatisch klimafeindlich, wirft Lars ein: „Letztlich ist Wachstum nichts weiter, als dass man neue Industrien schafft.“

Kompromiss kommt nicht in Frage

Auch am Ende der Diskussion zwischen Lars und Leon ist immer noch keine Einigung in Sicht. Lars argumentiert innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems. Leon will ein neues System, das ohne Wachstum auskommt. Nun liegt es vermutlich an den Wirtschaftswissenschaften, wie intensiv sie diese Diskussion und plurale Erklärungsansätze auch an der Uni - in Lehre und Forschung - abbilden und stattfinden lassen wollen. Welt und Klima warten jedenfalls auf Antworten. Und auf Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wirtschaftler, die Lösungen parat haben.

Buchtipps:

  • Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum
  • Christian Felber: Neue Werte für die Wirtschafte
  • Jason Hickel: Die Tyrannei des Wachstums
  • Kate Raworth: Die Donut-Ökonomie
  • Alberto Costa/Ulrich Brand: Radikale Alternativen

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