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23 Tote bei Zugunglück Alte Technik, verschleppter Ausbau

Nach dem Zugunglück will Italien Antworten auf die Frage, wie es zu der Frontalkollision zweier Pendlerzüge kommen konnte, bei der nach jüngsten Angaben 23 Menschen starben. Die Bahnpolizei spricht von veralteter Technik. Besonders tragisch: Die Strecke hätte längst zweigleisig ausgebaut sein sollen.

Von: Jan-Christoph Kitzler und Peter Solfrank

Stand: 13.07.2016

Waggons zusammengestaucht, als wären sie Spielzeug, überall verbogener Stahl und Blut - die Bilder lassen die Wucht erahnen, mit der die beiden Züge aufeinander geprallt sind. Vier der insgesamt acht Wagen sind völlig zerstört. Die tragische Bilanz des Unglücks in Apulien: 23 Tote und 52 Verletzte. Ganz Italien stellt sich jetzt die Frage: Wie konnte das nur passieren?

Kollision mit 100 km/h

Fest steht: einer der Züge hätte nicht auf der Strecke sein dürfen. Nach Angaben des Betreibers Ferrotramviaria waren die Bahnen mit etwa 100 Kilometern pro Stunde unterwegs, als sie in einer Kurve ungebremst zusammenprallten. Die Lokführer konnten den entgegenkommenden Zug deshalb wohl nicht sehen. Inzwischen heißt es: Die Strecke sei freigegeben worden, weil einer der Züge möglicherweise verspätet war.

Keine Signale, sondern Telefonanrufe

Die Bahnpolizei erhob schwere Vorwürfe. Auf dem Abschnitt gebe es kein automatisches Warnsystem, das sich einschaltet, wenn sich zwei Züge einander nähern. Das Warnsystem stütze sich vielmehr auf ein veraltetes Telefonverfahren. Demnach riefen sich die Stationsvorsteher gegenseitig an, um über einen abfahrenden Zug zu informieren.

"Es ist immer noch das alte System der Fernsprechnachrichten."

Chef-Ermittler Giovanni Meoli von der Eisenbahnpolizei

Das bestätigte inzwischen auch die Betreibergesellschaft: "Diese Bahnstrecke ist schon zur Hälfte mit automatischen Kontrollsystemen ausgestattet, aber leider nicht der Teil, in dem das Unglück passiert ist", sagte Ferrotramviaria-Chef Massimo Nitti. "Wir müssen verstehen, wo die Kontrollkette nicht funktioniert hat."

"Das Signalsystem an der Unglücksstrecke ist eines der am wenigsten ausgeklügelten und eines der riskantesten. Leider bedeutet ein solches System, dass die Kontrolle bei Menschen liegt."

Graziano Delrio, italienischer Verkehrsminister

Ausbau fahrlässig verzögert

Besonders tragisch: Der Streckenabschnitt hätte längst zweigleisig ausgebaut sein sollen. Geld war da: Die EU hatte Mittel in Höhe von 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Mittel hätten nach Angaben von Nachrichtenagenturen in den Jahren 2007 bis 2013 ausgegeben werden sollen. Sie wurden aber zum größten Teil nicht genutzt.

"Wir haben das Problem, das alle Italiener kennen: Die Entscheidungsprozesse in den Behörden dauern 60 bis 80 Prozent länger als in jeder anderen Nation Europas."

Massimo Nitti, Chef der privaten Betreibergesellschaft Ferrotramviaria

Siebenjähriger Junge aus den Trümmern gerettet

Den Rettungskräften hatte sich ein apokalyptisches Bild geboten. Ein Großaufgebot war an die Unglücksstelle geeilt. Bei 40 Grad Hitze versuchten sie stundenlang, die Eingeklemmten zu befreien. Dass sich der unermüdliche Einsatz lohnte, zeigte die Rettung eines etwa siebenjährigen Jungen. Er konnte lebend aus den Trümmern geholt werden. Ingesamt jedoch kamen 23 Menschen ums Leben, zwei Personen werden noch vermisst.

Tumulte vor der Leichenhalle

Vor dem Krankenhaus in Bari riefen wütende Angehörige "Lasst uns unsere Toten haben", weil sie bei sengender Hitze vor dem Gebäude warten mussten. In die Leichenhalle wurde nur eine begrenzte Zahl an Angehörigen gelassen.

Das Unglück hatte sich am Dienstag um 11.30 Uhr zwischen den Städten Corato und Andria - am Stiefelabsatz Italiens ereignet.

Bahnunglück in Italien: Hier stießen die Züge zusammen

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Bahnunglück in Italien: Hier stießen die Züge zusammen

Ende Juni 2009 waren bei einem schweren Zugunglück in der toskanischen Küstenstadt Viareggio 26 Menschen ums Leben gekommen. Damals entgleiste ein Güterzug, ein mit Flüssiggas gefüllter Waggon explodierte. Es war das schwerste Zugunglück in Italien seit mehr als 20 Jahren.


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