Was macht eigentlich ... Bernie Sanders, der Kandidat der roten Herzen
Gekämpft, gesiegt, am Ende doch verloren: Als unterlegener Bewerber dürfte Bernie Sanders im Wahlkampf der Demokraten eigentlich keine große Rolle mehr spielen. Doch Sanders ist wieder da, Hillary Clintons Programm trägt seine Handschrift - aus guten Gründen.
Am "Labor Day", dem amerikanischen Tag der Arbeit am 5. September, steht er wieder auf der Bühne, zum ersten Mal seit dem Parteitag der Demokraten im Juli. Am nächsten Tag gleich nochmal. Bernie Sanders erklärt, Hillary Clinton - seine erbittert bekämpfte Rivalin im Vorwahlkampf - sei die beste Wahl für Amerika. Seine Anhänger jubeln.
Bernie Sanders sieht aus wie immer - wie jemand, den sich Wahlkampfstrategen als Negativbeispiel ausdenken: Sanders ist nur fünf Jahre älter als Clinton, wirkt aber, als wäre er ihr Vater. Er trägt Anzüge von der Stange und eine Brille, die hierzulande als "Kassengestell" gelten würde. Seine Stimme klingt rau, seine gestischen Bemühungen beim Reden lassen an einen Satz denken, den Walter Matthau in der Filmkomödie "Ein seltsames Paar" seinem chronisch fuchtelnden Mitbewohner entgegenschleudert:
New Hampshire, Alaska, Hawaii ...
Er hatte keine Chance, aber er war wild entschlossen, sie zu nutzen. Im Herbst 2015 lag Hillary Clinton 50 Prozent vor allen Gegenkandidaten - einschließlich Sanders. Niemand hatte den lange parteiunabhängig agierenden Sanders auf der Rechnung, der sich bis heute als "democratic socialist" bezeichnet - eine Formulierung, die man mit "Sozialdemokrat" übersetzen könnte, die für viele Amerikaner aber nach Stalinismus klingt. Anfang 2016 waren nur noch Clinton und Sanders übrig und lieferten sich einen Frühling lang ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen.
Gleich bei der zweiten Vorwahl in New Hampshire ein Paukenschlag: Sanders lag vor Clinton, und zwar um 21,9 Prozentpunkte. Dass der kleine Staat in Neuengland kaum mehr Einwohner hat als Unterfranken, war da Nebensache. Dann ging auch Nevada an Sanders. Am Ende hatte er völlig überraschend 22 Vorwahlen gewonnen - Hillary Clinton 29. Für Sanders stimmten meist kleinere Staaten und/oder solche, in denen die Demokraten keine Chance haben. Beispiel Utah: In der Mormonenhochburg votierten vier von fünf Demokraten für Sanders. Doch in Utah ist seit Lyndon B. Johnson kein Demokrat mehr zum Präsidenten gewählt worden.
Sanders lag auch vorn: bei weißen Arbeitern, den jungen Wählern, der Netzgemeinde. Auch bei den Wahlkampfspenden - obwohl er, anders als Clinton, kaum Unterstützung von Banken und Konzernen erhielt.
Was seine Fans schätzen, ist Sanders' "No-Nonsense"-Haltung. Sanders macht eher selten Selfies, herzt keine Haustiere, redet nicht um den heißen Brei herum. Nach seinem Triumph in New Hampshire - eine Gelegenheit, die andere Kandidaten zu Siegerposen und Parolen nutzen - führte Sanders in freier Rede Details seines Wahlprogramms aus.
... vorbei?
Erst kurz vor dem Parteitag der Demokraten Ende Juli zieht Sanders zurück. Als Schauplatz hat er New Hampshire gewählt, statt Pauke packt er jetzt Geigen aus. "Hillary Clinton muss unsere nächste Präsidentin werden", ruft Sanders in die Kameras.
Die Konkurrentin steht neben ihm und sieht erleichtert aus. Bei der Schlussabrechnung sind 1.831 Delegierte für Sanders, 2.270 für Clinton, die auch die Superdelegierten des Partei-Establishments auf ihrer Seite weiß. Auf dem Parteitag wird Sanders zum ersten Mal ausgebuht - von seinen Anhängern, die sich mit Clinton nicht anfreunden wollen.
"Ich bezweifle ihre Glaubwürdigkeit - im Zusammenhang mit dem Irakkrieg, dem größten außenpolitischen Fehler unseres Landes, und im Zusammenhang mit den Freihandelsabkommen. Ich bezweifle sie auch, weil sie fragwürdige Gelder angenommen hat. Ich glaube nicht, dass wir diese Art von Präsidentin brauchen."
Bernie Sanders am 14. April
"Ich werde tun was ich kann, um sicherzustellen, dass sie die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten wird. Hillary Clinton wird eine herausragende Präsidentin sein."
Bernie Sanders am 12. Juli
The Odd Couple 2016: Hillary und Bernie
Für weiteren Zoff sorgen Gerüchte um Wahlfälschungen und gehackte E-Mails, die zeigen, wie führende Demokraten Stimmung gegen Sanders gemacht haben. Parteichefin Debbie Wasserman Schultz muss zurücktreten. Donald Trump reibt genußvoll Salz in die Wunden, die sich die Rivalen geschlagen haben: Wer finde, Sanders sei von der Partei unfair behandelt worden, könne gerne ihn, Trump, wählen, so der Republikaner.
Sein Kalkül: Enttäuschte Sanders-Anhänger, die der "Wall-Street-Frau" Clinton misstrauen, auf seine Seite zu ziehen oder zumindest vom Wählen abzuhalten. Trump zielt vor allem auf die Arbeiter in den kriselnden Industrieregionen des "Rust Belt" rund um die großen Seen im Nordosten. Iowa, Michigan, Ohio und Pennsylvania gelten als als wahlentscheidende "Swing States".
Und genau deshalb braucht Hillary Clinton Bernie Sanders - und umgekehrt. Clinton kämpfe für höhere Mindestlöhne, erneuerbare Energien, die Nominierung eines liberalen Juristen für das Oberste Gericht und höhere Investitionen in die Infrastruktur, so Sanders am Labor Day - alles Punkte aus seinem Programm. Auch Wirtschaftsabkommen wie TTP und TTIP sieht sie neuerdings kritisch.
Die Angst vor Nichtwählern, Wutbürgern und dem "Perot-Effekt"
Clintons Alptraum: Was, wenn Arbeiter und junge Wähler wie beim Brexit-Votum der Briten den Weg in die Wahlkabine nicht finden wollen? Wenn sie den rechten und religiösen Wählern das Feld überlassen?
Gut im Gedächtnis dürfte Clinton auch der erste Wahlsieg ihres Gatten Bill sein, dessen Gegenkandidat George Bush senior 1992 verlor, weil zu viele potentielle Bush-Wähler sich am Ende für den unabhängigen Kandidaten Ross Perot entschieden. 2016 bieten sich den desillusionierten Demokraten der Libertäre Gary Johnson und die Grüne Jill Stein an.
Restrisiko: Kleine Schlammschlacht unter Freunden
Fürs Erste hat Clintons Umarmungsstrategie mehr Erfolg als Trumps Abwerbungsbemühungen. Doch das Bündnis mit Sanders ist fragil. Sanders' Themen sind in der Welt, ebenso seine alten Zweifel an Clintons Glaubwürdigkeit. Meint Hillary Clinton, was sie verspricht? Bernie Sanders Finger bleibt in der Luft. Im November will er ein Buch auf den Markt bringen, an dem er gerade schreibt, eine Art Manifest. Titel: "Our revolution."
Hintergrund: Bernie Sanders' amerikanischer Traum
Seit Jahrzehnten machen die Abschwünge der Wirtschaft - zuletzt verschärft durch die Immobilienkrise - vor allem der amerikanischen Unter- und Mittelschicht zu schaffen, während von den Boomphasen der Reagan- und Bill-Clinton-Jahre und der Erholung unter Obama vornehmlich die obersten zehn Prozent profitieren. Der sogenannte Gini-Index für die Verteilungsgerechtigkeit listet die USA auf dem 28. von 30 Plätzen. Berechnungen zeigen, dass das reichste Prozent der Amerikaner über 40 Prozent des Volksvermögens verfügt, während 80 Prozent der Bevölkerung sich mit sieben Prozent zufrieden geben. Bislang, so eine Harvard-Studie von 2011, waren diese Dimensionen den meisten schlicht nicht bewusst. Das aber beginnt sich zu ändern - auch durch Sanders' Kampagne.
Amerikas Gründungsmythos, dass jeder es hier schaffen kann, ist angekränkelt. Die Diagnose spaltet die Amerikaner. Während die einen - angeführt vom Milliardär Donald Trump - an ihrer Medizin festhalten und die Dosis verdoppeln wollen, plädieren andere für eine radikale Umstellung des Patienten. Sanders will Großbanken aufspalten, durch höhere Einkommens- und Erbschaftssteuern für Reiche und eine Finanztransaktionssteuer Geld für Straßenbau, Schulen und das Gesundheitssystem gewinnen, niedrige Renten erhöhen, ein kostenloses Studium für alle finanzieren. Und während Donald Trump vor allem durch lustvoll geblafften Satz "You're fired" in der TV-Show "The Apprentice" bekannt wurde, fordert Sanders Kündigungs- und Mutterschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und zwei Wochen bezahlten Urlaub.
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LIV, Mittwoch, 14.September 2016, 13:34 Uhr
2. BERNIE FOR PRESIDENT
Bernie Sanders möchte die Dinge in Amerika positiv gestalten.Das haben auch vor ihm, viele viele Menschen gesagt, die das nicht eingehalten haben. Doch anders als bei den andren glaube ich ihm, weil er nicht unbediengt im Ruhm der Medien schwimmt oder Korruption betreibt wie seine ehemaligen Gegner der Präsidentschaftswahlen. Sollte Clinton nicht antreten können, würde entweder der derzeitige Vizepräsident ihr Platz einnehmen, oder Bernie Sanders. Ich hoffe sehr das der letzere gewinnt. Er setzt sich für Feminismus und der Bildung ein. Donald Trump ist ein sehr gutes Beispiel dafür , was aus Menschen ohne Bildung werden kann. #BRINGBACKBERNIE
Hans, Mittwoch, 07.September 2016, 21:21 Uhr
1.
Ich überlege gerade, ob es einen wie Sanders auch in der SPD gibt. Fällt mir leider keiner ein :-(