Miteinander daheim


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Warum Staaten sich abschotten

Von: Volker Eklkofer / Sendung: Christoph Gurk

Stand: 29.06.2016 | Archiv

Mauern und Grenzen: Warum Staaten sich abschotten

Soziale und politische BildungMS, RS, Gy

Der Traum von der Auflösung der Grenzen in Zeiten der Globalisierung ist zerplatzt. Eifriger denn je bauen Staaten Mauern und Wälle, um sich vor Feinden oder Migranten zu schützen. 'Grenze' bedeutet oft Trennung von Arm und Reich.

Hier sind wir - dort sind die anderen

Menschen suchen Nähe, brauchen aber auch Abstand voneinander. Bereits in der Jungsteinzeit waren Behausungen von Siedlern mit Rutengeflecht umgeben und noch heute sind Gartenzäune aus Wohngebieten nicht wegzudenken. Am Arbeitsplatz werden eifrig Schutzwälle aus Topfpflanzen, Linealen oder Kugelschreibern gebaut und in den öffentlichen Verkehrsmitteln helfen Zeitungen oder Aktenmappen beim alltäglichen Errichten von Bollwerken.

Was im Kleinen gilt, gilt auch im Großen. Betrachtet man den Staat als Zweckverband, zu dessen wichtigsten Aufgaben der Schutz des Zusammenlebens von Menschen gehört, ist es nicht verwunderlich, dass schon früh durch Verträge oder stillschweigende Übereinkünfte Scheidelinien zwischen Territorien festgelegt wurden. Oft dienten Berge, Flüsse oder Wälder als Grenzen.

Suche nach Sicherheit durch Mauerbau

Wenngleich es nur selten zur vollständigen Abschottung von Machtbereichen kam, wurden schon früh stabile Mauern gebaut, um Feinde oder unerwünschte Zuwanderer fern zu halten. In Mesopotamien ließ der sumerische Herrscher Sulgi im 3. Jahrtausend vor Christus einen knapp 300 Kilometer langen Lehmwall errichten, um seine Untertanen vor Einfällen des Nomadenvolkes der Amurriter zu schützen. Die feste Grenze hatte einige Jahrzehnte Bestand, dann einigten sich Nomaden und sumerische Siedler auf ein friedliches Miteinander und machten den Wall überflüssig.

Die Chinesische Mauer, ein Bollwerk gegen Reitervölker aus Innerasien, entstand über Jahrhunderte in mehren Phasen; immer wieder verfielen Teile und wurden renoviert. Erst zu Zeiten der Ming-Dynastie (14. bis 17. Jahrhundert) gab es ernsthafte Bemühungen, eine durchgehende Verteidigungsanlage an der nördlichen Landesgrenze zu installieren. Trotzdem war die Chinesische Mauer stets durchlässig, entlang der Grenze wurde viel Handel getrieben. Schließlich überrannten nordasiatische Steppennomaden im 17. Jahrhundert die Chinesische Mauer.

Der Limes - eine Wirtschafts- und Verwaltungsgrenze

Im Jahre 83 unternahm Kaiser Domitian (81-96) zwei Feldzüge nach Germanien und okkupierte Gebiete zwischen dem mittleren Rhein und der oberen Donau. Die neue Grenze verlief nun vom Rhein über den Westerwald, den Taunusrücken und den Odenwald bis zur Donau. Hier ließ der Kaiser ein Grenzüberwachungssystem errichten. Zunächst bauten die Römer Wachtürme, rodeten Schneisen und legten Patrouillenwege an. Unter den Kaisern Trajan (98-117) und Hadrian (117-138) kamen Gräben, Palisaden und Wälle hinzu. Im Hinterland wurden befestigte Kastelle zur Unterbringung beweglicher Eingreiftruppen angelegt. So entstand eine 548 Kilometer lange Anlage, der obergermanisch-rätische Limes. Hadrian, dessen Grabmal die jetzige Engelsburg in Rom ist, ließ auch den 120 Kilometer langen Hadrianswall in Nordbritannien sowie Grenzbefestigungen in Dakien (Walachei/Siebenbürgen), Syrien und Nordafrika errichten.

Wenngleich es gelegentlich zu Scharmützeln kam, entwickelte sich am Limes ein weitgehend friedlicher Grenz- und Handelsverkehr. Die römischen Provinzverwaltungen kontrollierten Einreisende, erfassten den Warentransport und erhoben Zölle. Bis Mitte des 3. Jahrhunderts entstand entlang des Limes eine Mischkultur, die römisch-germanische Grenzregion wurde zum Ort des Austausches. Schließlich wollten sich die Germanen nicht mehr mit einer bescheidenen Teilhabe am Wohlstand der Römer zufrieden geben. Die Alemannen begehrten mehr und überrannten 259/260 den obergermanisch-rätischen Limes.

Mittelalter - die Menschen mauern sich ein

Im Mittelalter blieben die Außengrenzen der zahlreichen europäischen Territorien weitgehend ungesichert, im Inneren schossen jedoch Mauern in die Höhe. Aus einfachen Wallanlagen wurden steinerne Festungen. Den Anstoß für den Burgenbau dürften die seit Ende des 8. Jahrhunderts stattfindenden Züge der Wikinger gegen die Küsten Europas und ihr Eindringen auf Flüssen landeinwärts gegeben haben. Für das Territorium des ostfränkischen Reiches waren vor allem die Ungarn eine ernste Bedrohung. Nicht nur Adelssitze, auch Städte und Klöster kapselten sich ab. Eine für die Zeit des Mittelalters ungewöhnliche Grenzbefestigung ist das 30 Kilometer lange Danewerk im Raum Schleswig, das im Jahr 808 erstmals in den fränkischen Reichsannalen erwähnt wurde. Es sollte die Südgrenze des dänischen Reiches vor Slawen und Sachsen schützen und gilt heute als größtes Bodendenkmal Nordeuropas.

Die Kolonialmächte ziehen Grenzen

Im 19. Jahrhundert fassten die europäischen Kolonialmächte in Afrika und Asien Fuß und teilten riesige Gebiete untereinander auf. Ohne Rücksicht auf alte Handelsrouten, Wanderpfade, Stammesgebiete oder Sprachräume zogen Staaten wie Frankreich und Großbritannien Grenzlinien. In der kurzen Zeitspanne zwischen 1880 und 1910 wurden weltweit mehr als zwei Drittel der heutigen Grenzen festgelegt. Damit war der Boden für unzählige blutige Konflikte bereitet.

Die Teilung Deutschlands - Grenzsperre und Berliner Mauer

Im Zuge des Kalten Krieges wurden 1949 die Bundesrepublik Deutschland und die DDR gegründet. Bald geriet das ostdeutsche SED-Regime durch "Republikflucht" in Bedrängnis, immer mehr Bürger verließen den "Arbeiter- und Bauernstaat". Auf Anweisung der sowjetischen Führung wurde im Frühjahr 1952 die innerdeutsche Grenze abgeriegelt. Auf DDR-Seite wurde eine fünf Kilometer tiefe Sperrzone eingerichtet, es folgten "Schutzstreifen", "Kontrollstreifen" und Stacheldrahtzaun, später wurden auch Minen verlegt. "Grenzverletzer" wurden mit der Schusswaffe gestoppt, Todesopfer nahm man in Kauf.

Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen verließen zwischen 1949 und 1961 etwa 2,7 Millionen Menschen die DDR. Im Sommer 1961 stand die Deutsche Demokratische Republik am Rande des Zusammenbruchs - und schloss nun auch die noch offenen Übergänge zu West-Berlin. Entlang der Sektorengrenze entstand die Berliner Mauer. Auch hier galt ein "Schießbefehl" zur Verhinderung von "Grenzdurchbrüchen", zahlreiche Flüchtlinge starben. Für die DDR-Propaganda war die Berliner Mauer ein "antifaschistischer Schutzwall", doch sie wurde zum Symbol der kommunistischen Diktatur. Als die Mauer am 9. November 1989 fiel, tanzten Deutsche aus Ost und West auf ihr.

Weltweit wachsen Wälle

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes galten Mauern und Grenzen für kurze Zeit als Überbleibsel längst vergangener Zeiten. Die Hoffnung auf ein Zusammenwachsen der Welt im Zuge der Globalisierung war groß. Doch weit gefehlt. Nach wie vor befestigen Staaten ihre Grenzen. Die USA haben mit dem "Tortilla Curtain" eine Trennwand zu Mexiko geschaffen. Israel schottet sich vor den Palästinensergebieten im Westjordanland ab und Saudi-Arabien verbarrikadiert sich vor seinen "arabischen Brüdern" im Irak und im Jemen. Die Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist undurchlässiger denn je und im nordirischen Belfast trennen Zäune noch immer protestantische von katholischen Wohnvierteln. Im südlichen Afrika versteckt sich Botswana hinter einem "Veterinärzaun", der nach offizieller Lesart Nutztiere vor Krankheiten schützen, tatsächlich aber Zuwanderer aus dem armen Simbabwe abhalten soll. In den Großstädten der USA, Europas, aber auch in Schwellenländern wie Brasilien und Südafrika mauert sich währenddessen die Mittel- und Oberschicht in Gated communities, geschlossenen Wohnanlagen, ein.

Abschottung an den EU-Außengrenzen

Innerhalb Europas sind die Grenzen tatsächlich weitgehend verschwunden, doch die Außengrenzen werden immer undurchdringlicher. Die Europäische Union schützt sich vor illegalen Einwanderern, vor allem vor Armutsflüchtlingen. Diese Menschen erhoffen sich in Europa ein besseres Leben und riskieren Kopf und Kragen, um ins gelobte Land zu kommen.

Die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, Anlaufstellen für Zuwanderer vor allem aus Afrika, sind längst zum Symbol einer restriktiven Flüchtlingspolitik geworden, die auf der Annahme einer erschöpften Aufnahmefähigkeit Europas basiert. Trotz modernster Sicherheitstechnik und scharfkantiger Drähte kommt es immer wieder zu Massenanstürmen und verzweifelten Durchbruchsversuchen.

Erfüllen Mauern und Grenzen ihren Zweck?

Es gibt politisch-ideologische, ethnisch-kulturelle und ökonomische Gründe, Mauern zu bauen und Grenzen zu befestigen. Schutzwälle sollen Feinde oder Terroristen abhalten und verhindern, dass Fremde ins Land kommen. Nach innen sollen sie ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, den Menschen außerhalb klarmachen, dass sie keinesfalls "dazugehören". Manchmal sollen Mauern auch das eigene Volk daran hindern, ihrer Heimat den Rücken zu kehren.

Mauerbau scheint verlockend einfach zu sein. Regierungen, die Schutzwälle errichten, zeigen ihrer Bevölkerung, dass sie "etwas tun". Blinder Aktionismus tritt oft an die Stelle von planmäßiger Zuwandererintegration, von einer mit den Nachbarn abgestimmten Einwanderungspolitik, von Verhandlungen, von neuen wirtschafts- und machtpolitischen Weichenstellungen. Mittelfristig können Mauern politische Systeme festigen (siehe DDR nach dem Mauerbau) und Angstgefühle verstärken (siehe Furcht vieler Europäer vor Wirtschaftsmigranten aus Afrika). Doch auf lange Sicht sind Mauern und Grenzen keine Problemlöser. Sie manifestieren Feindbilder und schaffen ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Wer derzeit die Zäune um Europa immer höher zieht, sollte daran denken, dass die meisten historischen Mauern überrannt oder eingerissen wurden. Der "antifaschistische Schutzwall" in Berlin hielt nur 28 Jahre - und mit ihm fiel die DDR.


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