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Entstehung eines Monsters Wie aus Al Kaida der IS wurde

Die Anschläge von Paris werfen vor allem die Frage auf: Wie konnte die Terrormiliz Islamischer Staat entstehen? Geburtshelfer waren und sind die USA genauso wie der syrische Machthaber Assad.

Von: Clemens Verenkotte

Stand: 18.11.2015 | Archiv

Al-Qaida und IS | Bild: picture-alliance/dpa

Der Fluch der bösen Tat – begangen vor über einer Dekade von einer US-Administration, die das post-terror-traumatisierte Amerika zu neo-imperialen Abenteuern willentlich ausnützte – hat seine verheerende Wirkung in einem erschreckenden Tempo ausgebreitet: Der nicht zu rechtfertigende US-Überfall auf den Irak, durchgesetzt unter zynischer Anwendung medial weltweit verbreiteter Unwahrheiten, denen zufolge der irakische Alleinherrscher Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hätte und Kontakte zur Al Kaida unterhalten würde, wirkte wie ein terroristischer Brandbeschleuniger.

US-Besatzer als IS-Geburtshelfer

Die amerikanischen Besatzungs-Gefängnisse von Abu Graib, Camp Bucca und andernorts im Irak füllten sich mit einer rasch anwachsenden Anzahl von kämpfenden Aufständischen, von unbescholtenen Zivilisten und Rache suchenden Islamisten, während sich Tausende irakischer Offiziere und Geheimdienstmitarbeiter des alten Regimes – gefeuert von den neuen Herren in Bagdad – auf der Straße wiederfanden, stellungs- und perspektivlos.

Die Symbiose aus säkularen, fähigen Ex-Saddam-Offiziellen und zum Dschihad bereiten Islamisten vollzog sich in den blutigen Besatzungsjahren der ersten Dekade dieses Jahrhunderts, bildete die Grundlage für die Wandlungen der vormaligen Al Kaida im Irak zum heutigen sogenannten Islamischen Staat.  

IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi

Angesichts des rasant zerfallenden Irak in die nunmehr den Armee- und Sicherheitsapparat dominierenden Schiiten samt angeschlossener Milizen sowie in die tief frustrierten sunnitischen Stämme und die immer autonomer agierenden Kurden im Norden des Landes konnte sich erst das ambitiöse Projekt eines Abu Bakr al-Baghdadi entfalten, die Transformation von einer auf blutige Anschläge fixierten Terrororganisation zu einem "Kalifat" zu vollziehen, das ein Territorium kontrolliert.

IS und Syriens Machthaber Assad - eine Symbiose

Die Mitpatenschaft am Entstehen und Ausbreiten des selbsterklärten Kalifats unter der Herrschaft des Rolex tragenden Ex-Häftlings im US-Gefängnis al-Baghdadi gebührt allerdings auch dem Hauptschuldigen am syrischen Bürgerkrieg, Bashar al-Assad. Schon vor Beginn des arabischen Frühlings unterhielt der Diktatorensohn Trainingslager für ausländische Dschihadisten, die Assad zum Kampf gegen die verhassten US-Truppen ins Nachbarland entsandte.

Syrischer Präsident Bashar al-Assad

Die Destabilisierung des Iraks während der Zeit der amerikanischen Militärpräsenz verfolgte der syrische Machthaber konsequent, zum Wohlgefallen seiner langjährigen Verbündeten in Teheran und Moskau. Sobald im März 2011 in Daraa im Süden des Landes die ersten friedlichen Proteste gegen die 40-jährige Herrschaft des Assad-Clans aufkamen, schlug der Diktator nicht allein mit äußerster Brutalität zurück. Indem er umgehend die Gefängnistore für zahllose Islamisten wie für Schwerkriminelle öffnete, mit der Zielvorgabe, die friedlichen Demonstranten zu unterwandern und zu diskreditieren, legte er den Grundstein für sein seitdem beständig wiederholtes Mantra: Alle Demonstranten seien Terroristen, und was könne daran falsch sein, diese mit allen militärischen Mitteln zu bekämpfen.

Je länger der Bürgerkrieg andauerte, und je größere Ressourcen der Iran in die Rettungsmaßnahmen des Regimes investierte, desto größere Freiräume boten sich dem IS, in die von Damaskus vernachlässigten Regionen im Osten Syriens vorzurücken. Raqqa, Deir al Zour, Kobane – nennenswerte Kämpfe lieferten sich Regime-Truppen und  IS-Terroristen nicht, im Gegenteil – die gegenseitige Existenz sichert beiden bislang das politische Überleben:

Wie sich Assad und IS gegenseitig stützen

Für den sogenannten Islamischen Staat ist die Aufrechterhaltung des Assad-Regimes überlebensnotwendig, ist doch damit sichergestellt, dass die eigentlichen, überwiegend islamistischen Rebellenverbände ihren Kampf gegen Damaskus nicht einstellen werden. Umgekehrt braucht Bashar al-Assad die Anwesenheit des IS in Syrien, um sich – nach den Pariser Anschlägen mehr denn je - als letzte Brandmauer zwischen der terroristischen Apokalypse und der Rückkehr zur staatlichen Diktatur zu gerieren.

Das Umdenken hat in Washington, London, Paris und Berlin längst eingesetzt.


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