Bürokratiewahnsinn Wenn der Brandschutz aus dem Ruder läuft
Bürgermeister, die Angst haben einen Weihnachtsbaum in ihrer Gemeinde aufzustellen. Schulleiter, deren Schule urplötzlich in brennender Gefahr sein soll und deshalb für viel Geld umgebaut werden muss. Immer neue Vorschriften führen zu teilweise absurden Situationen beim Brandschutz.
Der Marienplatz in Wolfratshausen. In einem Monat beginnt hier der Christkindlmarkt. So hat er bisher immer ausgesehen. Festliche Stände und im Zentrum der Christbaum - Tradition seit 45 Jahren.
"Der Baum ist in der Vergangenheit immer hier gestanden", sagt Fritz Schnaller, Zweiter Bürgermeister von Wolfratshausen. Und genau das darf er in Zukunft nicht mehr - aus Brandschutzgründen. Bei einer Sicherheitsbegehung mit Feuerwehr, Polizei und Landratsamt kam heraus:
"Bei einem Einsatz würde die Feuerwehr entgegen der Einbahnstraße hier reinfahren und hier genau vor dem Brunnen wäre die Aufstellungsfläche für das Feuerwehrfahrzeug und aus diesen Gründen muss dieser Bereich freigehalten werden."
Fritz Schnaller, Zweiter Bürgermeister Wolfratshausen
Kein Christbaum mehr - und das, obwohl bisher noch nie etwas passiert ist. Die Wolfratshausener finden das unmöglich. Eine übertriebene Sicherheitsmaßnahme? Nein, sagt der Bürgermeister.
"Wenn es um die Sicherheit von Leib und Leben der Menschen geht, dann hab ich persönlich keinen Ermessenspielraum mehr. Das könnte ich moralisch nicht verantworten, wenn dann was passiert hätte man eine Mitschuld."
Fritz Schnaller, Zweiter Bürgermeister Wolfratshausen
600.000 Euro für Brandschutz in Gersthofener Gymnasium
Die Angst vor der Mitschuld treibt immer mehr Kommunalpolitiker um. Und führt zu kuriosen Maßnahmen: Der Landkreis Augsburg hat gerade über 600.000 Euro in ein Gersthofener Gymnasium gesteckt - nur für Brandschutz. Und das, obwohl die Schule ohnehin bald kernsaniert wird.
Markus Brem sitzt für die Freien Wähler im Stadtrat, ist Feuerwehrmann und Vater von zwei Kindern, die diese Schule besuchen. Trotzdem kritisiert er die Trennung von Brandschutz und Kernsanierung.
"Die Befürchtung, die man haben darf, ist, dass die jetzt umgesetzten Brandschutzmaßnahmen dann einfach nochmal ausgebaut werden bzw. durch neue Techniken und durch neue Komponenten in 2019 und fortfolgenden Jahren bei der eigentlichen Sanierung wieder neu eingebaut werden und somit der Euro zweimal ausgegeben werden muss."
Markus Brem, Gemeinderat in Gersthofen
Aus Sicht von Landrat Martin Sailer muss bei Brandschutzmaßnahmen schnell gehandelt werden. Und wenn das nicht der Fall wäre, dann stände der Landrat politisch und persönlich in der Haftung. Das für Brandschutz zuständige Bayerische Innenministerium nimmt die Sorgen der Bürgermeister und Landräte ernst, relativiert aber:
"Nur wenn der Amtsinhaber grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat, ist ein Rückgriff auf ihn persönlich möglich. Mit anderen Worten: Das ist die Ausnahme."
Bayerisches Innenministerium
Kostenexplosion seit Gesetzesnovelle
Ein weiteres Problem: Die Kosten. Der Grund für die Kostenexplosion ist die Reform der Bayerischen Bauordnung von 1998, erklärt Peter Bachmeier von der Berufsfeuerwehr München. Damals wurde der Brandschutz privatisiert, gesetzliche Regelungen wurden gestrichen. Die Lücken im Gesetz fülle jetzt die Industrie mit eigenen Normen, sagt Bachmeier.
"Es ist nicht mehr geklärt, wie die Tür zu öffnen ist und sofort ist ein Normungsgremium in die Bresche gesprungen, hat eine europäische Normung auf den Markt gebracht und da steht drin: Fluchttüren brauchen Panik-Stangen. Jetzt reicht eben nicht mehr der Türdrücker für ein paar Euro vom Baumarkt, jetzt brauchen Sie eine Panikstange, Sie brauchen eine neue Tür! Und wenn ich jetzt noch sagen würde als Feuerwehr, es wird wenigstens sicherer, dann hätte wenigstens der Bürger was davon. Aber ist ja nicht so!"
Peter Bachmeier, Branddirektor Berufsfeuerwehr München
Interesse der Privatwirtschaft
Immer mehr Brandschutz, daran ist vor allem der Privatwirtschaft gelegen, bestätigt (auch) das Innenministerium.
"Auch wir stellen fest, dass von Seiten der Hersteller die privatrechtliche Normung ihrer Produkte oftmals so vorangetrieben wird."
Bayerisches Innenministerium
In Wolfratshausen müssen sich die Bürger jetzt umgewöhnen. Statt einem großen Christbaum gibt es ab diesem Jahr nur noch einen Adventskranz. Tradition oder Sicherheit? Die Wolfratshausener hätten wohl eher die Tradition gewählt.
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evi, Donnerstag, 03.November 2016, 13:28 Uhr
4. brandschutz
wahnsinn
Schaumburger, Donnerstag, 03.November 2016, 09:03 Uhr
3. Wirtschaftswachstum ankurbeln
Wo keine Märkte sind, werden welche geschaffen !
waldler, Donnerstag, 03.November 2016, 07:47 Uhr
2. gesunder Menschenverstand
Man hat den Eindruck, daß in vielen Gremien und Behörden das Hirn beim Betreten des Arbeitsplatzes ausgeschaltet wird und dann nur noch nach dem Punkt und Komma gearbeitet wird.
Aber das geht auch in die andere Richtung:
z.B. Eine gerade zu Schulbeginn um 8h häufig befahrene Straße vor der Grundschule und dem Kindergarten in einer kleinen Stadt im Landkreis Cham:
Frage an die Polizei bzw die Gemeinde, warum vor der Schule und dem Kindergarten nicht Tempo 30 gilt.
Antwort: Da hält sich doch eh keiner dran, außerdem müsse man dann nach Rechtslage auch rechts vor links einführen.
Erst nach einem Unfall mit einem Kind wird extrem widerwillig ein Schild mit 30 aufgestellt. Das aber nichts nutz weil:
1. Der Bürgermeister öffentlich nach dem Aufstellen des Schildes in der Zeitung erklärt, daß sich eh keiner dran halten wird.
2. Die Polizei noch nie das Tempo kontrolliert hat, weil man die Bürger nicht schikanieren will
Antwort von Manfred, Donnerstag, 03.November, 09:32 Uhr
Das ist gut beschrieben und deckt sich mit meiner Beobachtung zum Beispiel aus dem Strassenverkehr .
Wenn die Tür in’s Schloss fällt schaltet sich die rationale Denkweise ab .
Ich denke mal das der heutige Mensch unter Dauerstress steht , durch zu ausgiebiges nutzen des Internet’s und der sozialen Netzwerke .
Alles gleich sofort und am besten gestern . Ich bin Berufspendler und was ich täglich auf den Bahnsteigen erlebe erinnert mich an eine Viehverladung .
Und die Menschen wollen Modern Zivilisiert Intelligent und Gebildet sein ?
Manfred, Mittwoch, 02.November 2016, 22:14 Uhr
1. Achtung , Leben ist Gefährlich !
Wenn Ihr nach 1970 geboren seid, hat das hier nichts mit Euch zu tun…..nicht weiterlesen.
Wenn Ihr als Kind in den 50er und 60er Jahren gelebt habt, ist es kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten.
Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags. Unsere Bettchen waren angemalt mit strahlenden Farben voller Blei und Cadmium.
Die Flaschen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Bleichmittel.
Wir trugen auf dem Fahrrad nie einen Helm.
Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus der Flasche.
Wir bauten Wagen als Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten.
Wir verließen morgens das Haus zum Spielen.
Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wusste, wo wir waren und das alles ohne Handy !
Das geht noch weiter so - Aber wozu die Panik Leute man ja sein Sicherheits-APP
Antwort von Peter L., Donnerstag, 03.November, 06:03 Uhr
Die Mutter durfte früher nicht wählen. Die Lehrer hatten das Recht zu schlagen, das hiess dann Züchtigungsrecht und die Buben trugen den Scheitl rechts...Ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind.
Antwort von clk, Donnerstag, 03.November, 07:20 Uhr
Sehr gut geschrieben. Ich bin selbst 1967 geboren und kann dem nur zustimmen. Heute traut sich doch keiner mehr ohne Angst aus dem Haus. Dieser Sicherheitswahn lähmt doch eine Gesellschaft nur.
Antwort von Manfred, Donnerstag, 03.November, 09:21 Uhr
Lieber Peter
Du hast schon recht was Du da sagst . Prügel ist die schlechteste Erziahungsmethode.
Der Sinn in den Worten geht in die Richtung als das man Heut den Menschen durch die vielen Sicherheitsregeln entmündigt ohne es eigentlich zu wollen .
Der Mensch braucht Regeln - Früher durch Autorität heute durch Sicherheitsvorschriften - der Unterschied liegt in der Verantwortung , früher ich selber heute der, der die Sicherheitsregel aufstellt . Dazu zählen auch Anstandregeln , Höflichkeit , Moralische Werte und eben ein Verantwortungsgefühl vermittelt zu bekommen .
Antwort von Francesco, Donnerstag, 03.November, 09:25 Uhr
@ Peter L.
Manfred's Beitrag - den ich nur bestätigen kann - sagt aus meiner Sicht nur, dass es "ganz normale" Wege gibt, Kinder groß zu ziehen. Damit meine ich, das Positive aus der Vergangenheit übernehmen, das Negative verbessern /abstellen. Es muss nicht immer die "wissenschaftliche, digitalisierte und vor allem Vollkasko-Erziehung" sein. Die Kinder würden ihren Eltern sicher für die dadurch gewonnene Freiheit / Kreativität danken und sich "aus Dank" zu ganz normalen Menschen (mit Ihren Stärken und Schwächen) entwickeln, die möglicherweise dann auch ganz ohne Nachhilfe, Rundumbetreuung,Burnout-Syndrom, Psychtherapeuten, etc. zu wertvollen Mitgliedern unserer Gesellschaft werden.