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Studium Islamische Theologie "Für mich war das wie ein Kulturschock!"

Seit 2011 gibt es Lehrstühle für Islamische Theologie an deutschen Unis. Sie sollten für Religionslehrer und gesellschaftliche Integration sorgen. Für die Studenten ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihrer Religion eine Herausforderung.

Von: Christoph Wittmann

Stand: 23.06.2016 | Archiv

Eine Bilanz: Islamische Theologie an deutschen Universitäten

Islamische Theologie an deutschen Unis

2010 empfahl der Wissenschaftsrat, an Deutschen Universitäten Lehrer für den islamischen Religionsunterricht an Schulen auszubilden. 2011 und 2012 entstanden fünf Zentren für Islamische Theologie an den Standorten Münster, Tübingen, Münster, Osnabrück, Frankfurt a.M./Gießen und Nürnberg-Erlangen. Die Bundesregierung förderte die Zentren seither mit 20 Millionen Euro. Jetzt, nach fünf Jahren wurde das junge Fach evaluiert, von namhaften Islamwissenschaftlern aus dem In- und Ausland und christlichen Theologen, ausgewählt durch das Bildungsministerium. Die Professoren der Standorte mussten Rechenschaft ablegen über das, was sie in den vergangenen Jahren geleistet haben, und ihre Konzepte für die kommenden Jahre präsentieren. Die Ergebnisse entsprachen wohl den Erwartungen, auch wenn sie nicht publik gemacht werden. Die Förderung für die weitere fünf Jahre wurde vor kurzem beschlossen.

Wie und wozu islamische Theologie studieren?

Die Lehrstühle sind ein Erfolgsmodell; die Studierendenzahlen an allen Instituten rasant gestiegen, deutschlandweit mittlerweile auf 1800 Studierende. Am Standort in Münster kommen mittlerweile 1600 BewerberInnen auf 200 Studienplätze. Dort entsteht in Kürze der größte interreligiöse Campus Deutschlands, bei dem katholische, evangelische und islamische Theologie unter demselben Dach lehren.

"Manchmal gibt es Situationen, die man in der Moschee einfach so gelernt hat, die immer so waren und dann plötzlich hat man Hadiz-belege (Anm. d.Red: Hadiz = Offenbarungen des Propheten), die nicht so sein könnten, so dass man beim nächsten Mal in der Moschee sagt: Kann man’s vielleicht belegen? Man will konkreter sein, konkretere Antworten und nicht alles wie in einer Erzählung präsentiert bekommen, wie das halt in der Moschee normal so ist, das man was erzählt bekommt und das glaubt man dann so."

Tugce Akkanat, Studentin

Für den bekenntnisorientierten Studiengang gibt es im Hauptfach Bachelor-und Masterstudiengänge. Das Fach ist außerdem sehr beliebt als Nebenfach, z.B. für Studenten der Politik, Orientalisitik und auch bei nichtmuslimischen Studenten.

"Ich habe für mich festgestellt, dass ich viel zu wenig über meine Religion wusste. Ich kannte zwar die ganzen Praktiken, was man machen muss, was man nicht machen sollte, aber ich hatte persönlich immer das Problem damit gehabt, dass es immer nur hieß, man darf und man darf nicht und es nie richtig tiefer gegangen ist. Ich wollte wissen, warum darf ich, warum darf ich’s nicht, und: Was hat Gott davon, wenn ich soundso handle oder andersrum? Ich wollte es aber nicht unbedingt von den Moscheen lernen, sondern von einem wissenschaftlichen Standpunkt her, so breitgefasst wie möglich. Ich wollte herausfinden, wie es zu bestimmten Ritualen und Rechtsnormen gekommen ist."

Chaymae Khellani, Studentin

Es geht um Grundlagen der Islamischen Theologie

Im Studium geht es um die Vermittlung der theoretischen Grundlagen. Viel Raum nimmt dafür der Sprachunterricht ein. Nicht nur der Koran selbst ist auf hocharabisch geschrieben, sondern auch große Teile der einschlägigen Literatur. Absolventen können Ihr Wissen später nicht nur im Schuldienst anwenden. Mittlerweile gibt es vielfältige Berufsoptionen, z.B. in der Jugend und Sozialarbeit oder in der Seelsorge, wenn es z.B. darum geht, muslimische Bürger im Krankenhaus, im Gefängnis oder bei der Polizei religiös zu betreuen.

"Wir sind ja in Deutschland, uns geht es um die Gründung, also den Aufbau einer islamischen Theologie, um theologische Fragestellungen vor dem Kontext pluraler Gesellschaften, es geht hier um Europa, wir sind nicht an einem bestimmten Land orientiert oder einer theologischen Richtung, sondern wir betreiben eine Theologie der Vielfalt. Wir bauen hier Brücken auf zwischen Tradition und Gegenwart. Das heißt, wir müssen zum einen alle Strömungen vermitteln, also das ganze breite Spektrum, und zum anderen die Frage beantworten, wie würden wir heute (den Koran) auslegen, also auch in unserem Verständnis, also was wir hier rational, wissenschaftlich nachvollziehen können."

Prof. Dr. Reza Hajatpour, Uni Erlangen-Nürnberg

Beispiel: Department für Islamisch-Religiöse Studien in Erlangen-Nürnberg

Das einzige bayerische Institut ist in vier Lehrstühle unterteilt und deckt damit das breite Spektrum an theologischen Aspekten ab: einen systematischen, praktischen, pädagogischen und textwissenschaftlichen Schwerpunkt. Das Lehr- und Forschungspersonal kommt aus Marokko, dem Iran und Irak und widerspiegelt schon dadurch die konfessionelle Vielfalt innerhalb des Islam. Das DIRS ist sehr jung, in den ersten Jahren wurde vor allem daran gearbeitet, wissenschaftliche Strukturen - also Studienpläne, Seminare, Forschungsprojekte - zu schaffen. Mit 20 eigenen Tagungen, über 300 Vorträgen und zahlreichen Veröffentlichungen könne man sich durchaus sehen lassen.

"Wir brauchen Geduld, wir sind noch am Anfang. Wir möchten uns erst mal an unserem wissenschaftlichen Output messen lassen. Welche gesellschaftspolitische Wirkung die Institute am Ende haben, wird man vermutlich erst in 20 Jahren beurteilen können."

Prof. Dr. Reza Hajatpour; DIRS Uni Erlangen-Nürnberg.

Erst seit kurzem gibt es eine organisierte Fachschaft.

"Wir organisieren manchmal so ein Stammtischtreffen von der Fachschaft aus. Da laden wir unsere Studenten und auch Nichtmuslime aus anderen Fachbereichen ein. Da reden wir dann auch über Religionen, wir versuchen so den interreligiösen und interkulturellen Dialog zu fördern, weil das sehr wichtig ist, gerade in der heutigen Zeit."

Mert Ilpesin, Student, Uni Erlangen-Nürnberg

Die Rolle der Islamischen Verbände

Ganz entscheidend für den Erfolg des Projekts: Das Verhältnis zur islamischen Community. Die Zentren sollen mit ihren Forschungserkenntnissen auch nach innen, auf den islamischen Alltag wirken. Eine gute Verbindung zwischen Lehrstühlen und den Verbänden ist wichtig. Die Uni liefert nicht zuletzt das Personal für Schulen, Moscheen und Gemeinden, die Verbände müssen die Abschlüsse und die Ausbildung akzeptieren. Doch das Verhältnis zu den Gemeinden und den großen Muslim-Verbänden ist vielerorts kompliziert. Über sogenannte Beiräte sind sie in die Islamische Theologie an den Hochschulen eingebunden. Sie sollen mitreden, wenn es um Lehrinhalte und Personal geht. Diese Verbände stehen für einen konervativen Islam, vertreten unterschiedliche Ausrichtungen und Strömungen, je nach Herkunftsland, Konfession oder Rechtsschule, Theologie ist für sie die Verwaltung von Religionsgelehrsamkeit.

"Die akademische, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Islam bedeutet Forschen und Kritisieren. Aber diese Kritik hat eine Botschaft und ein Ziel: Sie ist nicht destruktiv, sondern konstruktiv, das bedeutet nicht Kritisieren um des Kritisierens willen, sondern es geht darum, falsche Ideen zu korrigieren. Die Universitäten wünschen sich ja, dass die theoretischen Erkenntnisse in der Praxis angewendet werden, und die Moschee bzw. die Gemeinde sind wie eine Brücke. Wir müssen dann den Schritt gehen, von der wissenschaftlichen Kritik zur Berichtigung und Umsetzung mit den Leuten."

Abdulrahman Albout, Imam des Islamischen Vereins Nürnberg und Doktorand am DIRS in Erlangen

Die Lehrstühle dagegen praktizieren eine Theologie der Vielfalt, betreiben Koranforschung vor dem Kontext moderner, europäischer, pluraler Gesellschaften. Viele Wissenschaftler befürchteten ein übergriffiges Verhalten der Verbandsfunktionäre. Nicht zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte. In Münster kam es 2013 zum offenen Machtkampf, als sich Muslim-Verbände über eine zu liberale Auslegung von Prof. Mouhanad Khorchide („Islam ist Barmherzigkeit“) beschwerten und versuchten, ihn abzusetzen.

Heißes Eisen: Imamausbildung

Ein schwieriges Thema bleibt auch die Imam-Ausbildung. Noch immer gibt es in Deutschland keine strukturierte, praktische Ausbildung zum islamischen Geistlichen. Bis auf einen Muslim-Verband gibt es keine Imam-Ausbildung. Der große türkische Verband der Muslime wirbt etwa für eine Imam-Ausbildung in der Türkei. Noch immer kommen viele der Imame in Deutschland von dort.

"Wir begrüßen das sehr, wir freuen uns auch über die Lehrstühle. Das ist genau der richtige Schritt. Aber z.B. der Religionsunterricht ist nicht flächendeckend. Das ist immer noch ein Pilotprojekt, das wird nur an bestimmten Schulen angeboten. Wir versuchen das lediglich zu ergänzen, mit einer Stunde Arabisch, zwei Stunden islamische Erziehung und wie man Koran liest, das ist überhaupt keine Konkurrenz, weil es das eigentliche schulische Angebot noch nicht gibt, z.B. meine Kinder besuchen keinen Islamunterricht in Bayern, es gibt in Nürnberg nur eine Schule, das ist zu wenig, da ist die Politik gefordert."

Mostafa Eljojo, Vorstand Islamische Gemeinde Nürnberg

Moscheen und Gemeinden beklagen fehlendes Personal.

Ein springender Punkt ist die Finanzierung: Wer soll für die Ausbildung der Absolventen, wer später die Imame bezahlen? Auch die Erlanger Professorin Dr. Maha El Kaisy-Friemuth fordert eine baldige politische Lösung:

"Im Moment ist die Imam-Frage das größte Problem. Wir produzieren an den Instituten hervorragende Studenten und Absolventen. Aber die können nicht als Imame wirken. Aktuell importieren die Moscheen ihre Imame fast immer aus dem Ausland, die können aber nicht die Sprache, kennen nicht die Kultur und Gesetze hier. Und manche müssen, meist nach fünf Jahren, gerade wenn sie sprachlich erste Fortschritte machen, wieder  zurück in die Türkei."

Prof. Dr. Maha El Kaisy-Friemuth, Uni Erlangen-Nürnberg


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