44

Liberaler Übervater Trauer um Hans-Dietrich Genscher

Als einer der Konstrukteure der Deutschen Wiedervereinigung ist er in die Geschichte eingegangen: Hans-Dietrich Genscher. Viele Jahre lang galt er als Leitfigur der FDP. Jetzt ist er im Alter von 89 an Herz-Kreislauf-Versagen gestorben.

Von: Tanja Sluka

Stand: 01.04.2016 | Archiv

Ein Mann trägt sich am 01.04.2016 in der FDP-Zentrale in Berlin in das Kondolenzbuch für den verstorbenen FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher ein.  | Bild: picture-alliance/dpa

Vizekanzler, Außenminister, Innenminister und FDP-Chef - während seiner politischen Karriere hatte Hans-Dietrich Genscher viele Spitzenämter inne. Fast zwei Jahrzehnte lang prägte er die Außenpolitik Deutschlands - erst in der sozialliberalen Koalition, später im Kabinett Kohl. Im Zentrum seiner Politik standen Abrüstung, Entspannung und Ausgleich mit dem Osten. Höhepunkt seiner Amtszeit war zweifellos die deutsche Wiedervereinigung.

Legendäre Worte in Prag

Am 30. September 1989 sprach Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der westdeutschen Botschaft in Prag seinen wohl berühmtesten Satz, dessen zweite Hälfte im Jubel der wartenden DDR-Bürger unterging:

"Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...."

Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher

Unvergesslicher Augenblick

Etwa 4.000 DDR-Flüchtlinge fielen sich an diesem Abend in der Botschaft in die Arme. Viele von ihnen hatten dort seit Wochen ausgeharrt, in der bangen Hoffnung, nach Westdeutschland ausreisen zu dürfen.  Als westdeutscher Außenminister hatte Hans-Dietrich Genscher mit den Machthabern in Ost-Berlin und Prag verhandelt. Schließlich wurde ihm eine Sondererlaubnis für die Fluchtwilligen zugesagt - damit war das erste, große Loch in die innerdeutsche Mauer geschlagen. Es war Genschers diplomatisches Meisterstück.

Wichtigste politische Stationen


  • 1952 Eintritt in die FDP
  • 1954 Vize-Landeschef der Jungdemokraten in Bremen
  • 1956 bis 1959 wissenschaftlicher Assistent der FDP-Bundestagsfraktion in Bonn
  • 1962 bis 1964 Bundesgeschäftsführer der FDP
  • 1965 bis 1969 Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion
  • 1965 bis 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages
  • 1968 bis 1974 Vize-Bundesvorsitzender der FDP
  • 1969 bis 1974 Bundesminister des Inneren in Regierung Brandt
  • 1974 bis 1985 Bundesvorsitzender der FDP
  • 1974 bis 1982 Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler in Regierung Schmidt
  • 1982 bis 1992 Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler in Regierung Kohl
  • 1992 Rücktritt als Außenminister auf eigenen Wunsch und Ehrenvorsitzender der FDP

Markenzeichen gelber Pullunder

Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher 2014 mit Bundespräsident Joachim Gauck und dem früheren US-Außenminister James Baker.

Hans-Dietrich Genscher wurde am 21. März 1927 in Reideburg in Sachsen-Anhalt geboren. Während des Zweiten Weltkrieges geriet der Jugendliche in Kriegsgefangenschaft, wurde aber bald freigelassen und konnte in Halle das Abitur ablegen. Nach dem Studium von Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre ging er 1952 in den Westen und arbeitete in einer Bremer Kanzlei, die auf Wirtschafts- und Steuerrecht spezialisiert war.

Seine gelben Pullunder, die er gerne und oft trug, wurden für ihn zum Markenzeichen. Mehrfach ließ er die Kleidungsstücke für wohltätige Zwecke versteigern. Sein markantes Äußeres inspirierte jahrzehntelang zahlreiche Karikaturisten - vor allem seine abstehenden Ohren wurden gern und oft zu Papier gebracht. Auch der Name "Genschman", den das Satire-Magazin Titanic prägte, ist bis heute weithin bekannt.

Gründung der GSG 9

Als Tiefpunkt seiner Karriere bezeichnete Genscher einmal die missglückte Geiselbefreiung bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Damals gehörte er als Bundesinnenminister zum Krisenstab. Elf israelische Sportler wurden damals von palästinensischen Extremisten getötet. Auch ein deutscher Polizist war unter den Opfern. Nach dem blutigen Ende der Geiselnahme wies Genscher den Bundesgrenzschutz an, die Anti-Terror-Einheit GSG 9 zu gründen.

"Liberale wissen, verantwortliche Politik muss der Freiheit und der Würde jedes einzelnen Menschen dienen. Aber Freiheit und Verantwortung gehören für uns Liberale untrennbar zusammen."

Hans-Dietrich Genscher

Hans-Dietrich Genscher legt 1987 im Bonner Bundestag vor Bundestagspräsident Philipp Jenninger erneut den Eid als Außenminister ab.

Jahrzehntelang war Hans-Dietrich Genscher das Aushängeschild der Liberalen in Deutschland und verköperte einen ganzheitlichen Liberalismus. Als Außenminister stand er für Abrüstung, entwickelte Strategien für eine aktive Entspannungspolitik und für die Weiterführung des Ost-West-Dialogs mit der UdSSR. Er hatte großen Anteil an der europäischen Einigung und am Gelingen der deutschen Wiedervereinigung, über die er mit seinem Amtskollegen aus der DDR, Markus Meckel, verhandelte. Im November 1990 unterzeichneten Genscher und sein polnischer Amtskollege Krzysztof Skubiszewski in Warschau den deutsch-polnischen Grenzvertrag über die Festlegung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze.

Dienstältester Außenminister

Kritik rief die von Genscher betriebene frühzeitige Anerkennung der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien durch Deutschland im Dezember 1991 hervor. Diese war nur mit Österreich abgestimmt und lief einem EG-Übereinkommen zuwider. Es bedeutete die erste flagrante Verletzung der Schlussakte der KSZE. Russland beruft sich bei einseitigen Grenzverletzungen zum Beispiel in der Ukraine bis heute auf Genscher.

Zitate von Hans-Dietrich Genscher

  • "Europa ist unsere Zukunft, sonst haben wir keine."
  • "Die Welt des 21. Jahrhunderts wird nur dann ihre Stärke bewahren können, wenn sie von der Stärke des Rechts und nicht vom Recht des Stärkeren bestimmt wird."
  • "Den guten Lotsen erkennt man an der ruhigen Hand und nicht an der lautesten Stimme."
  • "Was die Kosmetik für die Damen, ist der Regierungssprecher für die Regierung."
  • "Auf Tiere könnte ich nie schießen, die müssten schon Selbstmord machen."
  • "Mein Verhältnis zur französischen Sprache ähnelt dem zu meiner Frau. Ich liebe sie, aber ich beherrsche sie nicht."

Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher empfängt Michael Chodorkowsky 2014 am Flughafen Berlin-Schönefeld.

Seine Karriere beendete er 1992 auf eigenen Wunsch. Als dienstältester Außenminister der Welt verließ er die politische Bühne. Doch bis zuletzt war Hans-Dietrich Genscher aktiv, kritisierte Fehlentscheidungen der FDP, schrieb Zeitungsbeiträge und mischte sich ins politische Tagesgeschehen ein. So setzte er sich für die Freilassung des verurteilten Putin-Gegners Michael Chodorkowsky in Russland ein.


44

Kommentieren

Udo Pablitschko, Samstag, 02.April 2016, 15:11 Uhr

10. Genscher, pro und contra


Mit Verlaub:

Is´guat weita...

Wuis´ln ufhör´n...

Mehra "g´scheit´s toa" für uns Bürga... AMEN !

  • Antwort von Parabschko Uri, Samstag, 02.April, 19:33 Uhr

    @up

    Sie wachsen mal wieder über sich hinaus, aber kein Mensch versteht das. War es wichtig - ne, ohne Fragezeichen.

Das Leihschwein, Samstag, 02.April 2016, 09:36 Uhr

9. Politiker kommen und gehen die Welt dreht sich weiter und jeder ist ersetzbar

Genscher wurde 89 Jahre alt und war Außenminister im kalten Krieg und hat wie alle Spitzenpolitiker richtige und falsche Entscheidungen getroffen, einige wurden in den Kommentaren schon angesprochen.

  • Antwort von GelieheneSau, Samstag, 02.April, 10:47 Uhr

    Wie die Kommentatoren...

  • Antwort von Franz, Samstag, 02.April, 14:01 Uhr

    Wenn man sich "Das Leihschwein" nennt, sollte man schon einen qualitativen Kommentar schreiben, um den misslungenen Namen zu überdecken. Leider ist Ihnen das nicht gelungen.

Wanda, Samstag, 02.April 2016, 00:23 Uhr

8. Liberaler Übervater ?

Bei aller Pietät und dem üblichen Mediendrang zu übertreiben sei an Folgendes erinnert:
- einzig und allein Gorbatschow ermöglichte die Wiedervereinigung, und zwar gegen enorme Vorbehalte unserer westlichen "Freunde". Weder Kohl noch Genscher hatten da ein Wörtchen mitzureden. Es war allein Sache der Alliierten. Und da diese immer der Sowjetunion die deutsche Spaltung angelastet hatten, konnten sie der plötzlichen Wiedervereinigung nur schlecht widersprechen (Maggie Thatcher). Dass unsere Regierungen die Gorbatschow gegebenen Zusagen später nicht einhielten, ist ein spezieller Dank und eine Schande...
- und die sogenannte neue Ostpolitik wurden lang vorher bereits von Brandt und Scheel initiiert, der spezielle Architekt jedoch war Egon Bahr. Genscher ist (ohne ihn abzuwerten) später nur deren Spuren gefolgt...
- was die FDP anging, hat Genscher keine Weitsicht bewiesen sondern einen Guido Westerwelle ermöglicht, der die Liberalen in die Bedeutungslosigkeit stürzte.

  • Antwort von Panda, Samstag, 02.April, 10:46 Uhr

    Bei aller Pietät und dem üblichen Mediendrang zu übertreiben sei an Folgendes erinnert: Klappe halten fällt schwer. Ist doch alles bekannt...
    Wichtigtuerin!

Peter, Freitag, 01.April 2016, 18:51 Uhr

7. H.D.Genscher gestorben

Aufstehen, eine Minute schweigen, kurz verneigen. RIP

Hans Fontanen, Freitag, 01.April 2016, 17:46 Uhr

6. Der Helmut Schmidt der FDP

Ich verneige mich vor seinen herausragenden Leistungen für die Bundesrepublik Deutschland.
Als Innenminister war er 1972 bereit sein Leben als Geisel für die israelischen Geiseln des Olympiaterrors zu geben.
Dieser aufrechte und geradlinige Politiker hat die hohe Kunst der Diplomatie bestens verstanden. Einer der letzten Politiker mit Herz und Hand.
Er gab seine Ziele, seine Werte nie auf. Ohne diesen Politiker gäbe es keine Deutsche Einheit.

Danke für dieses Geschenk. Ruhe in Frieden!